Schaffner, Gabi


Narzissen


Ich hatte einen dieser tränenreichen Tage, weil mir das Herz bereits um 12:30 gebrochen worden war. Es fiel auseinander wie ein Haufen Plunder, die Fetzen flatterten, die Trümmer sausten, und gleichzeitig senkte sich ein Regenvorhang über die Hamburger Innenstadt. Ich ging zu Fuß, um mich zu zerstreuen und ein paar bestellte Bücher abzuholen. Etwa 100 Meter vor dem Buchladen lief ich beinah gegen zwei Mädchen, die unter einem Regenschirm stehend einem Mann mit Akkordeon lauschten. Sie standen ganz ernsthaft da und sahen so aus, als ob sie ihm wirklich zuhörten. Ich ging etwas langsamer, um auch etwas von dem Stück zu hören. Es war bestimmt ein russisches Volkslied, auf jeden Fall klang es russisch, und weil mein Herz noch blutete, stiegen mir auch sogleich die Tränen in die Augen. Ich schlug einen Bogen um die Mädchen, holte und bezahlte die Bücher und ging durch den Regen zurück. Ich ging ein bisschen anders, über einen weiten Platz mit einem großen Gebäude ... Es sah protzig anheimelnd aus und offiziös, es regnete immer noch und immer stärker. Vor dem Eingang stand eine Blaskapelle unter dem regentriefenden Vordach und spielte sehr schön. Ich sah die Holzbänke auf dem Platz an. Eine einzelne Frau saß dort unter einem Regenschirm auf einer Plastiktüte und hörte der Kapelle zu. Es war diesmal nichts Russisches, klang aber immer noch sehr traurig. Ich umrundete langsam den Platz und schniefte ein bisschen. Was soll‘s, dachte ich, das ist auch schön ...

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Schaffner, Gabi

Narzissen

18 Seiten

2,50 Euro

Restexemplare beim Verlag

ISBN: 978-3-938801-01-7

Hamburg 2005