Am Ufer des Plötzensees weist ein übermaltes Schild auf den sogenannten Mammutmarsch hin. Der Distanzmarsch über eine Strecke von 30 oder 55 Kilometer wird in verschiedenen europäischen Städten veranstaltet und ist eine Neuauflage der Trimm-Dich-(Wander-)Bewegung aus der Bundesrepublik Deutschland der siebziger Jahre. Ohne Ironie schreiben die Veranstalter den Teilnehmern ins sogenannte Trophäenbuch: "Mammuts sind umherwandernde Herdentiere! Daher kannst du auch an der Städte-Challenge teilnehmen. Sammle hinten im Heft deine Städte-Stempel und erhalte zusätzliche Patches" (wt)
mammut arsch
Aobadai, Japan. Da ist was. Da im Dunkeln, gleich neben der Tür, N. hat es auch bemerkt. Aber beim Aufschieben der Tür ist Eile geboten, wegen der Mücken und damit keine Riesenschaben mit hineinhuschen. So gleitet das, was da ist zurück ins Unbewusste, bleibt im Draußen, das man wegen der schwülen Hitze nur schnell hinter sich lassen möchte. Erst nach einigen Tagen, nachdem ich von R. gelernt habe, die Hitze zu "embracen", betrete ich nachmittags den kleinen Innenhof, um ihn mir in Ruhe anzuschauen. Gartenmöbel, Pflanzenkübel, der Kleiderständer an dem die Wäsche trocknet. Nur wenn man direkt vor der Wand steht, tut sich im Gebüsch neben der Tür ein sonst unsichtbarer Spalt zwischen den Häusern auf, in dem der Bambus raschelt. Im Schatten sind Gartengeräte zu erkennen, am Ende ein Zaun, dahinter muss die Straße liegen. Hier ist Wildnis, unter dem Laub wohnen die Schaben und vielleicht auch Mukade, die giftigen Hundertfüßer. Ein leichter, unsteter Wind weht durch den Spalt und vermischt sich mit dem konstanten Luftstrom der Klimaanlage zu dieser geisterhaften Präsenz, diesem Etwas im Geräusch der Blätter. Minutenlang stehe ich da und starre in die Dämmerung. (ow)
Kamakura. M. hat uns für 11:00 zum Bahnhof bestellt damit wir einen guten Platz bekommen, wenn das Aal-Restaurant um 11:30 öffnet. So warten wir eine Viertelstunde in der Hitze, als guter Schwiegersohn halte ich den Sonnenschirm über M. und schwitze. Vor dem Restaurant haben sich schon einige Aal-Liebhaber versammelt, aber sie lassen dem 98-jährigen mit seinem Rollator natürlich den Vortritt. Es gibt nur ein Gericht: Süßlich glasierter gegrillter Aal auf Reis in einer hübschen Lackschachtel, dazu eine Schale salzig eingelegtes Gemüse und eine Schale mit Aal-Innereien in klarer Brühe, alles mit hübschen Deckeln. Zum Glück ist die Glasur nicht so süß wie befürchtet, ich esse schnell die Schachtel leer und bekomme von N. noch reichlich Aal, außerdem ihre Beilage und Suppe. Während es mal wieder um N.s Zukunft in Japan geht, schaue ich mich um. Mir kommt es so vor, als würden sich die Besucher hier alle ähneln, als gäbe es einen bestimmten Typ der in solche Restaurants geht. Aal-Menschen. Nicht nur, dass fast alle Männer Mitte 60 sind, in Beige-Tönen gekleidet, mit Stoffhut und einem Herrengedeck aus Bier und Sake vor sich. Auch die Physiognomie scheint gleich, eher hager aber mit sehr weichen Zügen. Draußen strömen die chinesischen Touristen in Richtung Schrein.
Später steigen wir auch zum Schrein hoch, während M. und K. im Cafe warten. Im kleinen Schrein-Museum jahrhundertealte Comic-Strips, witzige Karikaturen. Keine Chinesen.
Im Cafe fragt T., ob man vielleicht noch einen Stuhl dazustellen könnte, damit wir alle an einem Tisch sitzen können. Das geht leider nicht, diese 38-Millionen-Stadt kann nur so geschmeidig funktionieren, weil niemand die Stühle umstellt. Dafür gibt es das beste Kakigōri und der Matcha ist auch ganz ausgezeichnet. M. schwärmt von Viktor Orbán und seiner Friedensmission, was ich denn von dem halte? Orbán ist sein Mann, die große Hoffnung Europas. Ich versuche, das vorsichtig zurechtzurücken, dringe aber nicht recht durch mit meiner Rede über korrupte Spezis und EU-Gelder. Außerdem muss ich zugeben, dass es schon angenehm ist, hier so weit weg zu sein von den Entwicklungen, die Leute wie Orbán so geschickt ausnutzen.
Der See draußen vor dem Panoramafenster ist komplett mit Lotus zugewachsen, darüber kreisen große schwarze Flattertiere. Sind das Vögel? Die Fledermäuse aus der Sesamstraße? T. sagt es sind Schmetterlinge. K. sitzt alleine am Nebentisch und schläft. (ow)
Ein sauberer Skandal anlässlich der Gestaltung eines Denk-Orts für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Hamburg: Zwei Wochen nachdem sich ein Fach- und Sachpreisgericht gemeinsam mit gewählten Vertreter*innen der LSBTIQ*-Communitys am 17.07.2024 für die Realisierung des 1. Preises – den Entwurf von Franziska Opel und Hannah Rath – im internationalen Kunstwettbewerb ausgesprochen hatte, erklärt die Behörde für Kultur und Medien, dass sie den zweitplatzierten Entwurf realisieren wolle. https://innn.it/offener-brief-an-den-senator-fur-kultur-und-medien-der-freien-und-hansestadt-hamburg-zum-internationalen-kunstwettbewerb-zur-gestaltung-eines-denk-orts-fur-sexuelle-und-geschlechtliche-vielfalt
Berlin, Wedding: Unter einer Reklame für das Rauschmittel Jever-Pilsener befindet sich der Hinweis auf ein striktes Cannabis-Verbot für die Gaststube ("Zur gemütlichen Ecke") und Umgebung. (wt)
Berlin-Mitte (Wedding), Pekinger Platz. Zur Filiale der Restaurantkette "Yasmin Alsham" gehört eine Schaukel auf einem Kunstrasen-Teppich. (wt)
Das Fährunternehmen Scandlines rüstet eine weitere Hybridfähre mit einem sogenannten Flettner-Rotor aus. Die „Berlin“ soll so wie ihr Schwesterschiff „Copenhagen“ auf den Überfahrten zwischen Rostock und dem dänischen Gedser vier bis fünf Prozent weniger CO2 ausstoßen.
6 m Jolle mit Flettner-Rotor auf dem Wannsee (http://flettner-rotor.de/rotor-yacht/)
(*) Als Kind hatte er seine drei Katzen auf heilige Namen getauft: Gottvater, Jesus, Heiliger Geist. Seine Rufe versetzten das ganze Haus in Schrecken: »Wo zum Teufel ist der verdammte Gottvater? — Heiliger Geist sitzt unterm Tisch. — Ich habe Jesus in den Schrank gesperrt.« (Paul ELUARD und Benjamin PÉRET)
(Schnipsel aus dem Faksimile der legendären Zeitschrift »La Révolution Surréaliste« (1924-29) in deutscher Übersetzung im Textem Verlag. WIR BITTEN UM VORBESTELLUNGEN!)
Berlin-Reinickendorf: An einen Altglascontainer sind zweisprachige Aufrufe für einen Hörtest geklebt: "Hi! / wir sind eine Studiengruppe von angehenden / Musikwissenschaftlern*innen und führen aktuell eine / Umfrage zur Hörwahrnehmung durch. Falls Du uns helfen / möchtest, und dabei Dein Gehör testen willst, würden wir / uns echt freuen, wenn du teilnehmen würdest! Die / Umfrage dauert etwa 20 Minuten. // Vielen vielen Dank an alle Teilnehmenden, habt ein / schönes Wochenende! :)" (wt)
»The most famous was the “road yacht” or roulotte Roussel had custom made by Georges Régis in 1925. Inspired by a neurasthenic aversion to sleeping in different beds every night when he traveled, Roussel wanted an environment that was both mobile and strictly regulated that gave him a certain amount of seclusion. It was reportedly almost 30 feet long and 7 feet wide. The interior space was divided into two rooms: Roussel’s private space with a Murphy-style fold down bed that allowed the room to be studio, bedroom or salon depending on configuration, and in what was basically an antechamber a tiny staff dormitory for chauffeurs and valet. In August of 1926 La Revue du Touring Club de France called it a ›rolling‹ or ›touring‹ house. They saw travelers as fitting one of two tribes, the ›spartan‹ who carried everything they needed on their back and the ›sybarite‹ who carried everything they needed on the back of a car. A completely bespoke vehicle, the roulotte’s claim to fame was the sybaritic integration of living space with the automobile, resulting in a vehicle resembling a UPS truck. The luxurious materials and multifunctional interior made for a complete simulacra of a small house or flat.« (Roussel and the Roulotte; Interiors in the Void, par Randy Nakamura)
... Herr Raymond Roussel hat mich heute morgen aus London angerufen. Er bedankt sich für Ihren sehr liebenswürdigen Brief, sieht sich jedoch außerstande, Ihnen zum Thema Sürrealismus zu antworten, da er sich selbst keiner Schule zuordnet. (Vgl: Die Sürrealistische Revolution (La Révolution Surréaliste) // Faksimile der original Zeitschrift ca. 432 Seiten, 48,00 Euro. Sprache: Deutsch, 12 Hefte im Schuber, erscheint im Herbst 2024 bei Textem. Wir bitten um Vorbestellungen! https://textem-verlag.de/textem/literatur/551 )
... war gerade am Strand mit meiner Lieblings-Strandtasche. Die ist gelb und groß und mit Wassermelone und vor allem ein schnödes Supermarkt-Ding von Albert Heijn und deswegen für mich nur sentimental. Wurde darauf hingewiesen, dass Wassermelone ja eigentlich nicht mehr geht, weil Palästina-Symbol. Da konnte ich nur baff sagen „ist an mir vorbeigegangen“.
Also: lieber nicht mehr benutzen?
(mm)
Ferienjobs für Lobster-Telefon-Arbeiter
"I do not understand why, when I ask for a grilled lobster in a restaurant, I am never served a cooked telephone"
"Telephone frappé, mint coloured telephone, aphrodisiac telephone, lobster-telephone, telephone sheathed in sable for the boudoirs of sirens with fingernails protected with ermine, Edgar Allan Poe telephones with a dead rat concealed within, Boecklin telephones installed inside a cypress tree (and with an allegory of death in inlaid silver on their backs), telephones on the leash which would walk about, screwed to the back of a living turtle ... telephones ... telephones ... telephones ..." (Dalí, S., The Secret Life of Salvador Dalí, New York.
(nor)
als G. erfährt, dass ich die gitarre mit in den sommerurlaub aufs schiff nehme, ruft er aus: »die armen fische«. (nor)
10.07.1994 im Freibad Humboldthain. Das Bezirksamt Wedding hatte damals unter dem Motto "Weddinger Wasserspiele '94" einen Tag-der-offenen-Tür in den Freibädern des Bezirks organisiert. Das Foto zeigt ein Mitglied des Nordberliner Tauchvereins e.V., auf dem Weg ins große Becken. Der Taucher wird Gästen und Besuchern des Freibads verschiedene Tauchübungen zeigen. (wt)
Ich entdecke eine ebay-Werbung, in der ein Freund des Verlegers modelt und schicke Willi einen Screenshot davon. Er antwortet: «Hahaha. Das wirst du jetzt oft zu hören bekommen.» Ich schaue mir den Slogan genauer an: «Lass es los.» Ooops. Willi will ja immer, dass ich vieles wegschmeisse, aber ich schaffe es oft nicht und drücke das Zeug nur in eine andere Ecke. Ich antworte mit dem Rest des Slogans: «Kostenlos.»
Gestern wurde mir eine Vorform von weißem Hautkrebs vom Oberarm weggeschnitten. Vor zwei Wochen meinte die Ärztin, ich soll mir keine Sorgen machen, es sei alles «Tippi-toppi» sonst. Bei wem ich an der Charité in Nachsorge sei? Sie war mal sechs Jahre dort. Ich nenne den Nachnamen. «Ach, der Christoph, der ist ja wirklich ein Superschatz!» Sie lächelte etwas verschämt. Entfernt hat die Haut aber jemand anderes aus der Praxis, nicht sie. Gleich zwei Betäubungsspritzen und gefühlt ewiges Vernähen. «So, das war jetzt die Unterhaut. Jetzt die Oberhaut.» Als ich mich danach nach so drehe, dass ich sehen kann, was der Arzt am Tischchen macht, sehe ich einen Hautfetzen in der Größe und Dicke eines Playmobil-Schnitzels, den er auf einer Seite nochmal mit einem blauen Faden markiert und der wieder eingeschickt wird, obwohl der Arzt vor der OP noch die Option «Vereisung» ins Spiel brachte, bei der ja gar nichts übrig geblieben wäre.
Morgen muss ich zum Verbandswechsel und in zwei Wochen zum Fädenziehen. Bis dahin soll ich so gut wie gar nichts mit dem Arm machen. Dabei wollte ich jetzt endlich den Schrank bestellen und ein neues Fitnessstudio testen. Wieder mal kein Yoga. Trixi: «Was regst du dich denn so auf, du gehst doch eh nur einmal die Woche, darauf kommt es auch nicht an!»
Willi will heute abend doch nicht vorbei kommen und Thea hat erst abends Zeit. Kreative Pause? In die Sonne und ins Wasser darf ich ja nicht. Oder doch Sachen wegschmeissen? Aber nur leichte! Habe gestern am Ficus rumgeschnippelt, alle Ästchen, an denen nur zwei oder weniger Blättchen hängen. Weg damit!
Lese die «Moral Mazes 24» von Rainald Goetz aus dem Merkur. Wirklich ein Feuerwerk! Nur in Mikrodosen erträglich.
Gestern habe ich noch einen Film über Jelinek auf arte angefangen. Die Schriftstellerin, nicht der Musiker. Lässt sich prima dazu Häkeln. Sitze an Topflappen für die Schwiegermutter in Entrelac-Technik. Und an einem Babytuch aus Granny Spike Stitches.
Ich höre Mina – wer kennt noch die Band, die um den Jahrtausendwechsel vom NME neben den Chicks on Speed als heißester Scheiß aus Deutschland gepriesen wurde? Mir kommen fast die Tränen. Ich habe sofort die WG-Küche in der Invalidenstraße vor mir. Das 50er Jahre Tischchen und die Cocktailsessel, das blau gestrichene Regal und die Migrantin von gegenüber, die jeden Tag neue Wäsche aufgehängt hat und der wellige Kunstrasen im Flur. Und dazu «Minsc» und «Alles Shampoo» vom Album «Kryptonite». (pp)
Luhmann hatte ein Näschen dafür, dass jemand, der sich bei der Formulierung politischer Forderungen auf die eigene Angst vor X beruft, tatsächlich den Holzhammer rausholt. Die Berufung auf Angst duldet keinen Widerspruch. Deshalb suhlt dieses Land sich in strategischen Artikulationen von Angst.
»Angst kann rechtlich nicht reguliert werden und wissenschaftlich nicht widerlegt werden. Versuche, die komplizierte Struktur von Risiko und Sicherheitsproblemen unter wissenschaftlicher Verantwortung aufzuklären, liefern der Angst nur neue Nahrung. […] Man braucht auch keine Angst mehr zu haben, Angst zu zeigen. Angst widersteht jeder Kritik.« (Luhmann) (dl)
(Triftstrasze, Berlin) Pizzeria DunDun: "Wir haben eine sehr freundliche Selbstbedienung“ (wt)
In der nächsten Radioshow wird das Jubiläum von «This Is Hardcore» von Pulp gefeiert, das in dem Jahr erschienen ist, «when the Britpop Party was over». Oops, oje, aber naja, stimmt leider. Es war wirklich ein grauenhaftes Jahr.
Es war das Jahr, in dem ich in Berlin wohnte, um ein Praktikum in einer Digitalklitsche zu absolvieren, die schnell wuchs und ein paar Jahre später noch schneller ihre weltweiten Dependancen wegen Pleite schließen musste. Das Jahr, in dem man schon schief angeschaut wurde, wenn man Emails tatsächlich benutzte und nicht mehr ernst genommen wurde, sobald man eine Domain registriert hatte. Ich war also vielen sehr suspekt.
Man musste überall physisch präsent sein, um zu erfahren, was wo los war. Oder um einen der raren Flyer zu ergattern, die nicht stapelweise auslagen. Man wurde von den umherziehenden Verteilern auserkoren, ein Zettelchen zu bekommen oder eben nicht. Wenn man die Multiplikatoren – das Wort Influencer schwamm noch in der Ursuppe, man nannte sie der einfach nur «allercoolste Sau» – verpasste, konnte man in die angesagtesten Clubs gehen und trotzdem niemanden antreffen, weil die informierte Meute woanders hin ausgerückt war. Als die allseits bekannte Prekariatssängerin mir ihr Stückchen Papier für ihren Barabend verweigerte, ging es mir sehr schlecht. Ich ging trotzdem hin – einfach so.
Gestern war ich bei einer Ausstellungseröffnung gleich um die Ecke. Sehr ungewöhnlich, denn normalerweise findet in meiner Gegend nicht viel in dieser Richtung statt. Danach war geplant, in eine Schwulenbar zu gehen, wovon es hier noch weniger gibt. Natürlich wurde das Vorhaben im Laufe des Abends wieder ersatzlos aus dem Programm genommen. Einige waren genervt, ich auch. Ich schrie: «Ich wohne hier und kann jederzeit auch ohne euch dorthin gehen!»
Am Wochenende – und nur am Wochenende – höre ich mittlerweile oft «BR Heimat». Meine Tante hört es und seit ich an den DAB Rundfunk angeschlossen bin ich auch. «Wald und Gebirge» und «Treffpunkt Blasmusik» samstags früh und Sonntag nachmittags «Kaffehaus» sind meine Favoriten. «Wo ein paar Takte Schrammelmusik erklingen, da darf eine Schale Melange nicht fehlen. Latte macchiato? Fehlanzeige.» Dafür sind umso mehr altbackene und zotige Liedtexte angesagt. Der Sonntag endet mit «Fränkisch vor 7 – Volksmusik und Volkskultur aus Franken». Immerhin ein klitzekleines Alibiprogramm gibt es für uns. Früher habe ich diese Musik natürlich heftigst abgelehnt, denn der ganze Blasmusikkram – damals noch auf Bayern 1 – lief ja rauf und runter bei meinen Eltern.
Nebenbei lese ich einen Artikel zum Thema «Das Altern wird gerne verdrängt.» Heute morgen schon fiel mein Blick auf das Buch «Alt werden ohne alt zu sein», das ich bisher nicht gewagt hatte zu lesen. Sollte ich vielleicht doch langsam mal?
In zwei Wochen soll ich mit nach Sachsen kommen, um dort mit Kunstprofessor:innen zu klönen. Zuerst dachte ich noch, wir treffen auch deren Student:innen und ich soll ihnen zusammen mit den anderen meine Werke vorstellen – aber nein, die sind gar nicht dabei. Warum sollte ich alten Künstler:innen meine Werke zeigen wollen? Dann lieber gar nicht! (pp)
Ich bin kraftlos. Ich hoffe, dass das nur das «Neumondloch» ist. Das erste in diesem Jahr. Im Steinbock. In zwei Stunden ist es offiziell soweit. Soll ich auf den auch noch warten? Ich hab heute schon darauf gewartet, dass das Teewasser kocht und dass Willi anruft. Nur das Aufstehen habe ich selber hinausgezögert.
Gestern habe ich mir als Frustkauf Birkenhaarwasser mitgenommen. Ich sah die Benutzung als eine Art Taufe oder Zeremonie. Ich hab’s heute draufgekippt. Es stinkt einfach nur nach Alk. Und an der Plastikflasche klebten hinterher lauter ausgefallene Haare. Schluckte danach gleich eine halbe Vitamin H-Tablette. Praktisch, wenn das Vitamin so heißt, wie das, wofür es helfen soll. So geht perfektes Marketing.
Meine diversen Online-Postfächer quellen über, weil jemand, der so heißt wie ich, eine Bude von nur 44 Quadratmetern für über 800 Euro vermietet und die Leute nichts unversucht lassen wollen. Ich überlege mir, allen zu antworten und auf den unverschämten, aber mittlerweile üblichen Preis zu schimpfen und ihnen viel Glück zu wünschen und zu sagen, dass sie, wenn mir die Wohnung gehörte, selbstverständlich gratis bei mir wohnen könnten.
Und mich selber darauf zu bewerben. Sobald ich dort wohne, könnte ich mir selber das Geld überweisen, denn ich hätte ja die perfekte Ausrede: «Uups, da hab ich mir das Geld wohl selber überwiesen, sorriiiiieee!» Plus Schulterzucken-Icon.
Oder ich kralle mir die Wohnung ganz, am besten durch einen Identitätsdiebstahl. Dann soll der Ex-Vermieter im Gegenzug meine Beiträge hier schreiben. Wäre eine schöne Romanidee. Wer schreibt’s, wer von Ihnen hat Zeit dafür?
Heute morgen habe ich mich endlich getraut, mir die Fotos vom «Bauernprotest» in meinem Dorf anzuschauen. Ich bin in einer «Leben in …»- WhatsApp-Gruppe, von der ich schon länger annehme, dass sie von Rechten mindestens unterwandert ist. Über die Gruppe bin ich ein immer ein bisschen informiert, was dort so die Aufreger sind. Ich war erleichtert, wenigstens auf den ersten Blick keine Nazi-Flaggen zu entdecken, aber an das Video der Traktorparade habe ich mich noch nicht rangetraut.
Schon als ich Weihnachten dort war, hingen Gummistiefel am Ortsschild und Protestplakate an den Ortseinfahrten, die bald von der Polizei abgebaut wurden. Angeheizt wird die Stimmung von Männern mittleren Alters, die schon seit mehreren Generationen nichts mehr mit Landwirtschaft am Hut haben, letztes Jahr von ihren zukünftigen Ex-Ehefrauen vor die Tür gesetzt wurden und bei ihren Eltern in die Kellerwohnungen der properen Einfamilienhäuser in Neubausiedlungen gezogen sind, wie ich gehört habe.
In der Britpop Revival-Show läuft «This Will Be Our Year« von Menswear. Die Bäume vor dem Fenster sind vereist, die Bahn streikt und der Rest ächzt. Ich überlege, ob ich einen von meiner Mutter gebackenen Lebkuchen esse oder doch lieber einen für knapp drei Euro aus Christkindlmarkt-City.
Ich zünde eine Kerze an. Noch knapp 1 ½ Stunden bis zum Neumond. (pp)
ich bin teilnehmerin des overtourism in der toskana. in jeder touristisch erschlossenen ortschaft gibt es drei sorten von geschäften mit identischem angebot: 1) gürtel und handtaschen. 2) ricciarelli und weiteres, also keks. 3) wildschweinsalami.
in touristischen hochburgen wie san giminiano, siena oder florenz finden sich diese drei geschäfte alle 50 meter aufs neue.
… Den Antrag mit dem Filmmenschen habe ich übrigens verkackt – der Typ wollte am Schluss völlig ungerührt und gegen meine (und Deine!) inhaltlichen und formalen Einwände seinen 90.000€-Etat mitbeantragt sehen (immerhin gemindert durch erheblichen baren und unbaren Eigenanteil durch 14.000€ Sponsoring und die (unbare) Raummieten der Sammlung - die ja irgendwie als halb fiktiv erkennbar bleibt in dem Fall), so dass ich da letzten Freitagmorgen saß und dachte: Ist jetzt auch egal - und den Antragstext entsprechend umformuliert habe. Ab 13:30 kämpfte ich dann mit dem "Online-Formular" und gegen die Deadline mit vollautomatischem Antragsroboter um 14:00 Uhr. Naja, und dann bin ich erst völlig wahnsinnig geworden, weil man die halbe Excel-Tabelle, die man ohnehin mithochlädt, auch noch per copy&paste in so bescheuerte Finanzamt-Fensterchen rüberprokeln muß - getrennt nach 2024 und 2025 ... oha, damit hatte ich nicht gerechnet - und dann hatte ich das alles manisch beclickt und den "weiter"-Button malträtiert, und dann gab es noch 12 Häkchen zu machen ("hiermit überlasse ich all mein Hab und Gut inkl. alle funktionstüchtigen Nieren dem Berliner Senatorenseniorenfundus") und dann - NICHTS. Es war 14:02 oder sowas, als ich die Uhr wieder lesen konnte. Ich direkt da angerufen, nix im "System", man könne auch nix machen "läuft alles automatisch". Was fürn Ritt. Tief durchatmen, nicht krank werden, weitermachen! (bd)
Ich bin zum Pendler geworden. Pendler zwischen zwei Kranken. Willi hat das Pandemievirus erwischt und Trixi hat irgendwas am Magen, im Hals, in den Ohren, aber keinen positiven Test. Abwechselnd kaufe ich einen Tag für sie ein und bringe es ihr und am anderen Tag gehe ich zu Willi. Der gibt mir immer wieder was Selbstgekochtes zum Essen mit, mal einen Polentakuchen, mal eine Kraftbrühe. Verkehrte Welt.
Bei beiden sitze ich mit Maske in der Küche. Willi sitzt bei mir, Trixi weiter weg. Willi nervt die Maske und die Zugluft irgendwann und dann verabschiedet er mich. Trixi hätte mir immer viel länger Dinge zu erzählen, die ich meistens schon mehrfach gehört habe. Dort breche ich recht schnell auf.
Abends habe ich jetzt mehr Zeit. Ich habe keine Lust darauf andere Leute zu treffen, denn ich könnte mich ja jedesmal angesteckt haben. Zeit für das Fotobuch, das sich meine Mutter immer von den größeren Geburtstagsfeiern zu Weihnachten wünscht. Ihrer ist zwar im Frühjahr, aber ich mache das Buch trotzdem immer erst im Dezember. Früher nervte es mich, die ganzen Leute aus meinem Dorf tagelang anschauen zu müssen. Jetzt kommen mir manchmal fast die Tränen. Einige der Leute auf den Fotos für das neueste Buch sind in der Zwischenzeit gestorben. Die Bücher wurden über die Jahre immer dünner und ich habe die Umschläge wattieren lassen, damit es dicker wirkt. Dieses Jahr habe ich einfach manche Bilder sehr groß gemacht, manche werden sogar auf einer Seite porträtiert, und manche tauchen immer wieder auf.Es geht nicht mehr nur darum, dass einfach alle drin sind, sondern, dass sie sich in den Fotos wiederfinden und es möglichst lebendig ausschaut.
Ich hoffe, das Willi bald wieder negativ ist, er ist jetzt schon fünf Tage positiv, was mir sehr lang vorkommt, aber beim ersten Mal hielt es bei ihm auch schon viel länger an als bei mir. Hauptsächlich deswegen überlege ich, mich doch noch schnell vor Weihnachten impfen zu lassen. Ich hatte es eigentlich nicht vor, aber alle haben es gerade ziemlich heftig.
Ich muss noch den Text für die Weihnachtsausstellung schreiben. Auf dem Weg zu Trixi habe ich ein Buch auf der Straße gefunden. «Ach so» heißt es, ist ein Taschenbuch von Anfang der 80er mit Kurz- und Kürzesttexten, von denen ich mich inspirieren lasse.
Meinen roten Herrnhuter Stern habe ich schon lange an der Wand hängen, seit November. Zusammen mit einem mit Alufolie umwickelten Kringel von Willi, der mal eine Art Adventskalender war. In zehn Tagen fahre ich schon in mein Dorf, fast eine Woche vor Weihnachten. Willi kommt erst kurz vorher. Rot gefällt mir eigentlich gar nicht, aber in Rot hat meine Mutter die größte Variante des Sterns für die Dorfkirche von mir besorgen lassen.
Dass Willi so viel alleine ist, passt mir gar nicht, das ist für ihn das Schlimmste. Zum Glück ist wenigstens der Verlauf mild. Jetzt sitze ich hier und warte auf die Nachricht, dass der Test negativ ist. Dann könnten wir heute abend gemeinsam ins Weihnachtskonzert gehen.
Nachricht von 9:41: «Heute großes Wiedersehen!» (pp)
… Als ich aus irgendwelchen Gründen keine Anrufe mehr tätigen, wohl aber empfangen konnte, ich (wieder) bei o2 in der Situationismus-Dauerausstellung namens AEZ (Alstertal-Einkaufszentrum) … Derselbe Typ wie bei »Ich möchte eine neue SIM-Karte«. Telefoniert oder macht SnapChat oder TikTok, eher unwillig sein »kommunikatives Handeln« (Habermas) zu unterbrechen. Er stellt was an seinem Smartphone um, woraufhin im ganzen »Ladengeschäft« so genannter Deutsch-Rap zu hören ist. Das abzustellen, bringt den jungen Mann an die Grenzen seiner technischen Fähigkeiten.
Notabene: Dass in solchen Läden häufig nicht mehr der Tresen wie beim alten Fachhandel in Benutzung ist, sondern Stehpulte, die ja nicht nur an Messestände erinnern, sondern auch etwas von dem alten Lehrpult haben. Man müsste die Geschichte dieses Möbels mal schreiben …
»Hallo.«
»Hallo.«
»Ich war am Samstag schonmal hier, wegen der SIM-Karte …«
»Mhh.«
»Nun kann ich keine Anrufe mehr machen, aber empfangen. Warum?«
»Das weiß ich nicht.«
»Können Sie mal nachsehen, ob da bei mir im Kunden-Account was steht?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Wieso nicht?«
»Sie brauchen eine neue SIM-Karte.«
»Ja, vielleicht ist die kaputt. Ich hab die jetzt ja auch schon seit fast zwanzig Jahren.«
»Kostest 29,99 Euro.«
»Wieso? Ich habe doch einen Vertrag darüber, dass ich telefonieren kann.«
»Das weiß ich nicht, was Sie für einen Vertrag haben.«
»Wie?«
»Sie sind ja nicht bei o2. Sie haben eine E-plus-Karte.«
»Aber ich habe doch einen Vertrag mit o2.«
»Nein, mit Telefónica.«
»Ja, aber meine Rechnungen, die ich zahle, bekomme ich ja von o2, oder?«
»Ja.«
»Und ich zahle dafür, dass ich telefonieren kann, oder?«
»Ja.«
»Dafür brauche ich doch eine SIM-Karte von o2, oder?«
»Ja, Sie haben aber eine falsche SIM-Karte.«
»Ach so.«
»Da komm ich gar nicht ran von hier aus.«
»Aber ich bezahle Rechnungen und bin hier im o2-Laden und frage jetzt: Warum geht mein Telefon nicht?«
»Da ist wohl die SIM-Karte kaputt.«
»Hier beim Empfangsbalken steht ein kleines ›z‹. Das ist mir noch nie aufgefallen.«
»Tja.«
»Also, SIM-Karte kaputt ist die einzige Möglichkeit.«
»Ja.«
»Die einzige.«
»Ja.«
»Kann nichts anderes sein.«
»Nee.«
»Dann bedanke ich mich.«
»Bitte.«
Drei Tage später entdecke ich, dass ich von »Anschluss 2« auf »Anschluss 1« umstellen kann. Weder habe ich diesen Eintrag jemals verstellt, noch überhaupt bemerkt (macht ja auch keinen Sinn – mein »Handy« hat ja nur einen SIM-Karten-Slot …). Nun »funzt« (MIT) wieder alles.
Muss noch mit Y. »Mittelalter« lernen. (Ich sammle gerade Geschichten zu »die andere Hälfte der Halbbildung« …)
(rb)
Ein Lied vom Leben ist durch. Habe es verschiedenen Leuten vorgelesen mit Hamburger-Schnack-Einschlag in der Betonung. Hammer fesselnd – auch ideal um meine paar Hobbynorddeutschen endgültiger hier zu vertäuen (Bettlektüre & Arzneitee für Elias). Die Entscheidung für die Buchform scheint genau richtig: ich kann mir nicht vorstellen, diese durchaus gefühlsduselig aufgeladenen Erinnerungsfetzen in 4D zu ertragen. Aber bin von diesem Detetkivspiel, mir selbst die, die da sprechen, auszumalen, begeistert. Und die teils abweichend abgewichsten Wertvorstellungen der Menschen im Buch sind nach dem heiligen Codex der Dokumentarfilmer liebevoll, neugierig so nebeneinander gestellt in das Buch hinein, dass es mir eine Freischaltung ist, dazwischen zu stöbern. Dazu die Negative mit Crime-Scene-Geruch, es hat nicht lange gedauert, sie richtig lieben zu lernen und wir alle profitieren von dieser ermöglichten neuen Betrachtung I guess. So an zweieinhalb Details des Buchs können wir nach meiner zweieinhalbten Lektüre gern noch ne Doktorarbeit aufhängen, aber bin schonmal so angeregt, dass ich dir das teilen wollte. Mein Textem-Lieblingsbuch (nach dem Chinesischen Theater) bis jetzt. (fl)
Hamburg kann zum Weinen sein. Für Willi beim Björk-Konzert. Am Bahnsteig in der Hauptstadt bekam ich einen Anruf, in dem uns mitgeteilt wurde, dass der Gastgeber mit dem Pandemievirus in Kontakt gekommen war. Ich vergaß «Gute Besserung» zu wünschen, weil gerade der Zug einfuhr und ich Willi schnell fragte, ob wir trotzdem fahren oder hier bleiben würden. Er nickte und wir stiegen ein.
Wären wir hier geblieben, hätte ich mein Björk-Ticket vielleicht feierlich verbrannt, denn sie postete ganz unverfroren die übelste antisemitische Pro-Palästina-Propaganda. Wie Greta Thunberg, von der Björk eine Videobotschaft von 2019 seit Jahren in ihr Konzert integriert hat. Ganz unkommentiert. Fast schon: zum Glück unkommentiert, denn so kann man es als historisches Zitat einordnen und die Botschaft des Klimaschutzes ist ja grundsätzlich richtig. Ich buhte – und schaffte es damit in die Konzertkritik der F.A.Z.
Sei’s drum, ich buchte im Zug ein Hostel im Epizentrum des Berufsjugendkultur-Viertels der Hansestadt. Ich zeigte Willi, wo früher der schwule Buchladen war und der N+H Kleidermarkt, in dem ich in den 1990ern mit meiner damaligen Mitbewohnerin nach Cordhosen mit Schlag und Spitzkragenhemden suchte. Ein schwarzes mit aufgestickten weißen Rosen habe ich noch. Zum Standort des ehemaligen Bauwagenplatzes «Bambule», wo ich auch mal das Vergnügen hatte zu übernachten, schafften wir es nicht.
Abends schauten wir die ersten Teile der neuesten Staffel von «The Crown» – es geht um Lady Dianas Tod. Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Abends, als ich von meinem Aufsichtsdienst der documenta X nach Hause kam, öffnete mir meine Mitbewohnerin tränenüberströmt die Tür. Wir hatten es manchmal geschafft, dass sie aus bestimmten Blickwinkeln auf Fotos wie Lady Di aussah.
Am Tag nach Dianas Tod fuhr ich nach Nürnberg zum Konzert von Die Sterne, wo es tatsächlich jemand schaffte, die Band in eine WG an deren «Hausbar» zur Aftershowparty einzuladen. Ich war sehr beeindruckt, dass Frank Spilker bereits sämtliche Verschwörungstheorien zu Dianas Tod drauf hatte. Er wohnte damals nur einen Steinwurf weit weg von dort, wo Willi und ich diesmal in Hamburg untergekommen waren.
Ich rief am zweiten Tag endlich bei den verhinderten Gastgebern an, um Besserungswünsche auszusprechen und deren Verspätung zu entschuldigen. Es hatte ihn ordentlich erwischt und alle waren froh, dass wir woanders untergekommen waren, zumal mir die Lage und der Ausblick vom fünften Stock über die niedrigeren Häuser gegenüber hinweg sehr gefiel.
Der Verleger bekam von mir die als Gastgeschenke gedachten und nun sinnlosen Fressalien überreicht. Er fuhr uns im Verbrennerauto an den Deich – soweit draußen war ich von Hamburg aus noch nie. Er und Willi ärgerten die Schafe und wir landeten in einer Vogelbeobachter: innenstation. Für mich der zweite neue magische Ort Hamburgs nach der Maori-Hütte im Kulturhistorischen Museum.
Auf dem Rückweg lief wie auf Bestellung im Autoradio «Hamburg» von den Lassie Singers, als wir gegen Abend in die Schatzstadt hinein fuhren. Der Verleger und ich sangen lauthals mit – und mir kamen fast die Tränen. (pp)
... ich habe über die große Freude und den Überlegungen, wie ich mich angemessen revanchieren kann und darf (natürlich alle Texte, Bücher, Artikel schreiben, dann auch Gartenarbeit, Frühjahrsputz, Witschern und Malern etc.), völlig aus den Augen verloren, wenigstens den Erhalt des Päckchens mit dem iPhone zu bestätigen.
Und nun? Nun das:
Päckchen kommt an. Muss erstmal noch einen Tag liegen, weil das so ist mit der Post.
Ich melde mich mit meiner Apple-ID an. Das ist dieselbe, die meine Tochter nutzt.
Ich habe eine Kopie von ihrem iPhone.
Ich lösche versehentlich ihr iPhone (weil ich »mein« iPhone in R.s iPhone umbenannte, dann ausschaltete. Dann hieß aber ihr iPhone R.s iPhone wegen der Synchronisierung).
Tochter-iPhone wieder einrichten mit BackUp.
Vorher »mein« iPhone wieder löschen.
Neue Apple-ID einrichten.
»Mein« iPhone mit neuer Apple-ID eingerichtet.
Dann wollte ich meine alte Sim-Karte einsetzen.
Die ist aber noch aus Bakelit und für smarte Phones nicht verwendbar.
02 sagt: neue Karte kostet 30 Euro.
Dann gehe ich wieder. Will ALDI-Talk nehmen.
Bakelit-Karte geht plötzlich nicht mehr.
Vier Tage später geht sie wieder.
Dann geh ich nicht mehr.
Zweite Erkältungswelle.
Dafür ist meine leichte Blutvergiftung im Fuß fast weg.
Kopfweh auch.
Erkältungswelle vorbei.
Kopfweh wieder da.
Muss nun ALDI-Talk einrichten …
… ohne Rufnummermitnahme (einfacher).
Muss aber jetzt erstmal mit allen drei Kindern zum Zahnarzt.
Ächz.
Online-Banking hab ich noch nicht gemacht.
…
Habe auch meine Anmerkungen zum Pazzini-Sternfeld-Abend noch nicht verschriftlicht.
…
Soweit
herzlich, r.
mich erreicht eine einladung zu einer geisterbahnparty, "uncomfy" und "uncanny":
Zum Beispiel durch den alten Elbtunnel, von da 15min Rad.
Ähnlich lohnend ist es, von den Landungsbrücken oder Elphi die Fähre 72 zu nehmen zur Station Arningstraße.
Von da sind es knapp zwei km / 9min Radweg.
Man darf dabei aber nicht rauchen oder Handyfotos machen, da man das malerische Werksgelände einer Raffinerie durchquert.
Dritte Möglichkeit wäre S-Bahn zur Veddel und dann 11min Rad auf dem Gehweg. Man kann da nichts falsch machen, sieht aber auch weniger.
Am xyz-weg 10 angekommen gibt es zwei Gebäude.
Ein Haus mit Sozialräumen und eine Fabrikhalle - in der letzteren einfach rauf in die 1. Etage.
Bitte in der Halle selbst nicht rauchen und umsichtig sein, wo man hintritt. Am besten die beleuchteten Wege nicht verlassen.
Die Geisterbahn wird ab 20h fahren, es gibt aber nur begrenzt Timeslots.
Begleitend kalte und heiße Getränke sowie etwas Suppe, dennoch warm anziehen (uncomfy und uncanny auch)
~ Bei Übernachtungswunsch bitte anfragen.
Bis gleich"
Fünf Wochen hat mein Crash schlussendlich gedauert – die PEM, die Post-Exertionelle Malaise. Malaise indeed!
Ich professionalisiere mich langsam, nicht nur was die Begrifflichkeiten angeht. Ich habe nun eine App. Fimo Health App. Darin kann ich meine Tage dokumentieren, die Grade der Fatigue und Schmerzen, Einschränkungen beziffern. Ich skaliere quasi die Beschissenheit der Dinge anhand von Emojis.
Seit gestern habe ich nun die Verdachtsdiagnose ME/CFS auf einer Überweisung zu stehen. Damit darf ich jetzt zur Charié, denn nur die können die Diagnose ausstellen. Ich habe mich angemeldet für einen Termin - also eine Vorstufe, eine Bewerbung um einen Termin. Apropos Vorstufe. Ich schaue ja gerad extensiv Serien/Filme (Dinge, die couchkompatibel sind), u.a. die Serie „Loki“. Diese ist die unmarveligste von den Marvel-Serien, weil sehr komplex und kompliziert (man muss also richtig aufpassen und zuhören! frech!). Es gibt da eine sogennante „sacred timeline“ die verteidigt wird (es gibt eine Art Verteidigungsministerium und alle die da arbeiten glauben fest an den Sinn ihrer Arbeit – es stellt sich dann natürlich heraus, alles ist im Grunde Fake. Erinnert mich an was...? DDR?) Jedenfalls soll dieser eine heilige Zeitstrang genau so ablaufen, wie VON OBEN vorgegeben und alle Individuen, die davon abweichen (und das kommt oft vor) sind „Varianten“. Die bekommen dann Ärger, wenn sie dabei erwischt werden, wie sie eine Abzweigung von der heiligen Vorgabe nehmen und die angestellten „Hunter“ bereinigen nach Aufgreifen dann das abseitige Leben der Varianten und die „sacred timeline“ ist zumindest an dieser Stelle wieder hergerichtet. Es ist komplex. Jedenfalls frage ich mich, ob wir alle seit der Pandemie Varianten sind oder ob wir immer noch auf der heiligen Linie sind und alles seine chaotische Ordnung hat. Mein Leben fühlt sich jedenfalls echt weird an seither, und alle um mich herum berichten von ebenso weirden Dingen und gefühlt sagt man sich ständig gegenseitig: „Wie packst du das nur? Krasssssss!“
Was ich aber weiß, jedes stabile Provisorium wird irgendwann zum Dauerzustand. Und ich morphe mich gerade in einen Zustand, der eigentlich nicht für die Dauer bestimmt sein sollte.
Byung-Chul Han hat 2010 im Buch Müdigkeitsgesellschaft (was ich nicht gelesen, aber dafür den Film zweimal gesehen habe) die damalige Gegenwart in all den (kapitalistischen / leistungsorientierten / entmenschlichten) Abgründen aufgezeigt, und jetzt haben etwa 17 Mio Menschen das Chronische Fatigue Syndrom (was es nicht erst seit Covid gibt!!!) welches man mit „Pacing“ versucht zu kontrollieren. Ohne Lobby, also ohne Aufmerksamkeit. Ein ganz leises, unsichtbares Müdigkeitssyndrom mit lauter Menschen die für das System vor allem als ""arbeitsunfähig"" angesehen werden. Das Leben von Menschen und ihrer Belastungsintoleranz bezieht sich auf den (entfallenden) Wert für die Volkswirtschaft.
in diesem sinne, my malaise! (cab)
Ein Gespräch mit Dana aus Tel Aviv, aufgezeichnet am 17. 10. 2023
ES FÜHLT SICH SEHR EINSAM AN
FSK: Du bist jetzt in Tel Aviv, richtig?
D: Ja.
FSK: Du bist Künstlerin und setzt dich seit einigen Monaten in der Bewegung gegen die rechte Regierung in Israel ein.
D: Ja, genau, zusammen mit hunderttausend anderen Israelis.
FSK: Seit etwa einer Woche hat sich für viele Menschen fast alles verändert. Wie hat sich dein Leben verändert und wie siehst du die Dinge dort?
D: Ich habe zwei kleine Kinder. Mein Partner arbeitet im Radio. Die Schulen sind zu. Wegen der ständigen Raketenangriffe schlafen wir kaum. Tel Aviv liegt zwar am Rande der Reichweite dieser Raketen, aber sie sind dennoch Teil unseres grausamen Alltags. Viele Menschen im Süden (diejenigen, die nicht evakuiert wurden) leben momentan in ihren Schutzräumen. Wir haben hier keinen sicheren Raum oder Schutzraum den wir rechtzeitig erreichen könnten. Wenn eine Rakete aus dem Gazastreifen abgefeuert wird, dauert es 90 Sekunden, bevor sie in Tel Aviv landet. Das ist relativ lang (andere haben nur 15 Sekunden), aber mit zwei kleinen Kindern schaffen wir es nicht rechtzeitig in einen Schutzraum. Also gehen wir ins Treppenhaus. Jedes Mal, wenn es Kämpfe im Gazastreifen gibt, erleben wir diese surreale Realität – das was man eine Operation nennt, ein Euphemismus für einen Angriff – eine Situation, in der eine Menge Zivilisten verletzt werden. Und jetzt hat sich die Situation erheblich verschärft. Persönlich kenne ich drei Menschen, die getötet wurden. Die Bevölkerung Israels liegt bei etwa 9 Millionen, wenn davon Tausende verletzt werden ist jede*r betroffen.
Wir haben seit zehn Monaten, eine völlig korrupte Regierung und die Regierungsstellen sind nur noch leere Hüllen. Viele Institutionen, die sich um die Zivilbevölkerung kümmern sollen, sind aufgrund der Korruption völlig dysfunktional. Erst sieben Tage nach dem Angriff, erst gestern Abend, hat die Regierung damit begonnen, mit den Familien der Entführten offiziell Kontakt aufzunehmen. Zuvor gab es nur ehrenamtliche, selbstorganisierte Hilfe. Es klafft eine riesige Lücke zwischen der Gesellschaft und der Regierung.
FSK: Diese Situation ist einmalig, besonders für Israel und die Juden seit dem Zweiten Weltkrieg. Es geht nicht nur um die direkten Opfer, sondern um die gesamte Idee des Staates und was es bedeutet, in dieser Welt ein Jude zu sein. Vor allem angesichts der weltweiten Reaktionen, die man als Schuldzuweisung an die Opfer interpretieren könnte.
D: Ja, es ist wirklich schockierend. Die Diskussion hat sich rasend schnell von Kritik an Israel zu offenem Antisemitismus gewandelt. Das kam für viele Israelis überraschend. Wie kann jemand denken, dass das, was die Hamas im Süden Israels tut, etwas mit der Befreiung Palästinas zu tun hat? Es ist schockierend zu sehen, wie schnell diese Kritik in reinen Judenhass umschlägt. Und es scheint ein sehr starkes Gefühl zu sein, was nur auf diese grausamen Ereignisse gewartet hat – das ist völlig pervers und traurig.
Ich fühle mich als linke, pro-palästinensische, anti-Besatzungs-Jüdin. Was die Hamas im Süden Israels getan hat – Entführungen, Vergewaltigungen, öffentliche Hinrichtungen – hat nichts mit der Befreiung Palästinas zu tun. Warum kann die radikale Linke dies nicht verurteilen? Die Leute bestehen darauf, dies in irgendeinen Kontext zu stellen, was verrückt ist.
FSK: Wenn wir dies als Linke betrachten, dann sollten Empathie und Solidarität der Kern von allem sein, wir sehen stattdessen was ich vorhin als Opferbeschuldigung bezeichnet habe. Als Reaktion auf die zynische, superbrutale Art und Weise, Personen zu entmenschlichen und dies zu verbreiten und zu veröffentlichen.
D: Wir wissen, dass die Hamas beim Anschlag Broschüren von ISIS bei sich trugen, denn man fand sie auf den Leichen einiger Terroristen die in dem Kibbuz gefunden wurden. Es sind Textanleitungen, wie man angreift, psychologische Kriegsführung. Es geht darum, Angst zu schüren und diese sehr, sehr starken Bilder zu erzeugen und sie in den Netzwerken zu verbreiten.
Der Gazastreifen hat eine Grenze zu Ägypten, Ägypten weigert sich, die Grenze für Menschen zu öffnen, die den Gazastreifen verlassen wollen, außer für amerikanische Staatsbürger. Und ja, die Situation ist sehr, sehr komplex. Nur um diese Art von Komplexität im Alltag zu erklären: Ein Bekannter der am Samstagmorgen auf sehr brutale Weise getötet wurde, war einen Tag zuvor, am Freitag, damit beschäftigt einen Palästinenser aus Gaza abzuholen damit dieser medizinische Hilfe bekommt – eine Dialysebehandlung. So leben die Menschen hier. Israel besteht aus vielen verschiedenen Menschen: Juden die nicht viel gemeinsam haben außer dass sie Juden sind, israelische Araber, Palästinenser, Minderheiten. Es ist keine homogene Gesellschaft, wie man sie zum Beispiel in Europa sehen würde.
FSK:
Wie ist das Leben in Tel Aviv jetzt?
D: Es gibt Strukturen, die in den zurückliegenden Monaten während der Demonstrationen gegen die Regierung entstanden. Es gibt viele verschiedene Aktivisten und auch eine Menge lokaler Gruppen, Schuleltern, Künstler, Nachbarschaftswachen, eine Frauenliga und solche Sachen. Nichts davon hat mit dem Staat zu tun. Und all diese Leute sind hauptsächlich über WhatsApp- und Telegramm-Gruppen verbunden. Also eine sehr unmittelbare Kommunikation.
Auch die Aktionen waren sehr persönlich und lokal, aber überall! Wenn z.B. einer der Minister irgendwo draußen einen Kaffee getrunken hat, gab es eine Textnachricht. Dann sind Leute aus der Gegend sofort dazugekommen um gemeinsam den Politiker anzuschreien.
Wir sind also alle schnell verfügbar und da wir dies nun schon seit zehn Monaten tun, wurde diese Verfügbarkeit jetzt eine sehr starke Absicherung. Am Sonntagmorgen, begannen wir zu organisieren, eine Menge Dinge und zwar auf vielen, vielen Ebenen. Und jetzt haben wir ein Logistikzentrum.
Wir haben eine Gruppe von Künstlern, die mit Kindern arbeiten, oder wir haben Leute, die kochen 60.000 Mahlzeiten pro Tag. Und dann gibt es eine Gruppe von Leuten, die das Essen herumfahren, und alle sind Zivilisten.
Wir haben Hunderte von Menschen in verschiedenen Hotels unterbringen können. Jedes Hotel hat eine Gemeinschaft von Kibbuzim aufgenommen. Einige Menschen sind am Toten Meer, einige Gemeinschaften sind in Tel Aviv. Niemand sonst hilft ihnen.
In den letzten Tagen hat ist niemand zur Arbeit gegangen, die Kinder haben keine Schule. Alles ist geschlossen. Tel Aviv ist normalerweise ein sehr turbulenter, chaotischer Ort. Im Moment ist es super ruhig. Es ist wie COVID am Anfang.
FSK: Fühlst du dich einsam als als Gesellschaft, als Mensch, als Familie, mehr als früher?
D: Ich glaube, ich könnte weinen. Ja, es fühlt sich sehr einsam an, weil der Mangel an Empathie schockierend ist. Menschen, mit denen wir Beziehungen haben, weltweit, die im Bereich der Geisteswissenschaften oder im sozialen Bereich arbeiten. Das Schweigen dieser Menschen ist sehr schmerzhaft.
Wie können Feministinnen zum Beispiel, Vergewaltigungen in diesem Zusammenhang irgendwie akzeptieren? Wie kann jemand dabei zu sehen, wie Kinder entführt werden, oder ihre Eltern vor ihren Augen erschossen wurden? Wie kann jemand das sehen und akzeptieren und dazu schweigen oder es in irgendeinen Kontext stellen? Das ist kein Kontext des Terrors. Das ist Terror. Das war's.
FSK: Ich denke, es ist ein sehr seltsamer Geisteszustand. Wir müssen Mitgefühl für die Opfer des Anschlags zeigen und wir können sagen, wir können den palästinensischen Kampf für Freiheit und trotzdem nicht die Hamas unterstützen. Mit der Hamas kann es keine Solidarität geben.
D: Ja, genau. Und ich möchte diese Plattform nutzen, um daran zu erinnern, dass wir immer noch 199 Menschen vermissen, darunter Kinder und Babys. Jeder, der Druck auf die Regierungen ausüben kann, sollte helfen, unsere Leute zurückzubringen.
FSK: Danke, dass du heute bei uns warst.
(Dieser Text erscheint auch im Transmitter, der Programmzeitschrift des FSK)
Berlin-Mitte (Wedding), Luxemburger Straße: Geldautomat der Gaststätte »Pizza De Lux«. (wt)
(Vergangene Woche habe ich zweimal (!) komplett die Fassung verloren und Schüler:innen angeschnauzt, warum sie, wenn sie doch krank sind, in die Schule kommen würden – eine Schülerin pustete mir auf Nachfrage warum sie so weit abseits vom Schuss sitzt, entgegen, sie hätte einen Virus und wolle niemanden anstecken – die andere sagte, sie denke sie wird krank, war sich aber nicht sicher – beide schrie ich ungefiltert an und das sehr laut, dass es dabei nicht nur um ihre Gesundheit geht, sondern die aller! Schwarze Pädagogik? Die Vorstellung mir noch mal Covid „zu holen“ ist unerträglich für mich) (cab)
Mein schmaler Küchenkalender (diese anti-ästhetischen Gratisdinger mit Rezeptfotos, die Ende des Jahres an der Kasse bei Edeka rumliegen) weist links neben der Zahl der vergangenen Tage ein kleines selbstgezeichnetes Symbol aus. Es gibt kleine Kreuze, größere dickere Kreuze, ein Ausrufezeichen, den Buchstaben k und einen Tropfen. Bei einigen ist auch gar kein Symbol links neben der Zahl der vergangenen Tage zu finden. Diese Form der Dokumentation reicht bis März 2023 zurück und dauert an. Ungefähr da habe ich begonnen, festzuhalten, wann es im Monatsverlauf gute Tage gab – dann ein Ausrufezeichen. Davon gab es seit Mitte Januar (ab da viele „k“), als ich mir zum zweiten Mal Covid „geholt hatte“ gelegentlich welche. Das waren dann gute Tage, sprich ich konnte da wohl Dinge tun, leben, wie ich es für nOrMaL hielt. Kraft oder zumindest auch nur den Antrieb, sich mal mit irgendwem kurz zu treffen. Die Kreuze hingegen schlagen in die andere Richtung aus, sehr schlechte Tage also. Wobei das größere und dickere wohl mit der Wut zusammenhängt die ich beim Einzeichnen empfinde. Kleinere Kreuze weisen einen schlechten aber nicht ganz so schlechten Tag aus. Momentan, so seit einer Woche, sind da wieder viele Kreuze. Dazu Tropfen. Wenn ich meine Tage habe und Kreuze (also „Crash“ wie es bei Long-Covid heißt) ist es besonders ätzend. Da wandle ich durch den Tag ohne je auch nur kurz anzudocken. Krankschreiben lassen will, kann ich mich aber nicht mehr. Dann liege ich wie den halben Januar, den gesamten Februar und die erste Märzwoche hier allein auf meinem Sofa und fange an, durchzudrehen. Es ist das Perfide daran, damals schon – nicht zu wissen, wann ob und wie es aufhört diese unendliche Kraftlosigkeit, dieses ausgeschaltete Gehirn, dieses kein Gefühl mehr zum eigenen Körper zu haben und gleichzeitig auf jede komisch klingende Regung von ihm wie ein angeschossenes Reh zu reagieren. Ich war so verdammt oft bei meiner Ärtzin, nichts. Seit Anfang Juni liegt mein Reha-Antrag bei der RV. Anrufen kann man da nicht, kann man schon, geht aber niemand ran. Im August (Rezept: Eis-Sandwiches mit Mango-Eis und frischer Mango) finden sich in meinem schmalen Küchenkalender kaum Kreuze, stattdessen Ausrufzeichen. Da waren Sommerferien. Da war Energie wie früher. Jetzt nach 4 Wochen NoRMalEn Arbeitens wieder ein „Tal“, so nenn ichs. Damit können die Leute was anfangen. Long-Covid muss ja immer wieder erklärt werden. Und Ja, da in Rostock gibt’s die erste Klinik und Ja, man wartet 2 Jahre auf einen Termin und Ja, man zahlt dann alles selbst. Und Ja, anderen mit Long-Covid geht es viel schlimmer.
Ich habe zumindest noch die Wahl, Arbeiten zu gehen (hahahahaha) und nicht wie paralysiert liegend darauf zu hoffen, dass es bald besser wird. Und keiner weiß ob überhaupt. Ich gehe zur Arbeit und weiß dass der Tag dann nicht mehr viel hergibt, weil alle Kraft in die Arbeit floß. Das heißt auch dass ich dann am Wochenende einfach nur wieder Kraft tanke um Dienstag (Montag frei!) ans Werk zu gehen. Ich arrangiere mich damit, über ein halbes Jahr bringe ich jetzt damit zu, mich optimistisch oder zumindest nicht komplett fatalistisch an diesen Zustand der offenbar bleibt, zu gewöhnen. Das meint löffelweise meine Kraft (es gibt den Begriff der „Spoonies“) über die Kalenderwoche zu portionieren. Ich fange an zu rechnen am Anfang der Woche: Arbeitsleben vs. Privatleben abzuwägen. Für Spontanes ist da wirklich kein Platz. Verabredung mit mir ist: Näh!, nicht nach 18:30 Uhr, nichts Lautes und nicht so lange und haha Nein, keinen Alkohol. Ich gehe gegen 21 Uhr ins Bett. (Die ersten 5 Monate von 2023 war ich sozial quasi nicht existent. Es gab Verabredungen mit Freund:innen, die habe ich aber oft kurz vorher absagen müssen, irgendwann fragt dann niemand mehr.) Fettes, Süßes, Saures auch nicht. Essen ist auch so ein Thema, ich ernähre mich seit diesem Scheiß absolut und fast ausschließlich extrem gesund. Kaiserschmarrn mit heißen Kirschen (Rezept für September) schon mal gar nicht. Im „Betrieb“ habe ich Bescheid gesagt, dass ich wieder kürzer trete – sprich, den Unterricht so gestalte, dass er mich nicht überanstrengt, aus unsinnigen Meetings halte ich mich raus (wie Sie sehen, entgeht Ihnen gar nichts!) und auch sonst wird, wo es geht, Energie gespart. Bald sind auch wieder Herbstferien. Töricht! (cab)
... während auf dem Telefon-Display zu lesen ist: "Entschuldigung, zur Zeit gestört" (wt)
Kenneth Anger * 3. Februar 1927 in Santa Monica, Kalifornien als Kenneth Wilbur Anglemyer; † 11. Mai 2023 in Yucca Valley, Kalifornien
Nürnberg, Das Geschäft "Green Wave Nürnberg" bietet außer "umweltfreundlicher fairer Kleidung" auch Masken- und Informationsfreiheit an, wie zwei Schildern im Schaufenster zu entnehmen ist: #FREE ASSANGE" // "MASKE IM LADEN VERBOTEN". (wt)
Berlin. Ein erster warmer Tag. Man merkt es an den röhrenden Mietkarren, die von spinösen jungen Männern über den nächtlichen Mehringplatz (Fußgängerzone) gejagt werden.
(Ich bin ja finster entschlossen, die Lebensphase des grumpy old man voll auszukosten.) (dl)
Berlin, auf der Fassade eines Mietshauses am Pekinger Platz ist das Querdenken-Schablonengraffito "PANDEMIE GAB ES NIE" mit schwarzer Lackfarbe richtiggestellt. (wt)
Berlin-Mitte (Wedding). Sitzfläche einer Parkbank auf dem Campus der Berliner Hochschule für Technik: "Vandalismus macht mehr Spaß wenn man weiß was man schreiben soll." (wt)
"Diese Begeisterung für das Genie, die seither geradezu ein Kennzeichen des durchschnittlichen Bewußtseins geworden ist, konnte den Einfluß der großen Wirtschaftsführer darum so gut steigern helfen, weil im gegenwärtigen ökonomischen System die wirtschaftlichen Entwürfe tatsächlich weitgehend mit Divination, daß heißt mit Ahnungen verbunden sind. Für den kleinen Unternehmer liegen auch heute die Verhältnisse noch so wie während der liberalistischen Periode für die ganze Klasse. Bei seinen Dispositionen vermag er zwar frühere Erfahrungen heranzuziehen, seine psychologische Begabung und die Kenntnis der wirtschaftlichen und politischen Lage können ihm wohl zu Hilfe kommen, aber die Entscheidung über den Wert seines Produkts und damit auch seiner eigenen Tätigkeit fällt erst nachträglich auf dem Markt und enthält als Resultante aus den divergierenden, unübersichtlich wirkenden Kräften notwendig ein irrationales Moment." (Max Horkheimer, Studien über Autorität und Familie (Paris 1936))
Volle Auswahl im Spätkapitalismus (kj)
"Das so in Gang gesetzte Autoregime hält seine Subjekte in einem Zustand der permanenten Krise, da es sie im gleichen Maß vom Grund abhängig macht, wie es ihnen den Grund entzieht. Die so in Gang gesetzte Feedbackschleife fordert das Verwerfen und gleichzeitig permanente Neuformulieren des Grundes durch eine Perpetuierung der Angst. Dieser angstbestimmte Zug der Resilienz der Moderne führt dazu, dass der Mensch immer mehr zum Autosubjekt werden muss." (Kilian Jörg)
ARBEITET NIE!
Die Erfindung eines anderen Lebens
Chronik eines Verlags
„Wir sind ja keine Puristen, sondern Kämpfer.“
Hanna Mittelstädt unternimmt in diesem Buch Reisen in die Vergangenheit. Es sind eben diese Reisen, welche die Verbindungen zwischen den Buch-, Theater-, Platten-, Zeitschriftenprojekten des Verlags Edition Nautilus herstellen – lose assoziierte, sinnfällige, zwingende.
Das Schreiben über die ersten 40 Jahre des Verlags Edition Nautilus ist eine „Kontaktzone zwischen Vergangenheit und Gegenwart“. Eine „subjektive Chronik“, ausgepolstert mit Verlagskorrespondenz, gehoben aus Aktenordnern. Hanna blickt auf 30 Jahre analoge Projektarbeit, das heißt sichtbares Chaos (keine Cloud weit und breit), unfassbare Unordnung, Stapel und Haufen von Papier. 1996 begann der Mail-Verkehr.
Aber was soll schnöde Arbeitsplatzbeschreibung, entscheidend ist die Frage: Das gute Leben, wie geht das?
Pierre Gallissaires, Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt lernen sich 1972 im Versammlungslokal der Hamburger Anarchisten kennen. Pierre ist rund 20 Jahre älter und so frustriert vom Scheitern des Pariser Mai 1968, dass er sozusagen eine Auszeit in Hamburg nimmt, dort bringt er Hanna und Lutz und noch ein paar anderen damals noch sehr jungen Menschen die Situationisten nah – fast niemand wusste, wer oder was das ist.
Zum Selbstverständnis der „Subrealisten Bewegung“ (die Gruppe, zu der auch Lutz und Hanna damals gehörten), also wie es dazu kam, dass sie die irre Idee entwickelten, die Bücher, die sie lesen wollten, sich selbst zur Verfügung zu stellen – also einen Verlag zu gründen, schreibt Roberto Ohrt: „Zuerst kam die Dynamik, dann der Inhalt“ … „Im Lauf der Zeit erfassten wir die Ideen der Situationisten genauer, doch als es losging, kam die Vorstellung, die wir als ein Vorbild am Horizont zu sehen glaubten, überwiegend aus unseren eigenen Phantasien; das war – wir ahnten es nicht einmal ansatzweise – die Bedingung unserer Aneignung.“
Diese literarische, künstlerische Prägung durch den Situationismus ist von entscheidender Bedeutung, sucht man nach einer Erklärung für das unverbrüchliche Durchhaltevermögen der ersten 40 Jahre Nautilus, trotz fast durchgehend ärgster Finanznot.
So etwas übersteht man nicht allein und schon gar nicht in klassischen Betriebsstrukturen mit Businessplan und Marktanalyse, so etwas braucht wirklich die Erfindung eines anderen Lebens.
Die Texte der Situationisten entwarfen diese andere Praxis für ein anderes Leben, im damaligen Biesterfeld der K-Gruppen, nachfaschistischer Hegemonie, BRD-Muff, RAF und anderen bewaffneten Fantasien – etwas anderes als krasse Konfrontation mit der Staatsgewalt, Knast und Selbstmord.
Eine andere Spur tat sich auf, die sich verfolgen ließ, ohne sich mit der Gewalt der herrschenden Ordnung gemeinzumachen.
Hanna dazu: „Wir waren für einen Kampf, der in seiner Form schon die künftige Freiheit in sich trug, der vielfältige Lebensweisen außerhalb jeder Form der Verdinglichung ermöglichte, der Kritik und Analyse, Spiel und Lust nicht in die Zwänge des Guerrilakampfes presste.“
Im Laufe der Zeit schwimmt die Nautilus sachte hinaus aus der Subkultur und gerät mitten hinein in die Tücken der Professionalisierung: Rechte klären, einhalten, einklagen, gewähren, Lizenzen aushandeln, Vertreter anfeuern, abrechnen … hochgradig uninspirierend, und je professioneller das Unternehmen, umso aufdringlicher, notwendiger – gefordert nicht nur von Autor*innen, sondern auch notwendig zur Abwehr großmäuliger, besser gestellter Branchen-Kollegen.
Hanna ist im Kreise der Genossen die „tapfere große Schwester“ (nicht nur, weil sie es auch ist, die dieses Buch schreibt, als Letzte der drei Gründungsmitglieder des Verlags), sie ist die Vernunft, das Taxi, die Buchhaltung, das Lektorat, die Schlichtungsstelle, zuständig für Übersetzungen und Verträge – zuständig auch dafür, die im Überschwang der Begeisterung gemachten Versprechen einzulösen.
Das Buch ist schön.
Serifenlose kurze Zitate stoppen oder starten neue Ketten von Assoziationen, breit und kursiv laufen die originalen Briefe (und weitere Quellen) vieler verschiedener Beteiligter am U-Boot-Projekt Nautilus (die Briefe allein verdienten eine gesonderte Betrachtung: Die Prosa ist ausschweifend, elliptisch, witzig, verzweifelt, romantisch und uferlos – eine ausgestorbene Kommunikationsform).
Eingerückt laufen Hannas Erklärungen, Reflexionen und Reisebeschreibungen – dabei mit schönster Selbstverständlichkeit die historischen mit den aktuellen Reisen verbindend. Das macht das Buch ganz besonders wunderbar, in der Kombination und Verschränkung der Zeiten erfüllt sich das Diktum einer weiteren für das Projekt Nautilus wichtigen Person: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“ (Francis Picabia). Und wirklich ständig ist man lesend dabei, von heute aus in die 70er, 80er, 90er zu schauen, zu springen oder zu fallen oder andersherum von den 70ern aus Richtung heute zu schleudern – von den Kämpfen der Zappatisten zu G20 in Hamburg, von Barcelona nach Chiapas und wieder hin und zurück nach Bergedorf und zum Rasten ins winzige Strandhaus in Rissen. Welches immer von den Elbesturmfluten bedroht ist, wie der Verlag von der Pleite. Texte dieser Art lassen sich nicht schnell lesen, worum es auch gar nicht gehen kann. Denn, so Hanna in anderem Zusammenhang: „Wir sind ja keine Puristen, sondern Kämpfer.“
Manches Mal fließt der Text träumend verwundert, allerdings nicht wegen der schier unübersehbare Masse von Irrsinnsprojekten, wunderbaren, anstrengenden und hinreißenden Menschen und großartigen Büchern, die im Laufe von 40 Jahren für das Gelingen des Verlags sorgten, sondern nur wegen einer ganz bestimmte Farbe des Himmels oder des zauberhaften Blaus einer Meeresbucht. Es wird überhaupt viel geschwommen in diesem Buch. Der Nautilus-Muschel gemäß.
(nor)
ARBEITET NIE!
Die Erfindung eines anderen Lebens
Chronik eines Verlags
Broschur, Umschlag aus Archivkarton, 50 S/W-Abbildungen, 360 Seiten, Edition Nautilus, 2023
978-3-96054-317-6, 28,00 Euro
Berlin. Die Ansammlungen verwirrter RentnerInnen vor Apotheke und Supermarkt deuten darauf hin, dass der neue Feiertag im Kiez noch nicht vollständig angekommen ist. (dl)
zum internationalen frauentag, eine annonce ...
"Thermischen Hodenverhütung.
Was ist das überhaupt für eine Methode?
Die Idee der thermischen Hodenverhütung ist ganz einfach: Die Platzierung der Hoden im unteren Teil des Bauches führt dazu, dass sich die Hoden um 2°C erwärmen, was die Spermatogenese verhindert. Für die Anhebung der Hoden wurden unterschiedliche Verhütungsunterhosen erfunden. Um eine verhütende Wirkung zu erzielen, muss die Unterhose 15 Stunden am Tag getragen werden. Nach 3 Monaten kann dank einer Spermienanalyse, die als Spermiogramm bezeichnet wird, festgestellt werden, ob die Fruchtbarkeitsschwelle unterschritten wurde.
Die Unfruchtbarkeit kann wieder rückgängig gemacht werden. Bisherige Studien haben gezeigt, dass Menschen, die 3-4 Jahre lang die thermische Hodenverhütungsmethode angewendet haben, später noch Kinder bekommen konnten, ohne dass irgendwelche Probleme beobachtet wurden.
Wenn du Bock hast, dich mit deiner Verhütung aus einer DIY- und pro-feministischen Perspektive auseinanderzusetzen und solche Verhütungsunterhosen nähen möchtest, dann komme gern vorbei ..."
Rasenbank. - Das Verhältnis zu den Eltern beginnt traurig, schattenhaft sich zu verwandeln. Durch ihre ökonomische Ohnmacht haben sie ihre Schrecken verloren. Einmal rebellierten wir gegen ihre Insistenz auf dem Realitätsprinzip, die Nüchternheit, die stets bereit war, in Wut gegen den Nicht-Entsagenden umzuschlagen. Heute aber finden wir uns einer angeblich jungen Generation gegenüber, die in jeder ihrer Regungen unerträglich viel erwachsener ist, als je die Eltern es waren; die entsagt hat, schon ehe es zum Konflikt überhaupt kam, und
daraus ihre Macht zieht, verbissen autoritär und unerschütterlich. Vielleicht hat man zu allen Zeiten die Generation der Eltern als harmlos und entmächtigt erfahren, wenn ihre physische Kraft nachließ, während die eigene selber schon von der Jugend bedroht schien: in der antagonistischen Gesellschaft ist auch das Generationsverhältnis eines von Konkurrenz, hinter der die nackte Gewalt steht. Heute aber beginnt es auf einen Zustand zu regredieren, der zwar keinen Ödipuskomplex kennt, aber den Vatermord. Es gehört zu den symbolischen Untaten der Nazis, uralte Leute umzubringen. In solchem Klima stellt ein spätes und wissendes Einverständnis mit den Eltern sich her, das von Verurteilten untereinander, gestört nur von der Angst, wir möchten, selber ohnmächtig, einmal nicht fähig sein, so gut für sie zu sorgen, wie sie für uns sorgten, als sie etwas besaßen. Die Gewalt, die ihnen angetan wird, macht die Gewalt vergessen, die sie übten. Noch ihre Rationalisierungen, die ehemals verhaßten Lügen, mit denen sie ihr partikulares Interesse als allgemeines zu rechtfertigen suchten, zeigen die Ahnung der Wahrheit an, den Drang zur Versöhnung des Konflikts, den die positive Nachkommenschaft fröhlich verleugnet. Noch der verblasene, inkonsequente und sich selbst mißtrauende Geist der Älteren ist eher ansprechbar als die gewitzigte Stupidität von Junior. Noch die neurotischen Absonderlichkeiten und Mißbildungen der alten Erwachsenen repräsentieren den Charakter, das menschlich Gelungene, verglichen mit der pathischen Gesundheit, dem zur Norm erhobenen Infantilismus. Mit Schrecken muß man einsehen, daß man oft früher schon, wenn man den Eltern opponierte, weil sie die Welt vertraten, insgeheim das Sprachrohr der schlechteren Welt gegen die schlechte war. Unpolitische Ausbruchsversuche aus der bürgerlichen Familie führen in deren Verstrickung meist nur um so tiefer hinein, und manchmal will es scheinen, als wäre die unselige Keimzelle der Gesellschaft, die Familie, zugleich auch die hegende Keimzelle des kompromißlosen Willens zur anderen. Mit der Familie zerging, während das System fortbesteht, nicht nur die wirksamste Agentur des Bürgertums, sondern der Widerstand, der das Individuum zwar unterdrückte, aber auch stärkte, wenn nicht gar hervorbrachte. Das Ende der Familie lähmt die Gegenkräfte. Die heraufziehende kollektivistische Ordnung ist der Hohn auf die ohne Klasse: im Bürger liquidiert sie zugleich die Utopie, die einmal von der Liebe der Mutter zehrte.
Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Reflexionen aus dem beschädigten Leben
post von der gräfin:
Ich glaube, Ich möchte meine beiden Wohnungen fertig stellen, am Liebsten dieses Jahr
. . .
hotel = galerie und je suis une galeriste . . .
Beide gut untervermieten und nach Prag ziehen.
In die Nähe vom Mineralien Museum, in Prag, eine Wohnung beziehen mit hohen Decken.
Dordogne ist sehr heiss und «sehr klein».
Afghanistan ist nach wie vor the place to be ; die familiären Angriffe gehen hier verstärkt weiter.
[Jetzt gehts ums Familiengrab, eine feindliche Übernahme des Grabes (Stiefvater von meinem Vater), an den Unkosten vom großen Familien-Grabstein sollen wir uns zu einem Viertel beteiligen und T. geht d’accord und ich .. will da (nicht) hin, lieber im Tuch als Ganze, ganz woanders.]
Und so geht es (nicht) weiter.
Ich erkläre es ~ Prag ~ Euch später.
Meine Tante hat mir 57 Ringe mit Steinen vererbt, viele aus Nepal, Tibet.
Ich trage diese, bis zu Sechs pro Hand, zwei sehr Schöne habe ich gestern im Garten verloren.
Ich zeichne eine russische Ikone, Jesus, aus der Nationalgalerie in Prag, mit Nimbus, 9 Steine und phantasiere einen Beckengrund daraus,
für ein kleineres Becken, für den Schuppen, an der Schlei.
Am 18. Mai ist in Kappeln mein kurzer und prägnanter Auftritt anlässlich des 85. meiner Mutter
Ich glaube, Sie würde sich freuen wenn ich insgesamt mal weg ziehen würde.
Meinerseits ist es ein Wunsch.
Petersburg kenne ich noch nicht.
«Ich brauche eine Wohnung»
In Prag.
Danke
Die Maskenpflicht im ÖPNV Berlin fällt am Tag des Blasiussegens, der «vor Halskrankheit» schützen soll ...
Die Textem AG bedauert die Entscheidung, sieht aber angesichts der gegenwärtigen Situation keine andere Möglichkeit, als die Portokosten auf der Website - auch auf internationalen Druck hin - geringfügig anzupassen. Ob die Bonuszahlungen an den Vorstand von diesem Schritt ebenfalls betroffen sein werden, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kein Gegenstand der Optimierungsbemühungen der Verlagsholding.
a. sitzt in seinem neuen auto und spricht mit dem navigationsgerät. er will in die mendelssohnstraße. eilfertig und beflissen wiederholt die navigation hähnchenrestaurant, und beginnt sogleich in der näheren umgebung nach solchen restaurants zu suchen.
auch a.s dritte wiederholung, die mit immer größerer wut die mendelssohnstraße fordert, kann die maschine nicht von der fixen idee des hähnchenrestaurants abbringen. (nor)
Berlin-Mitte (Wedding), auf einer Werbevitrine der Leo-Apotheke klebt ein zerfledderter Hinweis auf eine (geschlossene) Corona-Teststelle in der Nachbarschaft. (wt)
Die beiden reden über Wirtschaft wie andere über Religion: FAS-Redakteur Dennis Kremer im Gespräch mit dem Ökonomen und ehemaligen EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing. "Kremer: Herr Issing, Misstrauen gegenüber Kapitalismus und Marktwirtschaft sind in Mode. Sie sind 86 Jahre alt. Hatten Sie selbst in Ihrem langen Leben nie solche Zweifel? Issing: Von solchen Anfechtungen bin ich verschont geblieben." (dsz)
weil unterm weihnachtsbaum aus dem kinderbuch hilfe, die herdmanns kommen vorgelesen wurde, im wechsel mit der weihnachtsgeschichte bei lukas - was ein angemessenes durcheinander schafft - erinnert b. ihre mündliche prüfung im ersten juristischen staatsexamen: da sie angst vor einer denkblockade hatte, lernte sie sämtlichen stoff kurzerhand auswendig, am morgen der prüfung, steht sie vor dem spiegel um den text abschließend zu memorieren und heraus kommt: die weihnachtsgeschichte − Lukas 2:1-14
(nor)
3. Advent. Die Verlegerin meldet sich, dass sie in meiner Stadt bei einem Bücherbasar ist. Ich antworte mit einem Like. Willi und ich machen eine vorgezogene Bescherung. Ich bekomme eine Vase der Halleschen Form und schenke einen Wasserkessel im Kegel-Look. Und einen Kaffeefilter, von dem Willi behauptet, dass er den selber bezahlt hätte. Der gehäkelte Kissenbezug mit einem Muster, das aussieht wie Willis neueste Arbeiten, zu dem ich zufälligerweise eine Anleitung gefunden habe, wurde leider nicht fertig, da Willi am Abend zuvor spontan aufgekreuzt ist. Ich habe mir zwei Tage vorher den Zeh gestossen, war am gleichen Abend beim Yoga und der Zeh ist ein bisschen entzündet. Ich mache ein Fußbad und hinterher drücken Willi und ich den Eiter raus und schmieren Teersalbe drauf.
Wir gehen zu einem von einer Freundin von Willi organisierten Weihnachtskonzert. Sie ist aus Dänemark und die skandinavischen Lieder wirken in der spärlich beleuchten Kirche besonders dunkel und getragen. Die Kirche ist ein moderner Betonbau mit viel Holzverkleidung. Ich denke an eine Dozentin aus dem ersten Semester: «Gott wohnt auch im Bimsbeton!» Beim letzten Lied breche ich plötzlich in Tränen aus und heule unter der Maske. Kurz nachdem ich aufhöre, ist auch das Lied zu Ende und mit ihm auch das Konzert. Es gibt einen Umtrunk im Gemeindesaal, der auch als Wärmestube genutzt wird und genau diesen Charme ausstrahlt. Ich trinke Glögg und überreiche der Gastgeberin total gelöst ein Paar von mir gehäkelte Topflappen.
Heute ist die Weihnachtsfeier meiner Abteilung, aber ich hatte schon lange vor der Ankündigung die Spätschicht abbekommen und bin nicht sauer darüber. Die halbe Abteilung fehlt wegen Krankenstand. Ich habe morgen frei und gehe auch deswegen nicht zur Feier der gesamten Firma. Ich will am Samstag zu meinen Eltern und brauche keinen zusätzlichen Ärger. Tini, Thea und viele weitere haben oder hatten gerade Corona. Ich kann das jetzt nicht brauchen.
In meiner neuen Vase stehen jetzt getrocknete Ähren, Hagebutten und Disteln, alles daran erinnert mich an mein Dorf, weil es dort sehr viel von all diesem gibt. Ich habe für die Kirchengemeinde im Dorf den größten Herrnhuter Stern im Auftrag meiner Mutter bestellt, der dieses Jahr zu Weihnachten zum ersten Mal aufgehängt wird. Heute morgen war ich spontan einen Ministern für mich kaufen. Wieviel Strom braucht eine LED?
Wir wollten zu Willis Eltern zum Kaffeetrinken fahren. Aber sein Vater kommt kurzfristig in die Reha und es wird deswegen nichts daraus. Die Einrichtung ist weit draußen. Willi ist deshalb am Abend vorher zu seinen Eltern gefahren; auch weil man den Vater dort nicht besuchen kann. Am nächsten Morgen höre ich zuerst mal von Emir Deodato «Baubles, Bangles and Beads» in Dauerschleife – FEELGOOD! Vor allem, wenn es sich richtig schön festsetzt. Eine Yogameditation wird damit unmöglich. Noch zwei Tage bis zum 4. Advent. Die Verlegerin textet mir, dass sie schon wieder bei einem Bücherbasar in der Hansestadt teilnimmt. Ich antworte nicht. (pp)
Eigentlich ganz gut daran erinnert zu werden, dass elf Uhr ist − Warntag. (of)
Region Penacova
(Mögliche Metaphern.)
Die Menschen, die als Autofahrende gehen, haben einen Schlendergang, der nichts mit dem Gehen als Fortbewegung gemein hat. Ihr Gang ist keiner der sich eine Distanz erschliessen muss, sondern einer der eigentlich dem Sehen dient.
Mit einem Mal waren Hänge grossflächig abgerutscht. Steine von weit unten hatten sich schon lange herausgelöst und waren gut sichtbar an die Strassenränder gerollt und feine Risse in Felsen wurden für aufmerksame Beobachter auch schon länger offenbar, aber dann lösten sich ganze Hänge von ihrem Zusammenhang mit dem Massiv. Anders als vorher, die Steine in ihrem Rollen meist ungesehen irgendwann zerstückelt und getrennt einfach woanders lagen, konnte die Loslösung der Hänge nicht unbemerkt von Statten gehen. Was zum Hang gehörte, musste unvermeidlich an der erst langsamen, dann rasant werdenden Ablösung teilhaben. Während der Trennung vom Massiv, war es ein langsames Auseinanderziehen der Bestandteile gewesen. Jedes Korn an den Rissrändern befand sich in der Zerreissprobe des entweder noch am Massiv haften bleibens oder sich von der ziehenden Bewegung mitreissen zu lassen und wie das Dasein vorher noch der Art des immerwährenden Verbunds mit dem Umsichseienden am nächsten kam, war es im Wegrollen plötzlich singulär von einer bisher unbekannten rasanten Bewegung erfasst, die mit dem vorherigen Stillstand an Ort und Stelle nichts mehr gemein hatte. Es gab nur die Bewegung in der Zeit, ein Runterpurzeln, immer wieder am Massiv anstossend wegprallend, um mit noch grösserer Geschwindigkeit in dieses unbekannte Fallen geschleudert zu werden. Der Aufprall aber, der vorher die Steine am Strassenrand gestoppt hatte, blieb aus. Es war, als hätte sich die Erde als Scheibe selber gekippt.
Der kleine Junge heute im Auto, wie er mich auf dem Fahrrad angeschaut hat, mit dieser Mischung aus Erstaunen und Erfüllung, als wäre es schlagartig vorstellbar geworden, diese Hügel auch als normaler Mensch, und nicht in Sportsmontur, aus eigenem Antrieb zu erklimmen.
Und dann während dem Feuer machen, laut „Fire“ von Arthur Brown hören. Mindestens dreimal hintereinander. (nn)
Berlin-Mitte, Amsterdamer Straße: Am Eingang eines Mietshauses ist ein Firmenschild mit mit einer Tafel verhängt, auf welcher eine sprayende Taube mit Irokesenschnitt "KUNST STATT KAPITAL" fordert. (wt)
Morgens berichtet A. vom Besuch bei ihrer Schwester in E., die sich gerade einen kleinen Hund angeschafft hat. Sie war in einer depressiven Phase, kam oft tagelang nicht aus dem Haus und blieb im Bett, aber jetzt hat sie einen Grund, morgens aufzustehen und rauszugehen. Der Hund tut ihr sehr gut, er bringt wieder etwas Struktur in ihr Leben und sie kommt unter Leute.
Am frühen Abend ist es schon dunkel, aber das Flutlicht vom Sportplatz strahlt stellenweise in den Park hinein. Der fahle Schein bewirkt eine Art Nachtblindheit, durch den Kontrast ist im Schatten keinerlei Kontur mehr erkennbar. Die zahlreichen Hunde sind nur dank ihrer LED-Halsbänder als bunte, stets bewegte Punkte oder Streifen zu sehen. Wilde Begegnungen, aufgeführt als elektrischer Reigen im Nichts, während die herumstehenden Grüppchen von Herrchen und Frauchen in der raumlosen Schwärze fast verschwinden. (ow)
Den Hater kennzeichnet eine wirklich schockierende Treulosigkeit: Merkel, die gestern noch die weizenblonde Heimat listig ins Verderben riss, war vergessen, kaum, dass Habeck die Ernennungsurkunde in der Hand hielt. Es verhält sich ein bisschen wie nach Maßgabe von Klossowskis Definition der Sexualität des Libertins: Während die Wiederholung des Aktes über demselben Objekt den Wert des Objekts erhöhe, erhöhe in der Libertinage die Wiederholung des Aktes über einer unendlichen Reihe von Objekten den Wert des Aktes. Hier wird gehasst wie besseren Orts gevögelt. (dl)
«Der Weg ist nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert.» – Heiner Müller
(pp)
Bestimmt kein Zufall, dass die „Leugner“ bei mir die gleiche Demoroute nutzen wie die „Pro Psychische Gesundheit“-Demo − aber in die Gegenrichtung … (pp)
Man muss schon ziemlich versaute Chromosomen haben, um zu verbreiten, dass Russlands Zivilität nicht durch Krieg, Folter, Vergewaltigung und Lüge bedroht ist, sondern durch − Homosexualität. (dl)
Also ich habe gestern noch eine Gruppe niedersächischer AfDler, die den Weg zum Bahnhof erfragte, charmant in der U-Bahn nach Pankow untergebracht. Mehr kann ich für meine alte Heimat hier nicht tun. (dl)
Schade, dass ich gerade nicht schreibe … Sonst könnte ich schreiben, dass Willi auf den Weg zum Bahnhof seine Handtasche hat liegen lassen … und dass wir dann nicht eingestiegen sind … die Polizei vor 9 Uhr schon da war … bis 13 Uhr alle Dokumente schon neu beschafft waren … und danach der Zug für hunderte von Euro neu gebucht wurde - weiterhin 1. Klasse natürlich … und wir es heute rechtzeitig zum richtigen Zug ins Tessin geschafft haben … Wirklich sehr schade! (pp)
Wie viele Paare heiraten dieses Jahr eigentlich noch? Woher kommt diese Vermählungswut? Wir waren diese Woche schon wieder zu einer Hochzeitsfeier eingeladen, diesmal sogar unter der Woche. Vermutlich, weil am Wochenende schon alles mit anderen Hochzeitsfeiern belegt ist. Ich habe langsam keine Lust mehr, denn mein Topflappenvorrat schwindet und der Druck selber zu heiraten steigt. «Hat gar nicht weh getan», meinte die Braut zu Willi.
Die Queen ist tot. Im Zuge dessen erinnere ich mich an meine große Liebe für britische Popmusik der 90er. und 80er. Diesmal an alles vom Produzententrio Stock Aitken Waterman. Die Höhepunkte meines aktuellen Pop-Fetischs sind, dass ich das einzige Album der Band Big Fun «A Pocketful of Dreams» auf CD bestelle. Am Nachmittags höre ich immer den gleichen Mix mit dem Titel «Cheer Up!». Wenn man nach einer Stunde noch kein Kopfweh davon hat, bekommt man auch keines mehr. Abschnittsweise tanze ich dazu. Ausserdem fange ich an, die bisher 430 zweistündigen Folgen der «Britpop Revival Show» zu hören. Jeden Tag eine, gleich nach dem Aufstehen. Das sorgt für Power!
Am Mittwoch hole ich die Ergebnisse bei der HNO-Ärztin ab, die mich ins Schlaflabor überweist.
Am Freitag fange ich an, für den Weltkulturerbelauf 2023 zu trainieren. Gleich nach meinen läppischen zwölf Runden fühle ich mich noch absolut großartig, aber ich bekomme ein bisschen Schnupfen und abends bin ich krank. Bravo.
Die Fahrt zu meinen Eltern sage ich am nächsten Tag ab. Meine Mutter, die ein paar Tage vorher noch fragte, ob sich ein dreitägiger Besuch überhaupt lohnt, war doch enttäuscht. Bei ihnen hätten «jetzt auch alle die Grippe». Mir ist es gerade egal. Dann muss ich jetzt wenigstens nicht gleich schon wieder über Gräberkram reden. Und mich nicht von Oktoberfest-Bierleichen im Zug vollkeimen lassen. Ich schätze, dass ich nun den Geburtstag meines Vaters, an dem die Beerdigung der Queen ist, im Bett verbringe und TV schaue.
Ich lese von Charles Bukowski «Der Mann mit der Ledertasche», sein erster Roman über seine Zeit als Briefträger, den habe ich zufällig mal auf der Straße gefunden, weil mir das Comic-Cover gefallen hat. Ich war früher Briefträger und empfehle dieses Buch nur, wenn man Hintergrundwissen aus der Branche hat.
Ich schaue abends regelmäßig «The Queen lying-in-state». Kommt bestimmt auf DVD, als Dokumentarfilm oder als Videoinstallation auf einer Biennale. Die tote Queen im Sarg und die Vorbeipilgernden wirken beruhigend auf mich. Endlich mal wieder Ruhe. Keine Aufregung über Kinkerlitzchen und den Pfusch der anderen. Kein Irrsinn mehr, sondern Stille. Herrlich!
Nebenbei häkele ich Waschlappen als Geschenk für die nächste Hochzeit.
«Tinkety tonk old fruit, & down with the Nazis!»
(pp)
(Berlin)
Im Café die drei unfassbar unfreundlichen Schwestern aus dem hiesigen Altersheim. Sie fragen schon bei der Bestellung, wo ihre Bestellung denn bleibe. Die humanistisch trainierte Cafébesitzerin nennt sie die Phorkyaden. (dl)
Eine Freundin, der ich den Potsdamer Teil des Tocotronic-Konzertes schenke, denn ich habe keine Zeit, beschwert sich vom Open Air aus, dass nur «Olaf Scholzens und Lars Eidingers» da seien. Ich antworte ihr, dass es ja bald dunkel wird. Am Samstag bestelle ich das «Schlangenritual» von Aby Warburg aus dem Bibliotheksarchiv. Wer schiebt sowas ins Archiv ab? Und verlängere gleich online meinen Ausweis, weil überall auf der Website eine rote Meldung steht: «Ihr Ausweis läuft bald ab, verlängern Sie jetzt!». Na gut, mache ich das eben gleich online, obwohl er noch einen Monat gültig ist. Sonntag gehe ich hin, um das Buch abzuholen. Der Ausweis funktioniert nicht. Jemand erklärt mir, dass er seit meiner Online-Verlängerung nur für Online-Dienste gültig ist. Und den jetzt jemand freischalten muss, aber am Sonntag ist von denen, die das dürfen, niemand da. Ich flippe aus und nehme mir vor, wenn ich wieder hingehe, richtig freizudrehen und mit meinem Behindertenausweis um mich zu schlagen. Mein Ziel: Hausverbot (aber keine Anzeige). Montag habe ich einen Arzttermin, zu dem ich in der Mittagspause mit dem Fahrrad sause. In der Warteschlange bekomme ich einen Anruf von Unbekannt. Irgendwoher höre ich: «Müssen leider … Termin … absagen …». Ich ahne, dass es mein Termin ist, renne zum Schalter und werde gefragt: «Warum gehen Sie denn nicht ans Telefon?» «Na, weil ich hier in der Schlange stehe!!!» Ich bekomme schließlich mein Kästchen, das meine nächtlichen Atemaussetzer beobachten soll, nachdem ich mich dagegen wehren musste, weggeschickt zu werden. Willi war neulich vier Stunden mit dem Vater im Rollstuhl in der BVG wegen eines Arzttermins unterwegs: Sie mussten wieder gehen – die Praxis war ohne Ankündigung zu. Zuhause angekommen bin ich total verschwitzt, weil es sehr viel wärmer geworden ist. Ich nehme ein Küchentuch und schlage vor Wut auf die Heizung ein, bis der Staub dahinter hervor fliegt. Jemand antwortet mir nur noch kurzfristig auf Treffensanfragen und auch erst dann, wenn ich inzwischen anderweitig verabredet bin und beschwert sich in Verkehrung der Tatsachen, mit: «Das war doch dein Vorschlag? Will kein Pausenfüller sein!» Ich stelle die Konversation auf stumm. Und andere gleich mit. Wie lange soll das so weitergehen? Was ich auch noch als meine Fehler in die Schuhe geschoben bekomme? Jemand klampft weinerliches Zeug im Hof zu mir herauf. Zuerst bin ich angetan, aber das Mittelstandskind hört einfach nicht damit auf. Ich stelle meine Boombox in voller Lautstärke mit dem Mix «It’s Ecstasy» ins Fenster. Nach einer Weile gibt die Gegenseite auf. (pp)
(niedersachsen)
der vater steht in seinem provisorischen gewächshaus — was er selbstverständlich „tropeninstitut“ nennt — und studiert pflanzanleitungen.
er vermutet ein neues problem mit schädlingen und fragt sich woran man die „to-pferde“ erkennt, sind das pferdeartige, vierbeinige milben?
sie müssen ja sehr klein sein, wenn sie in den blumentöpfen wohnen. (nor)
(Berlin)
Überlege jetzt schon, ob ich nächstes Jahr wieder nach Hamburg zu Tocotronic in den Stadtpark fahre. Andere fahren schließlich jedes Jahr zu Wagner nach Bayreuth!
Im Urlaub habe ich keine Nachrichten gelesen, außer mehrere Artikel über das Helene-Fischer-Konzert vor 120.000 Fans in München. Wir hörten kein Radio im Auto (CDs am Straßenrand waren dort leider nicht zu finden). Zweimal haben wir zufällig Nachrichten geschaut. Nach der Meldung, wie umweltschädlich die als umweltfreundlich vermarkteten Holzpellets tatsächlich sind, habe ich schlecht geschlafen.
Willi erreichte die Nachricht, dass er nicht für ein Stipendium auf einer Insel ausgewählt wurde, bei der Feier der Goldenen Hochzeit. Er trug es mit Fassung. Ich hatte mich darauf gefreut, sein Fahrer zu sein und möchte zu seinem 40. nächstes Frühjahr dorthin fahren.
Die Feier ging königliche drei Tage: Freitag, der tatsächliche Hochzeitstag informell für alle Uneingeladenen und Dahergelaufenen Zuhause, Samstag mit den Geladenen im Restaurant und Sonntag für einen Teil der Eingeladenen und Nachzügler:innen ebenfalls zuhause. Es gab viel Fleisch, Milch und Zucker – also Ungesundes und Umweltschädliches. Bei der Feier musste ich mir Erzählungen von Flugreisen zu einer Mittelmeerkreuzfahrt anhören – ganz so, als ob gar nichts wäre. Ich hätte kotzen können!
Das Wetter war sehr gut bis gut. Wir waren mit dem E-Bike meines Vaters und dem Rad meiner Tante unterwegs ins Schwimmbad und auf einer Tour, die ich letztes Jahr mit meinem Vater gemacht und mit einer App aufgezeichnet hatte. Sie geht zwei Stunden, ich kann sie mir nicht merken und hatte mich einmal ohne die Aufzeichnung komplett verfahren und landete im Matsch. Arztbesuch mit meiner Mutter. Mit meinen Eltern im Wallfahrtsort Vierzehnheiligen. Abends um zehn saßen wir immer auf dem Balkon, damit Willi seine drei täglichen Zigaretten rauchen konnte. Am Samstag hörte man «Allein in Amsterdam» von Cora gegrölt zu einem Akkordeon auf der Geburtstagsfeier eines Nachbarn. Zum ersten Mal bei meinen Eltern: Analsex und ein heiliges Amt bestellt, aber bestimmt nicht als Abbitte!
Meine Eltern, also vor allem mein Vater, wollten mit mir am Montagmorgen nach der Feier über ihre Beerdigung reden: Sie wollen doch verbrannt werden und das Familiengrab soll aufgelöst und Urnengräber reserviert werden. «Der Tag ist für mich gelaufen», meinte meine Mutter. Meine Mutter weinte. Ich weinte. Willi war genervt, dass er mit hineingezogen wurde. Meinem Bruder schien es komplett egal. Dabei wollen sie, dass er sich nicht um das Grab, aber vor allem nicht um das tägliche Gießen im Sommer kümmern muss.
Zurück in Berlin übernachtete ich bei Willi. Als wir ankamen, stellten wir fest, dass wir Berlin nicht vermisst hatten. Eine Freundin aus Hamburg war bei mir einquartiert und so kam ich erst zum Frühstückskaffee in meine Nordseitenwohnung. Ich war froh, dass die prominenten Toten ihr Ableben in meinen Urlaub datiert und mir somit einiges an Arbeit erspart hatten. «Heute sterben nur normale Leute und Soldaten!» meinte meine Besucherin dazu und nach zwei Stunden: «Bei dir ist es aber kalt!» und verschwand. (pp)
Ich war wirklich in Hamburg mit dem Verleger im Verbrenner unterwegs. Schon am Samstagabend waren die Straßen wegen eines Radrennens teilweise gesperrt und manche Busse fuhren nicht mehr. Am Sonntag früh auf dem Balkon war unser Plan noch, in die Lüneburger Heide und zu einem Schwulenbadesee zu fahren. Auf der Brücke zur Autobahn Richtung Elbtunnel sahen wir jedoch schon von oben den Stau und entschieden uns deshalb spontan für die Schiffsbegrüßungsanlage. Bye-bye Heideblüte und Männer! Auch diese Tour wurde durch das Radrennen erschwert, aber wir schafften es. Für einen schnell neu im Internet ausgesuchten See verpassten wir die Abzweigung und landeten auf der Autobahn. Also fuhren wir zu einem überraschend tollen Naturbad, der Umweg lohnte sich. Ich hatte auf dem Weg aus einem «Zu verschenken»-Karton am Gartenzaun eines Vororthäuschens den Soundtrack zu Pedro Almodóvars «Hable con ella» auf CD mitgenommen, den wir im Auto hörten und der die Spannung ins Unermessliche steigerte. Zum Glück passierte nichts. Ausnahmsweise bin ich früh schlafen gegangen.
Ich komme aus der Schatzstadt zurück und sofort gibt es auf einmal so viel zu regeln, dass ich eine Tinnitusattacke bekomme. Ich kenne das schon: Sehr müde plus zu viel gleichzeitig «um die Ohren» und dann: TILT! Sie klingt zum Glück schnell ab, aber ich habe Angst, dass was zurückbleibt. Ich habe bereits Reste von früheren, das reicht mir, und keine Lust auf zusätzliche Rennerei durch Arztbesuche und Stress durch Cortisonschlucken. Ich nehme nur eine extra Dosis Magnesium, lege mich ins Bett, schlafe und lese dazwischen weiter Fake Accounts von Lauren Oyler. Ich höre, wie vor meiner Abreise, die ersten vier Hamburger Tocotronic-Alben durch; diesmal chronologisch rückwärts. Ich muss nicht dabei heulen. Diesmal nicht! Mein vermutlich letztes Tocotronic-Konzert ist vorbei. Bei wie vielen war ich? Ich habe keine Ahnung, nur dass ich jedesmal ausgeflippt bin. «Schon drei Uhr morgens und ich fühl’ mich fein. Willst du nochmal Sprudel in den Wein?»
Abends gehe ich zum Pilates, zum ersten Mal nach den Sommerferien wieder in der Turnhalle und nicht auf der Wiese. Mittwoch fahren wir für eine Woche zu meinen Eltern, meine Tante feiert ihre Goldene Hochzeit. Ich packe sicherheitshalber Häkelnadeln ein, Wolle gibt es im Dorf. Es ist wieder eine Rechnung von der Samenbank gekommen, bei der ich vor ziemlich genau drei Jahren Sperma habe einlagern lassen – denn wer weiß? Stellt man sich witzig vor, ist vor Ort einfach nur deprimierend. Ob es überhaupt genug wäre, weiß ich nicht, denn ich hätte ein zweites Mal hingehen sollen, ich ließ den Termin verfallen. Jetzt liegt es dort auf Eis und ich zahle jeden Monat 20 Euro. Dabei ist es bei meinen Genen und meinem Alter unwahrscheinlich, dass ich es überhaupt jemals brauche. Kündigen wollte ich es bisher trotzdem nicht. (pp)
Ich sitze zu Hause in der Hitze und häkle Topflappen.
Ich wiederhole: Topflappen. Hitze.
Praktisch: Wollfetzen, die vor Verbrennungen schützen sollen. Kann man sich nicht ausdenken. Dabei kocht eh niemand mehr, weil es viel zu heiß ist und das Gas immer teurer wird. Wenn ich das in eine Kunstfigur überführe und ein bisschen weiterdrehe, ist es glatt Biennale-fähig. Muss ja nicht unbedingt Venedig sein. Klagenfurt? Ich habe mich übrigens nie so häufig verbrannt, wie seitdem ich Topflappen häkle. Denn natürlich sind die guten Stücke nur Deko und die alten und zu benutzenden gut verräumt.
Am Wochenende gehe ich nun wohl doch zum Tocotronic-Konzert in Hamburg. «The Hamburg Years» – die Berliner Jahre haben mich nicht mehr interessiert, da wurden sie für mich langweilig. Ich habe sie schon sehr oft gesehen, nur eben nicht in Hamburg. Offiziell seit zwei Jahren ausverkauft, gingen vor ein paar Monaten nochmals Karten in den Verkauf und auf eBay sind die Preise nun kurz vorher im freien Fall. Bestimmt regnet es dann. Mein Kopf ist voller Zitate und auf Facebook haue ich regelmäßig welche rein, ohne weiteren Zusatz. Wer es nicht erkennt, der ist nicht dabei gewesen. Werde mein original 1994er «Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein»-Shirt in Weinrot rauskramen, das hatte ich eh viel zu selten an. Hoffentlich kommen nicht ausgerechnet jetzt nach fast 30 Jahren die Motten dran. Sie fliegen derzeit in mein Zimmer. Ich dachte, es gäbe keine Insekten mehr. Der Verleger nimmt mich auf, dafür bekommt er: Topflappen, was sonst. Er fährt mich vielleicht sogar mit dem Auto zum Konzert. Ist ja wohl kein Verbrennermotor? Hatte kurz überlegt, mit dem 9-Euro-Ticket nach Hamburg zu fahren, damit es möglichst Festival-mäßig wird, aber das ist zu viel des Guten.
Ich bin gerade oft sehr müde. Ob es tatsächlich die Hitze ist? In meiner Wohnung ist es zurzeit nie unter 28 Grad. Ich habe den Kampf gegen die Hitze fast aufgegeben. «Wenn der Sonnenstrahl auf die Fensterscheibe trifft, ist es zu spät.» Ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht richtig atmen kann. Ich suche meinen roten Fächer, ein Geschenk mit Karl-Lagerfeld-Referenz, aber es klappt auch damit nicht. Heute ist eine Atelierparty, für die ich besonders fit sein wollte. Vielleicht kommt es ja noch. Die Geburtstagsgeschenk-Topflappen sind fotografiert und verpackt. Überlege schon wieder, ob die Fahrt nach Hamburg wirklich sein muss. Denn da war ja noch was: Corona. Eigentlich wollte ich mich ja vor dem Elternbesuch zurückhalten mit Treffen und so. Aber andererseits kann überall was passieren.
Ich versuche einen HNO-Arzttermin über Doctolib einen Tag vorzuverlegen, damit ich am Reisetag mehr Zeit habe. Obwohl wiederholt ein früherer Termin angezeigt wird, kann ich ihn nicht bestätigen. In der Praxis ist niemand erreichbar. Ich könnte explodieren. Eine Freundin schreibt mir: «Hast du dich mal aus- und wieder eingeloggt?» Ich könnte explodieren. Später sind zwei Termine frei, auf die ich meinen nicht vorverlegen kann. Es kommt eine Terminerinnerung per SMS für Freitag früh und ich ____. (pp)
Barmbek-Süd
Ich habe stabile Sommer schon immer gemocht. Wahrscheinlich wäre ich in Kalifornien glücklich geworden. Wenn ich Tauben auf der Straße sehe, frage ich mich immer, warum sie nicht einfach im Stadtpark leben. Warum lebe ich also nicht in Kalifornien?
Ein stabiler Sommer in der Stadt weckt Erinnerungen. Der Soundtrack des die ganze Stadt in Schwingung bringenden und zugleich lähmenden Sommers ist nicht John Scofields Stück „Endless Summer“, sondern Manfred Schoofs Album „Scales“. Der Text eines solchen Sommers ist Botho Strauß’ „Widmung“, in dem ein verlassener Jungmann in einem heißen Berliner Sommer zu schreiben beginnt, um den Sprung in seiner Liebesgeschichte mit Worten zu füllen, für den Tag, an dem die Liebste – vielleicht – zu ihm zurückkommt.
Seit Wochen und Monaten bearbeitet uns die Chefetage vorsichtig, zurückzukommen ins Büro. Sie wissen, das kann nur freiwillig passieren. Der Betriebsrat lässt da keine Zweifel aufkommen. Freiwilligkeit der Mitarbeiter widerspricht aber dem Prinzip Chef. Und es nimmt dem Begriff Boss die Substanz, wenn die Untertanen sich jederzeit mit schwächelndem WLAN aus einem Meeting herausstehlen können. Einmal habe ich in einem Video-Call den Apell gehört, „unsere schönen Immobilien“ wieder zu nutzen, wo sich seit zwei Jahren schmutzige Kaffeetassen in den Pantrys stapelten.
Ganz so schlimm sieht es dort indessen nicht mehr aus. Ich war bereit für die Präsenz von Herr und Knecht und gehe wieder ganz gerne mal ins Büro. Zeitweise fiel mir auch im HO die Decke auf den Kopf. Auch als Kollege unter Kollegen und Kolleginnen geht einem mit der Zeit die Substanz verloren. Im Türrahmen stehen und tratschen. Persönliches beim Essen in der Kantine austauschen. Und sich nach den Jahren neu kennen lernen: Haben sich manche nicht deutlich, andere unmerklich verändert? Was weiß man noch von ihnen? Passen die Daten noch zusammen? Seit ihr noch mit euren Partnern liiert? Eltern geworden? Leben eure Eltern noch? Sehen wir uns noch vor der Rente? Wir sind nicht mehr dieselben.
Viele Kollegen trifft man dort aber noch nicht. Und auch mir will das Comeback nicht richtig gelingen. Im Büro ist es heiß. Viel heißer als in meiner schattigen Altbauwohnung. Alle paar Tage bleibe ich wieder zu Hause. Und frage mich, wie es wohl im Herbst wird, wenn man zu Hause nicht so viel heizen möchte, während in der Stadt die nächste Corona-Welle anrollt. (rs)
Phänotypisch muss man sich den Sylter Punk – abgesehen von einer kleinen Gruppe interessant ninjamäßig dekorierter Figuren – übrigens eher blumenkindartig vorstellen, bunte Flickenwesten, Federn im Haar, nackte Brust und so. Zentrum jeder der kleinen Gruppen, die in der Stadt lagern, ist ein Junge mit Gitarre, den Mädchen anhimmeln. Und damit ist ein Problem berührt: der Sylter Punk ist seltsam gegenwartslos in seiner Zitatkultur. Nicht nur der Habitus, sondern auch Soundtrack und Slogans stammen aus den 70ern, von uns alten Säcken. Ton, Steine, Scherben das Aktuellste im Angebot. Ein bisschen erinnert es an Bädertouren mit Wencke Myrhe und dem Medium-Terzett. Irgendwie enttäuschend unproduktiv und vergangenheitsverfallen.
Gestern war ich bei einem Jour fixe der Kulturwelt, es war warm, wir saßen mit vielen Menschen draußen. Wie ich vor einiger Zeit festgestellt habe, fühle ich mich seit Corona unverhältnismäßig älter. Das hat auch damit zu tun, dass vieles passiert ist, was ich nicht automatisch mitbekommen habe wie früher. Das geht anderen auch so, habe ich gehört. Dennoch, ich fühlte ich mich, als wüssten alle Bescheid, nur ich nicht. Das geht natürlich auch ohne Altsein. Wie früher auf Klassen- oder Studentenpartys. Ein bisschen Alkohol hilft dann ja erfahrungsgemäß.
Später saß ich in der Ecke der Gartenbankund kam mit G. ins Gespräch; wo man denn noch hinfährt dieses Jahr. Ich kam kurz in Fahrt und erzählte, dass ich M. getroffen habe, der jetzt in Italien lebt und mich eingeladen hat, ihn zu besuchen. Das war, nachdem M. und ich mit einem Freund ein langes Gespräch zum Ukrainekrieg gehabt hatten, und dieses hatte sich beglückend angefühlt, da wir auf jemanden gestoßen waren, der unsere Ansichten teilte. Ich führte G. gegenüber aus, wie erleichternd ich solche Erfahrungen empfinde, nachdem ich in den Coronajahren ganz andere, überraschende wie frustrierende Gespräche etwa zum Thema Impfung gehabt hatte. Ebendiese Erfahrung hatte ich dann dieses Jahr wieder gehabt, etwa beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine endeten Gespräche verfrüht, ohne Aussicht auf Fortsetzung.
Meine Stimmung auf der Bank sitzend, hellte sich auf, weichte sie doch auch die Empfindung auf, alt und außenvor zu sein – sind wir nicht einfach nur aus der Übung? Da kam viel zusammen, schwere Themen, dazu Corona-Beschränkungen, die eine Ruption im kommunikativen Flow hinterlassen haben, den es wiederherzustellen gilt? Das erklärt die Zurückhaltung, nach den seltsamen Erfahrungen, die wir alle gemacht haben. Tatsächlich sind sogar Kontakte eingeschlafen, offenbar nachdem sich beide Seiten unwohl gefühlt hatten. Ob eine Weltlage wie jetzt sich wohl auch darin äußert, dass unterschiedliche Prägungen zugleich sichtbarer und virulenter werden?
Das Gespräch zwischen M. und mir hatte offenbart, dass unsere Reaktion auf Impfskeptiker sich aus derselben Wut speist: Das sind Leute, die Aids nicht mitbekommen haben und deshalb es sich leisten zu können glauben, wissenschaftliche Ergebnisse vom Tisch zu wischen. Die aktuellen großen Fragen berühren existenzielle Entscheidungen. Und soziale Kontakte, Freundschaften spielen bei der Selbstverortung auf einmal eine größere Rolle, es geht um Bestärkung oder auch Abgrenzung. Aha, und das wiederum erklärt vielleicht auch, warum ich vor einem Jour fixe so shy werde? Könnte sein, die Dimensionen sind nun einfach andere, in solchen Zeiten fühlen sich Gräben schnell tief an, einander zu bestätigen bekommt eine ganz neue Bedeutung.
Nun fühlte ich mich wieder als Teil des Ganzen – ja, das ist eben die Zeit. G. nahm mir auch gleich die Befürchtungen: Was es denn beim Ukrainekrieg für unterschiedliche Einschätzungen geben sollte? Das sei ja nun wirklich alles glasklar. Im Überschwang begann ich gleich aufzuzählen: Nun ja, diese offenen Briefe an den Kanzler gegen die Lieferung schwerer Waffen, unterzeichnet von mir wichtigen Menschen, die sich auf deutsche Verantwortung beriefen; in dem Zusammenhang ein seltsames Ukrainebild, das ich bei vielen wahrnehme; und … „Da bist du aber vollkommen falsch gewickelt“, fiel mir G. ins Wort. Wir haben dann noch ein bisschen gesprochen. (smo)
Irgendwann kommt der Punkt, an dem man checkt, dass es nicht so läuft wie geplant. Dass sich sich der alte Mist wiederholt. Vor drei Jahren hatten Willi und ich was vor. Jetzt hat nur er noch Pläne. Ich habe eine To-Do-List-App installiert. Klappt mäßig. Ich schaffe es, dann und wann was abzuhaken. Schön ist, dass man auch hinterher noch sieht, was man gemacht hat und dass dieser Teil der Liste ein bisschen länger wird. Aber ich bringe eher selten was zu Ende. Sogar mein Bad steht voller angebochener Tuben und Tiegel. Nächste Woche fahren wir weg. Lohnt es sich noch, vorher was anzufangen? Was zu bestellen, das im Paketshop landet und dann zurück geht? Termine für hinterher könnte ich machen. Ich höre Musik von «Touching Box», «junge Haut» und Candy Moore und suche nach einem Sommerhit. Und schwitze bei einer scharf-sauren Suppe. Und esse hinterher ein von der Hitze halbweiches Twix Salted Caramel.
Fahr doch mit dem Fahrrad in ein anderes Stadtgebiet. Vielleicht nicht mit dem Fahrrad, sondern mit der zugigen U-Bahn, um das 9-Euro-Ticket endlich zu benutzen. Auf dem Gleis schreit ein Rotzer: «Ich hab Corona – haut bloß ab!» Besuche das Geschäft mit «bunter Mode der eigenen Marke». Ich habe Zeit für neue Klamotten. Die Angebote, die man online sieht, sind im Laden nicht reduziert. Keine der Verkäuferinnen lässt sich dadurch beeindrucken; es ist ihnen einfach egal, ob ich etwas kaufe, dabei ist der Laden immer leer. Ich nehme ein Batik-Shirt, das nach Salted Caramel ausschaut, damit ich nicht umsonst gefahren bin. Ein Poloshirt in Frottee in Peach-Creme aus einem anderen Laden macht auch Spaß. Mein altes «Sunny Side Up!»-Shirt schmeiße ich weg.
Ansonsten überall Krise, nichts als Krise – ich hab‘s so satt. «Neue Weltordnung», «Schlimmster Sommer aller Zeiten», «Multikrise», «Polykrise», alle die ich kenne, haben eine Therapie gemacht, machen eine, würden gerne eine machen, erzählen mir von den Traumata ihrer Hunde. Wenn man sie erreichen will, melden sie sich nicht zurück, man macht sich Sorgen und später erfährt man, dass sie einfach nur Saufen waren. So läuft’s!
Als ich von zuhause ausgezogen bin, habe ich mir vorgenommen, nie mehr sonntags alleine zu sein. Meine Mutter war mit meinem Bruder am Fussballplatz, um ihn in der Dorfmannschaft spielen zu sehen, mein Vater im Wirtshaus. Ich verzeihe ihnen, aber mir ist es nicht wirklich gelungen, das Sonntagsproblem zu lösen oder mich zu ändern. So sitze ich bei der Hitze zuhause und mache Bilder. Ich erhöhe meine Hantelgewichte auf 4,5 Kilo und hoffe, dass es mehr bringt als schadet. Ich übe mit nacktem Oberkörper vor dem Spiegel. Ich schlucke regelmäßig L-Arginine, die ich irgendwann gekauft habe. Ich habe scheinbar grundlos Wutanfälle, bei denen ich die Türen der Hängeschränke runterreißen möchte. Oder ich könnte bei jedem Scheiß heulen. Lethargisch oder dauergeil – sind das die «Wechseljahre eines Mannes»?! (pp)
Heute morgen ist mir ins Zimmer ein Rotköpfchen reingeflogen
Berlin-Mitte (Wedding) (wt)
Hamburg, Barmbek-Süd
Manchmal denke ich jetzt in der Pandemie: So bin ich früher auch gewesen. Die überzogenen Kommentare auf Twitter, bei Facebook. Ist es müßig anzunehmen, diese Leute könnten nicht auch einmal für Metamorphosen infrage kommen und sich irgendwo anders sehen? Natürlich sind das ganz formale Betrachtungen. In der Sache bin ich „so“ auch früher nie gewesen. Nur die Haltung, Misstrauen gegen alle Institutionen, die Suche nach Kausalität in einer Retro-Männerbünde-BRD bis zu Verschwörungsfantasien. Graue B-Film-Helden regierten die Welt. Das junge Leiden am Absurden. Einmal wollten wir eine Band „Demokratie und Dienstpistole“ nennen.
Ist es mit Krieg und Frieden genauso oder genau anders? Ich habe in drei Instanzen gegen die Bundesrepublik Deutschland auf meinem Recht beharrt, den Wehrdienst zu verweigern. Die Vorsitzenden der ersten beiden Ausschüsse waren echte Ekelpakete. Zur Einleitung sagte der eine: „Wir haben dieses Jahr 55000 Verweigerer. Das ist zu viel.“ Ein Vorentscheid. Zweimal fiel ich mit meiner locker an das Milgram-Experiment angelehnten Apologie der Gehorsamsverweigerung durch. Plus Vertrauen auf mein „gutes Gewissen“ (hier stehe ich, 20, Stolz und Unschuld). Beim dritten Mal brachte mich ein Anwalt der DFG-VK vorher auf Linie, verzweifelte dann fast (ob ich Soldaten für schlechtere Menschen hielte, wollten sie wissen. Ja, schon!), aber das Gremium sprach drei zu zwei für mich. Studium unterbrechen, Altenpflege. Heute wäre ich anstelle meiner Kinder zur Landesverteidigung bereit, wenn es denn sein müsste; sofern man mich dann lassen würde. Dass Russland die Nato angreifen könnte, erschien uns damals als von Mainstream-Medien lancierte Panikmache in dunkler militaristischer Absicht. Reale Gefahr kam nicht von Osten. The russians love their children, too.
Joe Biden benutzt eine bemerkenswerte Formulierung, nachdem er einen Mann in Kabul hat töten lassen und nun allen noch lebenden erklärten Feinden zu verstehen gibt, was er jederzeit überall mit ihnen zu tun gedenkt: „take them out“. Aus dem Spiel, denkt man. Was es nicht ist. Aus dem Leben. Aus der Welt. Morgens um 6:17 Uhr auf dem Balkon erscheinen und auf dem Display einer fernen Exekutiveinheit. Keine Zeit für Angst, Gebete, Reflexion. Möge derTod plötzlich kommen, den Wunsch hört man oft. Und obwohl man es normalerweise auch nicht in der Hand hat, ist das Problem am Aus-der-Welt-genommen-Werden die Fremdbestimmung. Übrigens scheint sich seit Horst Herolds Fluch „Wir kriegen sie alle!“ nicht viel geändert zu haben.
„Die Zeit“ stellt dem 95-jährigen Martin Walser die heikle Frage, auf was er sich nach dem Tod freue. Nur behauptet und uneingelöst bleibt die Prämisse, dass es da etwas zu freuen gibt. Und Walser beginnt mit einem so rührend juvenilen wie illusionsfrei reifen Gedanken, „Ich sähe mich gern anders, als ich bin, werde dadurch aber nicht so, wie ich mich gern sähe.“ (rs)
M. steht auf dem molenkopf und angelt. er ist maurer hat aber umgelernt auf laborant.
er erzählt uns von toxoplasma gondii, der parasit der bei mäusen dazu führt, dass sie die katzen nicht nur nicht mehr fürchten sondern sogar suchen. auch bei menschen führt taxoplasmose dazu waghalsiger, gefahrvoller zu agieren. menschen gehörten (wie jetzt mäuse für katzen), zum speiseplan der großkatzen, und in deren system will toxoplasma gondii um sich zu vermehren, weshalb der parasit die gehirne seiner zwischenwirte manipuliert.
weil wir so viel quatschen fängt M. nur krabben, die ihm die köder abfressen außerdem eine invasive art kleiner dunkler fische mit flügelartigen flossen, die in den ballasttanks der frachtschiffe aus dem kaspischen meer in die ostsee einreisen. (nor)
Berlin (wt). Der lateinische Buchstabe Z gilt seit dem 24. 2. 2022 als Erkennungszeichen der Unterstützer des russischen Feldzugs gegen die Ukraine: "Za/Sa pobedu" ("Für den Sieg")
Von der Großausstellung zurückgekommen und im Tanztheater gewesen. Kaum jemand hatte mehr Maske auf. Sobald die Maske optional ist, wird sie von der Kulturelite sofort weggelassen.
Eine von uns hatte zwar «was im Hals», aber sich die letzten Tage negativ getestet. Heute ist sie positiv. Ich flipp’ aus! Ich will zu meinen Eltern, sonst wäre es mir egal. Frage mich, wo der Unterschied zur Mailänder Disko ist und habe ein schlechtes Gewissen. Habe nach dem Theater gleich mega scharf gegessen und mache eine ganz spezielle Suppe, die hoffentlich alles weg brennt. Zum Sport gehe ich aber! Muss auf dem Weg dorthin noch ein Kissen im Möbelladen besorgen, damit ich den gehäkelten Bezug für meine Mutter fertigstellen kann. Bei der letzten Infektion habe ich gehäkelt – das wird doch kein Zeichen sein?
Versuche, nicht gestresst zu sein.
Klappt so mäßig.
Ich schaue nach, wie lange es letztes Mal gedauert hat, bis die ersten Symptome da waren und rechne aus, wann das dieses Mal wäre. Freitag. Nein Donnerstag. Vielleicht dauert es ein bisschen länger, Samstag fahre ich eh zurück. Nein, nein, nein! Natürlich gar nicht! Ich teste mich bei meinen Eltern öfter mal, die alten Tests aus der Schweiz müssen eh weg.
Lese dort von der Verfolgungsjagd einer Transperson am Rande der Großausstellung. Sie hatte eine Location besucht, wartete an der Bushaltestelle und wurde von Typen aus dem Auto heraus angemacht und verfolgt. Sie flüchtete in einen Baumarkt. Wir waren dort! Am genannten Datum liefen wir gerade zur Tram. Wir hörten jemanden vom Obi her schreien: «Help! Help!! Help!!!» und ich ging in die Richtung, um mehr zu sehen. Meine Begleitungen meinten, aber es sind doch Leute dort. «Das heißt nicht, dass die auch helfen!» Die Schreie hörten auf und wir gingen weiter. In der Zeitung stand, die Verfolger riefen vor Ort weitere Typen an und die Polizei glaubte denen zuerst und nahm die Verfolgten fest. Es ist zum Heulen.
Darüber vergesse ich Willi anzurufen und penne elf Stunden. Kommt mir komisch vor und ich mache wieder einen Schnelltest. Negativ.
Das Kissen häkele ich fertig und nähe es auf. Mega! Etwas überdimensioniert. Meine Mutter vernäht die letzten Fäden zum Glück selber. Ich kann nicht mehr. Fange mit Topflappen an.
Im Zug häkele ich weiter. Bei der Hinfahrt waren andere 1. Klasse-Abteile sehr viel leerer als meine und deshalb gehe ich bei der Rückfahrt erstmal alle durch, ob ich vielleicht im vollsten sitze. Ich sehe eine Frau, bei der ich auf den ersten Blick sehe, dass sie Krebs hat. Beim Aussteigen sind die Topflappen fast fertig. Am Bahnhof funktioniert die Rolltreppe nicht und genau diese Frau steht mit einem großen Koffer neben mir. Ich frage sie, ob ich den Koffer nehmen soll. Sie sagt, gerne, ich habe Krebs und ich bin schon froh, wenn ich die Treppe hoch komme. Ich sage, ich kenne das, ich hatte auch Krebs. Ich schleppe den schweren Koffer hoch. Oben sage ich ihr, Sie werden es schaffen, ich habe es auch geschafft. Hinterher ärgere ich mich, dass ich den Koffer nicht noch bis zum Aufzug gerollt habe.
Der Bahnhof ist voller Loveparade-Fuzzis, an jeder Fressbude eine Mega-Schlange. Ich erwische den falschen Ausgang und muss nochmal an allen vorbei.
Das letzte Stück von Pollesch fürs Deutsche Theater steht an. Ich freue mich!
Ein Newsletter vermeldet «etwas Optimismus in der Multikrise».
Ich gehe zum Konzert von Brezel Göring, bei dem er den Tod von Françoise Cactus verarbeitet. Als ich nach Hause komme, wird der Tod von Fulya Erdemci gemeldet. Ich konnte 2013 in Berlin ein Interview mit ihr machen. Sie hatte bei René Block eine Ausstellung als Vorpräsentation der von ihr kuratierten Istanbul-Biennale. Es hat fast niemanden außer mir interessiert, deswegen bekam ich meine Chance. Eine Woche später ging es mit den Protesten im Gezi-Park richtig los. Ich versuchte hinterher mit ihr zu mailen oder zu telefonieren, um Antworten auf weitere Fragen zu bekommen, aber das das Interview verschwand in der Versenkung. Erst letztes Jahr wurde bei ihr Krebs diagnostiziert, wie ich aus den Meldungen erfahre.
Mein Verleger ruft mich an. Ich verpasse den Anruf, weil ich auf meiner neuen Shakti-Matte liege, die mich massieren soll.
Am nächsten Tag wollen wir Zelten. Das Wetter ist schlecht in Berlin. Drei Tage und zwei Nächte sind wir unterwegs, das Wetter wird immer besser. Zurück geht es mit dem Zug. Ich wollte vor der Hitzewelle zurück sein und es hat geklappt. Jetzt hat es über 30 Grad, in meiner Nordseitewohnung sind es 24. Mal sehen, wie lange noch. Die Fenster bleiben zu! Ich häkele erstmal ein paar Runden am Baumwoll-Mohair-Pullover. Der nächste Winter kommt. Ich habe mein Standard-Gas gekündigt und bin auch mit Gas zu meinem Ökostromanbieter gewechselt. Seitdem beobachte ich die Preise für Gas-Neukunden. Meiner liegt trotz Biogas 5 Cent unter dem Durchschnittspreis. Ich freue mich!
Heute hatte ich meine Outdoor-Häkelpremiere im Schwimmbad. Ich bin nicht aufgestanden, um auf die Uhr zu schauen, sondern habe weiter gehäkelt und eine ältere Dame gefragt, die für mich ihr Handy geholt hat, um mir die Uhrzeit und das Foto ihrer Enkel als Hintergrundbild zu zeigen. (pp)
Arken (Kopenhagen)
der hafen ishoj südilich von kopenhagen wurde anfang der 80 jahre als künstliches archipel geplant und ist vermutlich immer an wochenenden voller menschen die in den entfert stehenden hochhäusern leben und sich die woche über krumm arbeiten – dies ist nicht der reiche teil kopenhagens.
in kurzer entfernung zum hafen ragt asymmetrisch und hermetisch das museum arken, 1996 wurde es eröffnet, die gründungsdirektorin anna castberg verschwand mit dem ankaufsetat. aus irgendwelchen gründen wurde außerdem versäumt bäume auf dem grundstück anzupflanzen, das kann nicht mit dem verschwundenen ankaufsetat erklärt werden. womöglich kann man aber die qualität der ausgestellten sammlung mit dem fehlenden geld erklären, denn die zusammenstellung ist fahrig und unkonzentriert.
geradezu klassisch sind die typischen fehleinkäufe der 2000er, damien hirst und anselm reyle (die findet man auch in anderen museen und im fall von hirst handelt es sich hier auch noch um eine wertsteigernde schenkung an das museum), ... egal, von beiden gibts jeweils ein saal voll, bei hirst lasse ich die plakate mit den medikamentenverpackungen gelten, bei reyle leider sofort netzhautablösung. (nor)
Frankreich, 14. Juli.
Alle Deutschen sind im Sommer in Frankreich. Ich bin auch eine dieser Deutschen. Jeden Sommerurlaub muss ich in Frankreich verbringen und doch kenne ich kaum die Sprache und noch weniger die Menschen. „Merci“, sage ich, wenn mir der Kellner Champagner einschenkt. Ich nicke höflich, wenn er mir etwas erzählt.
Der französische 14. Juli. Die Revolution, Bastille, irgendsowas war an dem Tag. Verdammt lang her denke ich – Weihnachten mag nur unwesentlich älter sein. Das ist aber was Anderes.
Die Feier beginnt erst um 22 Uhr. Die rechtschaffene Deutsche schläft um die Zeit, aber gut, lasse sie sich auf anderer Kulturen Bräuche ein. Feuerwerk. Hübsch. Dann unter die Leute. Sie sind ausgelassen. Wirklich ausgelassen. Eine lachende Familie kommt mir entgegen: zwei eiskremlöffelnde Mädchen, die jüngere hält die Hand ihrer Mutter, die wiederum der Vater festhält. Überhaupt machen die Eisverkäuferinnen heute den Umsatz des Jahres: Die Schlangen versperren ganze Gässchen. Ältere Ehepaare haben die Arme umeinander gelegt und amüsieren sich über die jungen Leute; Ein kleiner Junge mit Verband um den Arm, der seine Eltern um Eis anbettelt. Ein winziges Mädchen, das um seine Mutter herumtanzt (längst wird auf allen Plätzen Live-Musik gespielt, wo sich immer mehr Feiernde sammeln und gesellig im Takt schwingen). Junge Frauen in kurzen, engen schwarzen oder neonfarbenen Kleidchen. Pärchen in Anzügen und langen Sommerkleidern.
Alles lacht und lächelt.
Ich stehe dazwischen. Das nennt man wohl einen Kulturschock. Ich schüttle den Kopf und gehe. (nwz)
Im Traum halte ich einen Vortrag über die Ursprünge der Redewendung "am langen Tische ausgeraubt". Wach stelle ich fest, dass es diese Redewendung gar nicht gibt. Hat bestimmt was mit Putin zu tun. (dl)
(Berlin)
Herr Lindner ist gegen das 9€-Ticket, da es zu unnötigen Fahrten einlade. Meine Nachbarin z.B., schmale Rente, gehbehindert und blöderweise nicht wie Herr Lindner in Besitz eines Porsches. Sie fährt jetzt, wo es das einladende Ticket gibt, manchmal quer durch Berlin, einfach so, um mal rauszukommen, mal etwas zu sehen, mal unter Leuten zu sein. Um nicht irre zu werden. Komplett unnötige Fahrten. (dl)
(Berlin)
Es ist wieder mega heiß. Ich verabrede mich zum Essen. Die Freundin meines Dates, mit der ich auch schon ein paar Mal feiern war, hat Rückenmarkkrebs, und ich werde ausgefragt. Ich hab nicht so richtig Bock darüber zu reden und ich hatte ja zum Glück keinen Krebs, mit dem ich sofort für sechs Wochen ins Krankenhaus kam. «Na, jetzt rede doch mal. Dir muss man ja alles aus der Nase ziehen! Hast du überhaupt was zu erzählen?» Ich helfe ihr trotzdem nach dem Essen, ihren Krempel in Beuteln vom Auto in ihre weit entfernte Wohnung im vierten Stock zu schleppen.
Morgens im Schwimmbad als wir auf den Stufen zwischen Umkleide und Eingangsdusche sitzen, zeigt sie auf einen Typ und sagt zu mir: «Unter der Dusche steht Erlend Øye.» Ich: «Echt?». Sie: «Glaub’s oder glaub’s nicht.» Ja, könnte gut sein. «Neben mir ist diese Woche Maxim Biller geschwommen.» «Ja, das ist mir auch schon ein paar Mal passiert.» Wir sprechen über besondere Berlin-Momente, die immer weniger werden.
Das Café war zuerst offen und später aus «gesundheitlichen Gründen» geschlossen. Alle raunen: «Bestimmt ein positiver Coronatest!» Könnte es nicht nur ein simpler Durchfall gewesen sein? Bei der Hitze! Die «Pommeshalle» ist ebenso zu. Wir finden das Wort lustig.
Am Beckenrand wird zuerst «Rauchen, Essen und Trinken» per Durchsage verboten. Ich trinke trotzdem meinen mitgebrachten Kaffee aus meiner Minithermoskanne weiter. Es war einfach zu viel Arbeit, den vorher mit der beschissenen Handkaffeemühle zu machen. Im anderen Bad darf man nicht mal seine Taschen mit in den Badebereich nehmen. Es hat mittags 30 Grad. Später lautet die Durchsage nur «Rauchen und Essen». Doch eingeknickt!
Ich will mir einen Wassersprudler kaufen, weil ich in der Nacht davor einen Test auf Spiegel Online gelesen habe. Außerdem brauche ich mal was Spritziges. Die Potsdamer Platz Arkaden werden gepimpt und sind geschlossen. Da wird Michelle Obama aber staunen, wenn sie bei ihrem nächsten Berlinbesuch dort aufkreuzt, bestimmt wird sie sie überhaupt nicht mehr wiedererkennen und sich wundern. Im anderen Laden in einer Mall bei mir um die Ecke ist nur ein Sprudler-Modell verfügbar, aber genau das, was ich wollte. Allerdings nur die Ausstellungsstücke und die sind, obwohl schon reduziert, zehn Euro teurer als im Internet. Ich frage, ob da noch was geht und bekomme eine Abfuhr. Mich beschleicht das Gefühl, dass alles knapp wird und man alles mitnehmen muss, was geht und so wie es eben kommt.
Was isst man bei der Hitze? Ich mache mir eine Suppe. Naturreis soll 40 – in Worten: vierzig – Minuten kochen! Ich flippe aus: Wer soll das bezahlen? Ich greife zur Goldhirse. Zehn Minuten kochen und zehn Minuten quellen. Brav. Letzte Woche gab es im Restaurant Chiliessig in die Pho. Ich schütte also Chiliflocken und Balsamico rein. Schmeckt sehr nach Chips – herrlich erfrischend!
Gestern habe ich im Restaurant was vom Billigsten bestellt für 12,90 Euro. Burrata. Extra nochmal gegoogelt, was das genau ist. Ich dachte mir: Da werden schon Nudeln dabei sein. Aber es kam nur ein Klops Mozzarella mit ein paar aufgeschnittenen Mini-Tomaten. Ich fühlte mich beschissen und dumm. (pp)
(Berlin)
Samstag wird es zum ersten Mal dieses Jahr heiß. Ich habe nichts vor und fahre deshalb einfach mit Willi zu seinen Freunden in ein Mitte-Café.
Mein Verleger schickt eine SMS: «Bin in Berlin, würde jetzt mal was essen und trinken gehen.» Ich ghoste ihn.
Für das Stadtschwimmbad steht eine sehr lange Schlange an. Obwohl wir mit den Sommerbadkarten sofort rein könnten, gehen wir nicht. Es wummert ekelhafte Musik aus dem Bad.
Ich setze mich bei Willi auf den Balkon und lese «Appartamento». Nehme mir vor, ab jetzt jeden Tag ein Interview zu lesen, egal wo publiziert und mit wem, um auf neue Ideen zu kommen.
Ich soll von jetzt auf gleich einen Text zu einer Ausstellung schreiben, von der es kein Bild, keinen Titel, ja nicht mal eine Idee gibt. Nur ein paar heraus gewürgte Wortbrocken vom Kurator. Ich mixe alles kräftig durch und schicke das Wortragout zurück. Für den heißen Künstler würde ich alles tun. Er ist äußerst flirtiv, schon seit Jahren treffe ich ihn zufällig immer mal wieder. Leider musste ich neulich erfahren, dass er ein heterosexueller Daddy ist. Ich konnte es kaum glauben. Der Kurator meldet sich per Telefon. Ich ghoste wieder. Ich werde schließlich nicht bezahlt, weder für den Text noch für zusätzliche Telefonate. Take it or leave it! Außerdem müsste ich ihm dann sagen, dass sein Geschreibsel leider Mist war.
Wir fahren zu Willis Eltern zum Kaffee trinken. Seine Mutter will partout nicht, dass wir was mitbringen, weder selbst Gebackenes, noch selbst Gekauftes. Es gibt dann – ta-ta: einen aufgetauten Bienenstich, der nicht ganz aufgetaut ist. Und Streit darüber, warum man den überhaupt essen muss, wo man Besseres hätte haben können.
Ich erzähle von meinen einen Nachbarn, die ständig streiten und von den anderen, die zur keifenden Frau, Ex-Frau oder Freundin des Nachbarn über den Hinterhof zurück brüllen: «Halt’s Maul!». Ich erzähle weiter: «Dann kommt natürlich ein Schimpfwort hinterher.» Willis Vater ergänzt mit lachendem Gesicht: «…du F****!» Ich habe keine Lust, weiter darauf rumzureiten, indem ich sage, dass es das genau nicht ist, aber was Ähnliches. Vorher hatte er schon Zotiges über seine Tochter und seinen Schwiegersohn gesagt; es scheint ihm Spaß zu machen. Nach zwei Schlaganfällen am Stammhirn bleibt wohl nicht mehr so viel, was überhaupt Spaß macht. Willi und mich fragte er, wer bei uns wem das Eis ableckt. Ob das sexuell gemeint war, à la France Gall? Falls ja, waren wir jedenfalls so naiv wie sie und sind nicht darauf eingegangen, obwohl Sonntagfrüh im Radio was dazu kam.
Wir gehen seit Anfang Mai wieder zum Sport. Montags Pilates und dienstags Functional Training. Hinterher essen wir meistens Falafel. Beim Essen erzählt mir Willi, dass dem Künstler mein Text gut gefallen und er sich darin wiedergefunden hat. Ich war nicht überrascht. (pp)
(Berlin)
Die Kita-Gruppe am Trinkwasserspender: Ein Schauspiel menschlicher Natur - Die Schüchterne, die alle vorlässt und nur einen Schluck erhascht hat, als die Erzieher sie endlich rufen. - Der Macker, der den Kopf des anderen wegschiebt, um schneller an den Strahl zu kommen. - Der Clown, der endlos trinkt oder zu trinken vorgibt, damit kein anderer eine Chance hat. - Die Hektische, bei der das Wasser auf dem Shirt und nicht im Mund landet. - Die Freundinnen, die einander die Haare hochhalten. Ach, ich könnte stundenlang zuschauen. (dl)
Der Tauschschrank vor textem: Ein Ort des regen Tausches und regen Austausches. Ab und zu drängeln sich die Interessierten geradezu vor den abgelegten Kleidern, Büchern, CDs, Platten und nicht selten sogar großen Möbelstücken. Fast jede*r Passant*in dreht zumindest den Kopf nach dem Schrank, von dem alle hoffen, dass dort irgendwann ein Schatz liegt, obwohl für diese Hoffnung wirklich kein Anlass besteht. Trotzdem bedienen sich viele an den Sachen. Vieles ist ja durchaus noch gut. Bestandsaufnahme 16:04 Uhr: Eine Weihnachtsmannmütze für Kinder, drei Jacken, davon eine für Dreijährige mit einer Schwäche für trompetespielende Katzen-Kaninchen ohne Ohren, eine Schrankschublade, drei CDs eines gewissen Finn Ritter, ein Rucksack, zwei Reiseführer für Kuba und die Dominikanische Republik, ein abgetragenes Paar schwarze Seniorenschuhe und ein Buch mit dem Titel „plötzlich blond 3 – Superbeauty in Gefahr“. Mal sehen, was passiert, wenn die Generation, die das vorgelesen gekriegt hat, erwachsen wird und unsere Welt lenkt und steuert. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster: Eine etwa fünfzigjährige Dame mit schulterlangem, brünettem und gewelltem Haar läuft zielstrebig auf den Tauschschrank zu. Die ist extra dafür aus dem Haus gegangen. Sie trägt knalligen Lippenstift und hat sich einen weißen Pullover über die Schultern gelegt. Zügig, aber nicht gehetzt wühlt sie sich einmal durch den Schrank, bevor sie mit langen Schritten die Straße hinuntergeht. Tauschende kommen und gehen. Die 20-Jährige mit den karminrot gefärbten Dreadlocks und den teuren Apple-Kopfhörern. Die Mittvierzigerin mit der unordentlichen Hochsteckfrisur und dem Holzfällerhemd und einer kleinen Tochter in Latzhosen. Die Kleinfamilie mit den zwei kleinen Mädchen. Die ältere Frau mit himmelblauem Kopftuch und Rucksack. Der bärtige Mann in kurzen, fleckigen Hosen. Die asiatisch aussehende Mutter, die mit ihrem Sohn über die Auswahl eines Kuscheltiers aus dem Schrank diskutiert. Und wieder die mittelalte Frau mit dem Pullover über den Schultern, die den kleinen Jungen und seine Mutter kritisch beäugt und versucht mit möglichst viel Abstand zu den beiden dennoch an die begehrte Ware zu kommen. Bestandsaufnahme 17:06 Uhr: Eine der Jacken ist weg, dafür sind eine neue Jacke, eine Hose und neun T-Shirts dazugekommen, drei Stofftiere, eine Handvoll fein säuberlich zusammengelegter rosafarbener Kindersocken, Meyers Taschenlexikon in 24 Bänden, die Kinderjacke mit den hässlichen Trompetenspielern und die schwarzen Seniorenschuhe. (nwz)
Bitte nicht wieder einen Sommer wie letztes und vorletztes Jahr. In dem ich mich in Arbeit flüchte und die Abwesenheiten meiner Kolleginnen mit «Familienkindern», wie es die DB ausdrückt, ausgleiche. Damit ich im Winter noch mehr zu Hause sitze. Es reicht. Nein. Nein! NEIN!!! Ich bin trotzdem froh, dass ich die Fahrt zu meinen Eltern Anfang Juli in der 1. Klasse gebucht habe, wo die Zahlen wieder steigen. Letzte Woche fand ich das noch ein bisschen übertrieben, aber die Sommerwelle kommt. Kein Wunder, wenn man an Pfingsten alle mit 9-Euro-Tickets in die Regionalbahnen scheucht.
Ich wollte mit Ella unbedingt noch vor den Schulferien einen Tag an die Ostsee. Mal sehen, ob es klappt. Oder ob wir Wandern gehen. Oder zuhause bleiben, weil sie doch arbeiten muss. Wir fahren! Nicht an die Ostsee, sondern nur bis Waren an der Müritz, weil der Hund hustet. Auf der Hinfahrt sitzen wir auf den Boden und ich betrachte stachelige Teenagerbeine. Eine halbe Schulklasse hat sich um uns herum gruppiert, sie machen einen Ausflug an die Ostsee mit dem 9-Euro-Ticket. Sie haben Schnaps in der Eisteeflasche dabei und einer bekommt Nasenbluten. Waren ist ganz schön groß: Es dauert, bis man am See ist. Ich habe mich um nichts gekümmert, überlasse alles Ella und nehme es wie’s kommt. Ihr selbst passt leider nichts. Der Weg um den großen See ist zu gemacht, der Wald zu waldig. Mir gefällt’s so wie es ist, sie will zurück ins Städtchen. Ich sage: Ich warte nicht zwei Stunden auf den Zug, wenn wir den jetzt nicht erwischen. Sie sagt: Vielleicht ist es besser, wir trennen uns. Am Ende laufen wir am kleinen See entlang und finden ein Café zwischen Wohnhäusern, das direkt zur Wiese rausgeht. Im Zug zurück endlich die Themen, die icherwartet hatte: Beziehungen, Ängste, Zukunft. Wir steigen aus und beschließen, das nächste Mal den Zug um sieben zu nehmen und nicht erst den um neun.
Heute gehe ich mit Willi zu Björk in die Waldbühne. Ich habe sie noch nie live gesehen und war noch nie in der Waldbühne. Ich war diese Woche in der Bibliothek, um 90er Jahre Shibuya-kei-CDs zu holen und da habe ich auch ein paar von ihr mitgenommen, um mich vorzubereiten. Bei mir wurde Björk immer (wie auch von Willis Mutter) unter «Friedhofsmusik» abgeheftet und nach dem ersten Album so gut wie nicht mehr gehört. Eines der späteren passte gut zur Chemotherapie und dem Blick aus dem 20. Stockwerk der Charité. CDs auszuleihen und zu rippen ist eines meiner neusten Hobbys. Ich weise gerne darauf hin, dass der Spotify-Gründer eine Milliarde in deutsche Firmen für Kriegssoftware gesteckt hat. Mein Abo hatte ich allerdings schon davor gekündigt. Ich höre eh immer abschnittsweise dasselbe, Streaming macht deswegen nicht wirklich Sinn. Außerdem möchte ich auch offline Musik hören können. Was ich hören will, müssen sie in der Bibliothek oft aus dem Archiv holen. Manches kann man sich nur in den Lesesaal liefern lassen – absurd. Zu den Klängen von »Enjoy« von Björk habe ich heute die Spitze der Affenpalme als Ableger abgeschnitten. (pp)
(Fehmarn)
Der Kinderbagger im glasüberdachten Aufenthaltsbereich des Hotelkomplexes, drei riesige Türme, die Richtung Süden aufs Meer schauen, jedenfalls dieser Bagger, dessen Kabelverbindung durch ein vernachlässigtes Blumenbeet mit verlausten Rosensträuchern geführt ist, baggert in einem Geviert von 1,5 x 1 Meter weiß-graue Schraubverschlüsse, hunderte davon ... – sind es die Schraubverschlüsse der Putzmittelflaschen und -kanister, die in den drei Hoteltürmen täglich anfallen? (nor)
(Berlin)
Angst bekam ich das erste Mal wieder vor ungefähr einer Woche. Wie, wo, wann genau habe ich vergessen. Ich wusste nur, dass ich das dieses Gefühl irgendwie kannte und überlegte, von woher eigentlich, weil ich es schon fast vergessen hatte.
Diese Woche begegneten wir einer Freundin, die uns umarmte und sagte: «Lass’ uns mal treffen, solange es geht. Ich habe gehört, dass eine Welle der neuen Variante aus Frankfurt und München gerade nach Berlin rein schwappt.» Ich gruselte mich – nicht schon wieder!
Und heute eine Nachricht: «Kollege hier ist positiv. Was tun?» Same procedure?!
Obwohl Sommer ist, ich 4x geimpft bin und 1x genesen? Das hatte ich noch nicht erzählt.
Ende März fuhren wir nach Mailand zu einer Ausstellungseröffnung. Mit anschließendem Dinner für 100 Leute und einer Party in einer legendären Disco. Zwei Tage nachdem wir in der Schweiz angekommen waren, wurde ich tagsüber müde und meine Nase fing an zu triefen. Ich dachte mir nichts dabei, denn die Gästewohnung, in der wir untergebracht waren, war sehr kalt und ich reagiere empfindlich. Ich war vor der Abreise zur 4. Impfung und ich war immer mit den gleichen Leuten zusammen – ich fühlte mich sehr sicher. In Mailand hatten wir Action, natürlich war ich in der Schweiz müde.
Wir waren den ganzen Sonntag mit den Gastgebern im Auto unterwegs und abends bei ihnen zum Essen. Als wir danach in der Gästewohnung ankamen, sagte Willi zu mir: «So, mach mal einen Test.» Zum Glück hatte ich Schnelltests eingepackt. Der war sofort positiv. Danach folgte die Meldung an die Gastgeber. Die waren im Januar infiziert gewesen, also machte ich mir nicht so viele Sorgen, sie blieben negativ.
Die nächsten beiden Tage verbrachte ich mit Schnupfen auf einem rosa Sofa. Blick auf die Berge und vom Balkon aus hinab ins Tal. Ich häkelte Topflappen. Die Gastgeber in Mailand und der Schweiz wünschten sich welche und ich hatte in Mailand die Wolle dafür gekauft. Ich fühlte mich großartig! Weil ich es immerhin geschafft hatte, mir das Virus nicht in der Berliner U-Bahn einzufangen, sondern in der Disco. Und weil irgendwas damit endlich vorbei war. Zwei Tage später testete sich Willi positiv. Ob er es sich auch in der Disco oder erst bei mir geholt hat? Er wollte definitiv nicht, dass ich in der Wohnung eine Maske aufsetze. Er wäre sofort abgereist. Es gab ein schönes Geschrei deswegen in der Küche und ich liess es bleiben. Ich war nach sechs Tagen wieder negativ, bei ihm dauerte das ganze länger. Wir mussten deswegen eine Woche länger bleiben, mit vielen Turbulenzen, die ewig her erscheinen. Ich hatte einen Monat Covid, dann war’s vorbei. Zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob der Discobesuch das ganze wirklich wert war.
Willi meinte ein paar Wochen später, dass ohne Corona der Urlaub für uns viel anstrengender und nervenaufreibender geworden wäre.
Eine Freundin meinte: «If you go to the club, you’ll sure be sick afterwards. But well, what can you do – you gotta live life.» (pp)
(Hamburg)
Corona war ein Jungbrunnen; einerseits. Mit Pandemiebeginn wurden bei mir im Job – ich habe im Blog dazu geschrieben – neue Kommunikationswege beschritten, die vormals komplizierte Abläufe wegfegten, allein weil diese gar nicht mehr zu realisieren waren. Wir saßen daheim, jede und jeder vor einem Rechner, und waren doch im Büro. Microsoft Teams ließ uns in beliebig konfigurierten Konstellationen kommunizieren. Agiles Arbeiten, wie es ja aus betriebswirtschaftlichen Gründen schon seit Längerem beliebt ist, aus hierarchienostalgischen Gründen wiederum gar nicht und deshalb aufgespart für später: In jedem Fingermuskel, den ich beim Bedienen von Tastatur oder beim Zurechtrücken der Webcam anspannte, spürte ich, endlich in die Zukunft entlassen, wie sich zeitgemäßes Arbeiten anfühlt. Ich war dabei, Protagonist und Teil eines fluiden Schwarms. Die plötzliche Umstellung ließ uns schlafwandlerisch Arbeitsprozesse straffen, alles zog nach vorn. Zur Pausenzeit packten wir einander Chat-Einladungen in den Terminkalender, begutachteten bei einer Tasse Kaffee Sofagarnitur, Küchenvorhänge und Vintageregal der anderen. Modernes Arbeiten und Chillen. Nebenbei das Einüben des Finetunings beim wohlgetimten An- und Ausschalten der Webcam, dem Modulieren der ein- und ausgehenden Lautstärke. Als navigierten wir in einem Game einen Avatar durch den virtuellen Raum, wurde das Steuern der eigenen Präsenz im sozialen Raum erlernt. Auch im Freundeskreis war das im ersten Lockdown nicht so viel anders, wir arbeiteten uns durch Zoom und Skype über Whereby zu Jitsi und Co. Lustige Screenshots, virtuelle Abendessen, Verkleidungspartys. Die Pandemie korrigierte massenhaft Geburtsurkunden und schien Boomer zu Digital Natives zu deklarieren. Die Erfahrung, an internationalen Zoomkonferenzen oder Filmscreenings teilzunehmen, die grenzenlose Vernetzung – all das schuf ein neues Gefühl von ewig währender Jetztzeit.
Andererseits. Ich bin mir inzwischen immer sicherer, dass es auf einem virtuellen Speicher ein Bild von mir und wohl allen anderen gibt, und in diesem Bild gibt es Pixelstörungen, Ausfälle, Blurs und Glitches, immer mehr davon – das jpg des Dorian Grey. Entgegen der beschriebenen Verjüngung passiert nämlich zugleich das exakte Gegenteil. Vermutlich, weil zwei Realitäten aufeinandertreffen, die avatarmäßige und eine andere, sodass es momentan noch gar nicht auszumachen ist, was wirklich ist und was so scheint. Denn die Perspektiven in den vergangenen beiden Jahren haben sich verschoben und somit die Referenzpunkte. Außerdem: Manches funktioniert nicht mehr; defekt. Wie bei einem Fertighaus, das voll verschalt und inklusive allem geliefert wurde, und plötzlich flackern hier die Lampen, dort ist eine Leitung verstopft, ein paar Balken quietschen, als wären sie morsch. Man kommt aber nicht ran. Whatsapp-Verbindungen werden morsch. Plötzlich fällt auf, dass jemand nicht geantwortet hat, wochenlang: Oh, da ist gar kein blauer Haken. Ist die Person weitergezogen? Zu Telegram? Threema? Hatten wir das ausgemacht? Wo haben wir das ausgemacht? Die zuvor so fluiden Kanäle scheinen hinter Mauern verschwunden zu sein, vergraben, zumindest nicht mehr so selbstverständlich verfügbar.
Es fühlt sich alles nicht mehr so virtuos an. Anderen scheint es vielleicht auch so zu gehen, ich werde aus Versehen Teil einer Kommunikation – hätte ich die Gruppe verlassen sollen, worum ging es hier gleich? Morsch und brüchig gewordenen Leitungen. Als wäre in der Zwischenzeit, in der ich mich an den so essenziell geworden zu scheinenden Partizipationsformaten erfreute, anderswo, nachts, ein ganz neuer Kontinent aus dem Meer aufgestiegen. Alle wissen von ihm, waren dort schon im Urlaub, nur ich nicht. (smo)
(Hamburg)
e. trägt neben mir auf dem sofa sitzend eine maske. sie dient aber mehr zur heimlichen verproviantierung mit haribo, als zur eindämmung etwaiger ansteckungsgefahr, da sich hinter der maske rund 6 gummistücke verbergen lassen. bei genauerem hinsehen hat die maske allerdings doch verdächtige beulen und man hört das schmatzen. (nor)
(Berlin) Unter einem Fenster des Gästeraums des ehemaligen Studentencafés "Kleine Mensa" liegen Teile des Mobiliars und die Buchbestände der Kaffeehaus-Bibliothek verstreut; das Café wird gegenwärtig zu einer Sushi-Bar umgebaut. (wt)
Ein bisschen ist das Demenz-Pflegeheim der Schwester eine Hitparade der 50er und 60er. Die Leute singen wahnsinnig viel vor sich hin. Der alte Herr, der die Worte für Brot und Wasser nicht mehr kennt, singt den ganzen Morgen über fehlerfrei „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“ und „Kleine Annabell, darfst nicht traurig sein“. Der Neurologe hat mir erklärt, dass Sprache und Musik in verschiedenen Arealen des Gehirns abgespeichert würden. Den Bereich für die Musik krallt die Demenz sich zuletzt. Deshalb würden die Menschen, die längst nicht mehr sprechen können, oft bis zum Ende über die Lieder der Kindheit und Jugend verfügen. (dl)
heute radelte ich hinter einer frau her die ein shirt mit der aufschrift "yale" trug. ich glaubte für einige lange minuten, das wort im selbstgespräch auf der zunge jalend, es sei wohl das neue "yolo", nur das akronym sei mir nicht geläufig. (nor)
Seltsam, wenn eine Deadline es mit sich bringt, ausgerechnet in dieser Zeit wieder Bataille zu lesen, um Jahnns sadianische Phantasien zu erläutern. Und es plötzlich glasklar ist, wie recht Bataille damit hat, dass (homogene) Gewalt nichts gemein hat mit (heterogener) Gewalt. Die homogene Gewalt, so Nancy, "entstellt, was sie vergewaltigt, sie entreißt dem Ding seine Form und macht daraus nichts als ein Zeichen ihrer eigenen Wut. Die Gewalt ist zutiefst dumm." Die heterogene, erotische Gewalt Batailles hat mit ihr und dieser Dummheit nichts zu tun. Deshalb konnte Jahnn zugleich Pazifist sein und Szenen heftigster violenter Erotik erfinden. "- Ich möchte hinauslaufen und mich an irgend etwas wegwerfen. - An den Tod, wenn nur eine kleine Lust dabei wäre." Keine Wut, nur das Begehren, sich genussvoll zu verschwenden. (dl)
Überall wo es weit und schön wird, liegt ein Kaiser begraben, wurde eine schreckliche Schlacht geschlagen oder lagern Wandergruppen. Am Nachmittag dann am schattigen Hang, wo in aller Ruhe ein Schrein verwittert und verfällt. Ich klatsche zum Gebet in die Hände und eine Katze huscht die Felsen hinauf. Der kleine Berg ist benannt nach dem ehrenvollen Gras, das hier einst für das Pferd des Shoguns wuchs. (ast)
ein bekannter mit massiver pollenallergie kaufte sich vor zwei jahren einen luftfilter (wegen der pollen nicht wegen corona), seither ist er geheilt - keinerlei allergische reaktionen. letzte woche wollte er den filter im gerät wechseln und musste feststellen dass der filter seit zwei jahren original verschweißt, also unbenutzt, im jede nacht freundlich brummenden gerät liegt.
(nor)
(Berlin)
Ostender Straße Ecke Müllerstrasze: Auf dem Schaufenster eines leerstehenden Geschäfts ist der religiöse Weckruf "my russkie s nami Bog" ("Gott ist mit uns Russen") mit der Kampfparole "slawa ukraïni" ("Ruhm der Ukraine") in gelber und blauer Lackfarbe übersprayt worden. (wt)
(Hamburg)
menschen von etwa 30 jahren sind mir immer die wichtigsten entscheidungshelfer für wirklich erstaunlich viele verschiedene bereiche, vor allem aber natürlich publizistische unternehmungen betreffend. das liegt an der alterstypischen arroganz, welche 30 jährige zu absolut griffigen und sehr schnellen urteilen kommen lässt, außerdem sind die beruflichen wege solcher menschen noch nicht ausgetreten, so dass sie mit wirklichem interesse auf fragen reagieren. eine solche vorliebe für eine bestimmte altersgruppe wird natürlich jahr für jahr problematischer, da man aus dieser gruppe herauswächst und seit geraumer zeit nur noch in der rolle einer schrillen else kontakt dahin aufnehmen kann. meine antizipatorischen fähigkeiten erreichten schon vor der pandemie die dort verhandelten themen regelmäßig nicht mehr. noch nicht mal lifestyle shaming kam in frage, weil mir überhaupt nicht geläufig war und ist, was gerade seit wann an- oder besser abgesagt ist.
wenn dann kontaktbeschränkungen die informationsbeschaffung nahezu vollständig unterbrechen, muss ich nach 2 jahren feststellen, dass es vorbei ist und ich ernsthaft überlegen sollte worin meine qualitäten ab jetzt liegen könnten. das tollkühne abschnappen und neuabmischen von informationen verschiedenster alterskohorten, mit betonung der 30 jährigen, funktioniert nicht mehr. (nor)
... ich habe es erst kürzlich begriffen, als bürokollege s. es auf den punkt brachte: diese millennials finden uns cool, sie lieben und bewundern uns, egal wie alt und peinlich wir sind. einfach weil wir die generation x sind, die anscheinend irgendetwas an sich hat, was den nachfolgenden schmerzlich abgeht (und den vorigen auch, "boomer" mag eh keiner). was das genau ist weiß ich auch nicht, aber es ist real und reicht völlig aus als qualität, es bedarf keinerlei anstrengung, keines abschnappens. (ow)
Man könnte die Fähre über den Fluss nehmen. Am anderen Ufer die gleiche Elbauenlandschaft mit ein paar Reetdächern und Störchen, aber es gäbe eine neue Perspektive, mit dem Fluss im Gegenlicht. Außerdem war dort die DDR, ein alter Wachturm ist zu sehen. G. ist sehr dafür, möchte aber nicht alleine fahren. Ihn interessiert vorallem die Fähre selbst, die seit Jahrzehnten von einer Kapitänin gesteuert wird. Das wäre doch mal ein Erlebnis, für nur einen Euro pro Person, zumal schon das Stintessen ausfällt. Die Kinder reagieren verhalten, sie sind mit den Möglichkeiten des Herumstreunens hier ganz zufrieden und bald nicht mehr zu sehen. Wir anderen sind unschlüssig. Es ist nicht mehr so kalt, lange sitzen wir vor dem Imbiss in der Sonne und schauen über den Fluss nach drüben. (ow)
Berlin
«In Berlin fallen ab 1. April fast alle coronabedingten Einschränkungen weg.» Früher hätte mir das panische Angst gemacht, jetzt ist es nur eine von vielen Bekanntmachungen, die einfach völlig verrückt und durchgedreht sind. So wie die in Stellung gebrachten Atomwaffen, dass die grüne Regierung Benzin subventionieren will oder von Lockdown geschrieben wurde und wird, wo es nur Einschränkungen gab.
Gut, dass ich Ende März nach Italien fahre und erst wieder Mitte März in Berlin bin. Hoffentlich! Anita, die seit zwei Jahren nirgends mehr war, außer während niedriger Inzidenzen bei ihrer Familie in Franken, auch wohl bei keinen Veranstaltungen, außer einmal mit uns im Theater im Herbst, hat es jetzt abbekommen. Sie schreibt «Ct-Wert 20». Ich habe davon noch nie gehört und muss das googeln. Einen PCR-Test habe ich bisher nicht machen lassen müssen. Allerdings sind gerade in Franken – wo ich über Ostern auf der Rückreise hin will – die Inzidenzen über die 3000er Marke geklettert. Ich traue mich gerade gar nicht bei meiner Mutter anzurufen. Wenn es schlechte Nachrichten gibt, werden sie sich melden.
Ich las von einer Kollegin auf Twitter, die so alt ist wie ich und sich die zweite Booster-Impfung geholt hat. Überlege, das auch zu tun, habe aber keine Lust auf Gerenne, Nebenwirkungen und überhaupt schon wieder Impfung, denn nach einer Impfung ging ja bei mir der Krebs los. Auch wenn beides nicht zusammen hing, stressen mich Impfungen seitdem. Nächste Woche habe ich wieder einen Check.
Mittwoch kam Willi von seiner Reise zurück. Ich hatte für ihn eine Buttercremetorte gebacken, von deren Zutaten sich eine Flüchtlingsfamilie tagelang ernähren könnte. Drei Päckchen Butter, dazu Zucker im Teig, Sirup dazwischen, Mascarpone, Schmand und zwei Päckchen Puderzucker im Guss – eigentlich sogar drei! Während der Teig im Ofen ist, schreibt eine Geflüchtete, dass sie auf einem Foto ihre Mutter erkannt hat, die sie auf der Flucht verloren hat, und fragt, wo das aufgenommen wurde. Mir kommen zwar die Tränen, aber die Torte muss trotzdem fertig werden, der Geburtstag ist nun mal jetzt.
Ich fahre abends zu Willi, hole Dumplings auf dem Weg, die kalt sind bis ich bei ihm bin, und wir essen vor dem Geburtstagsstrauß. Von der Torte, die ich mit Mini-Marshmallows garniert habe, wird ihm nach weniger als einem Stück schlecht, ich schaffe mehr davon. Wir schauen auf Netflix einen italienischen Film über eine schwule «Patchwork»-Familie. Alleine zuhause schaue ich gerade die Serie ZERV mit Fabian Hinrichs, über Wirtschaftsverbrechen während der Wiedervereinigung. Wie niedlich!
Sobald von Atomwaffen die Rede ist, bekomme ich Schnappatmung und wenn ich abends darüber lese schlafe ich schlecht. Ob ich mir FFP3-Masken bestelle, die atomare Partikel abhalten? Die Masken wären sicherlich auch gut für den Flug und vielleicht ab sofort wichtiger, wenn jeder noch mehr als jetzt schon auf sich allein gestellt ist. (pp)
Berliner Hochschule fuer Technik (BHT). #bhtimpft. Wegen der
Semesterferien ist die Impfaktion voruebergehend eingestellt. (wt)
Im Gemeinschaftsraum des Pflegeheims laufen die Nachrichten mit den Bildern des Kriegs. Meine demente Schwester, die kaum noch ein Wort spricht, starrt auf den Bildschirm, weint plötzlich leise und sagt: - Kaputt.
(dl)
(Berlin)
Ich habe heute Willi verabschiedet. Er fährt dienstlich in den fränkisch geprägten Nordosten Baden-Württembergs. Ob ich bis zu seiner Rückkehr den gewünschten Mohair-Pullunder fertig bekomme? Gestern waren wir Pizza essen an der Kirche. Bei der Impfpasskontrolle war die App noch auf «Status» gestellt statt auf «Zertifikate» und zeigte eine rote Meldung vom Frauentag an. Das war mir etwas peinlich. Trotzdem bekamen wir eine Pizza geschenkt, weil auf der Tagespizza undeklarierterweise Schinken war, was jedoch ich der Kellnerin nur nebenbei sagte, denn wir aßen sie natürlich trotzdem auch mit Fleisch. Dem Geburtstagskind – es war 30 geworden – schenkte ich die neue Ausgabe des BUTT-Magazins, das jahrelang nicht mehr als Printausgabe erschienen war. Aber genau gestern wurde im Hipsterzeitschriftenladen die neue Ausgabe angeliefert: Die 30. Bingo! Wir kamen auf signierte Bücher zu sprechen und ich erzählte meine Miranda July-Geschichte: Bei der Lesung zu «The First Bad Man» – übrigens das erste und letzte Buch, das ich besprochen hatte, ohne es zu lesen, was noch viel anstrengender ist als ein Buch zu lesen – kam ich mit meiner gebundenen Ausgabe von «Zehn Wahrheiten» an. Der Originaltitel ist «No One Belongs Here More Than You» und in jeder anderen Sprache wurde es so übersetzt, nur nicht im Deutschen und Französischen, da heißt es irgendwas mit «Liebe». Als es nach der Lesung zur Signierstunde überging, wurden wir Fans aufgefordert, unseren Namen zur schnelleren Abwicklung auf ein Post-It zu schreiben, damit Miranda July ihn nur abschreiben musste. Ich hatte keine Lust, einfach so vor ihr zu stehen und sie anzuschmachten, deshalb schrieb ich meinen Namen einmal, strich ihn durch, darunter das zweite mal, strich ihn wieder durch, und ein drittes Mal auf den hellgelben Zettel. Als ich endlich an der Reihe war und vor ihr stand blickte sie mit ihren Rehaugen zu mir hoch und sagte: «Well, that was tough!» Die Pizzeria war klein und zugig, wir gingen nach fünf Pizzen heim und schauten ein «heiteres Roadmovie» auf arte: «Verliebt in scharfe Kurven» mit Jean-Louis Trintignant. Spoiler: Am Ende stürzt er als Beifahrer im Auto die Klippen hinunter. Ich dachte, dass er doch noch rausgekraxelt kommt, aber nein. Ich schenkte Willi ebenfalls ein BUTT-Magazine, damit er beschäftigt ist, wenn er auf Reisen geht. Er freute sich sehr. Ursprünglich wollte ich noch ein kleines Sex-Toy dazu schenken, aber das erschien mir später zu übergriffig und ich ließ es sein. Ich klicke mich durch Bandcamp und stoße auf «Maze of sounds» von Janko Nilovic & The Soul Surfers – das Cover zieht mich magisch an. Auf der Suche nach den richtigen Buchtiteln von Miranda July stoße ich auf «The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma» und lese kurz in die Vorschau rein. Gleich darauf sehe ich bei der Arbeit eine Großaufnahme eines Gehängten in Saudi-Arabien. (pp)
(Berlin)
Ich treffe Ella und wir machen unseren Standardspaziergang zur Abwechslung mal in die Gegenrichtung. Ihre genesene Impfverweigerin ist Putin-Freundin und AfD-affin. Ihr Freund Harry ist doch nicht nach Italien ausgewandert. Sie hat sich FFP3-Masken und einen Ganzkörperanzug gegen radioaktiv verseuchte Partikel, die bei einem atomaren Schlag frei werden, bestellt. Ich überlege, das ebenfalls zu tun.
Während der Arbeit rippe ich nebenbei CDs. Gerade von Pavement, Stephen Malkmus und The Jicks. Meine neueste Kampagne: «Stop streaming music – das fickt die Waffenindustrie und spart Strom.» Ich habe selber neulich erst erfahren, das der Spotify-Gründer 100 Millionen in ein deutsches Start-Up für Militärausrüstung gesteckt hat. Seitdem versuche ich Leute darüber aufzuklären und sie zum Kündigen zu bewegen.
Eine Freundin von Willi, die sich beim Abbau als «Pazifistin» darstellte, antwortet: «Uhhh … das fällt mir sehr schwer!!» «Also wenn dir das schon schwer fällt ... ?¬タヘ♂️» «Na, die 2€ fürn Liter Sprit ertrage ich besser» «Teurer wird Streaming ja eh, weil der Strom teurer wird. Auf ein bisschen was muss man schon verzichten können, wenn man Frieden will ...» «Ja voll! Ich denke drüber nach! Es klingt vernünftig!» Mir ist außerdem einfach der Streaming-Sound zu schlecht. Jetzt umso mehr, da ich mir eine reduzierte Bluetooth-Box einer Berliner High-End-Firma bestellt habe. Solange man überhaupt noch was bekommt für Geld. Was könnte ich mir anschaffen?
Gestern Abbau von Willis Ausstellung im Umland. In Berlin: Feiertag – Internationaler Frauentag –, dort: nicht. Die S-Bahn voller Rentner und Studenten, die zum Shopping fuhren. Streit mit Willi, woher ich das wisse? Meine Antwort: Das sind keine Arbeitnehmer:innen und die letzten Sonntage waren die Bahnen dorthin ziemlich leer. Der Park, in dem der Ausstellungspavillon ist, war außerdem nicht voller als sonst. Wie’s im Schloßpark aussah konnte ich nicht sagen, dafür hatten wir ja natürlich keine Zeit.
Hinterher waren wir chinesisch Essen. Ich habe zwei chinesische Biere getrunken. Und eine Selbstgedrehte geraucht. Sie wirkte nicht mehr ganz so stark. Ich muss mit diesen Dummheiten dringend wieder aufhören.
Bei meinen Eltern sinkt die Inzidenz überhaupt nicht und ich frage mich, woran das liegt. Dabei arbeiten dort ja die Gesundheitsämter besser als in Berlin, wo teilweise nur zwei oder drei überhaupt Zahlen melden. So kriegt man die Inzidenz natürlich auch runter. Ich glaube den Berliner Zahlen aber schon lange nicht mehr.
Meine Arbeitgeberin hat heute für alle Kolleginnen, die ins Büro kommen, einen Strauß vorbereitet. Mehr Papier als Blumen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bereite mich auf mein nächstes Leben als Reddit-Troll vor. (pp)
Vor genau fünf Jahren war ich das erste mal in der Faust-Inszenierung von Castorf. Ich bin erschüttert, dass es schon so lange her ist. FÜNF JAHRE!!! Wo ist die Zeit hin?! Danach war ich noch einmal regulär in der Volksbühne bei Faust und einmal beim Theatertreffen. Oder zweimal? Es verschwimmt alles. Jedenfalls war ich auch nach der letzten Aufführung in der Bar «Kleine Philharmonie» gegenüber vom Haus der Berliner Festspiele, wo die Schauspieler feierten. Und im selben Sommer mit Anita bei den Salzburger Festspielen zur «inoffiziellen letzten Inszenierung der alten Volksbühne» mit «allen» Schauspielern zusammen. Huihuihui. Diese Saison habe ich mich um die Inszenierung von Castorf am Berliner Ensemble herum laviert, weil ich ahne, dass es voller Maskenverweigerer sein würde, so wie er herumgepoltert hat. Die Zeiten ändern sich.
Gestern war ich bei einer Gruppenausstellung, wo ich zwei Leute getroffen habe, die vor über zehn Jahren mit mir in China waren. Sie wohnt jetzt in einem Haus Richtung Hamburg an der Elbe und er bei Spandau. Tagsüber hatte sie Bäume beschnitten. Er erzählte mir, wie er bei 4 Grad Plein-Air-Aquarelle erstellte und welche Schwierigkeiten es dabei gibt.
Der Star der Ausstellung ist ein gutaussehender, erfolgreicher Künstler, der Schauspieler fotografiert hatte, die beim Schlafen bemalt und bearbeitet worden waren. Er war anwesend und mehrere Künstlerinnen mittleren Alters, die er kurz während des Ausstellungsaufbaus kennen gelernt hatte, kamen auf ihn zu, zogen ihre Masken herunter und fragten ihn: «Na, kennst du mich noch?!» Was Verzweiflung nicht alles aus Menschen herausholt. 7000 Euro inklusive Rahmen kostet eines seiner Fotografien und bei einem Tatortkommisar könnte ich schwach werden, aber ich verkneife es mir.
Gestern wären wir zu einem 30. Geburtstag in einer Bar eingeladen gewesen. Es war der Abend, an dem die Clubs in Berlin wieder öffneten. Wir hatten entschieden, dort nicht hinzugehen, weil das Risiko einer Infektion einfach zu hoch ist und Willi gerade keine Zeit hat, sich ins Bett zu legen. Ich habe mit dem Geburtstagskind eh kaum was zu tun und war zusätzlich froh, dass ich kein Geschenk besorgen musste. Die Zeche hätte es vermutlich eh nicht bezahlt. Heute morgen war Willi natürlich doch genervt, dass er wohl als einziger seiner Freunde nicht dort war und stattdessen bei der «langweiligen» Ausstellungseröffnung. Mir reichte die schon, ich hatte dort zwei kleine Gläser Wein getrunken und zwei Selbstgedrehte geraucht. Die erste davon wehte mich richtig weg und ich musste mich auf die Fensterbank setzen. Dafür konnte ich richtig gut schlafen.
Abends fragte Ella per SMS: «Kennst auch schon welche, die Berlin verlassen?» Ich: «Wohin denn? Es kommen doch jetzt alle erst» «Nee, Berliner» «Harry geht nach Italien, auf unbestimmte Zeit, eine Freundin geht nach Australien, flieht mit ihrer Tochter» Am liebsten hätte ich geantwortet, dass ich Ende März nach Italien fliege, zu einer Ausstellungseröffnung und Party! Das traute ich mich jedoch nicht und so antwortete ich nur «Echt?» und die Konversation war zu Ende. (pp)
BESUCH BEIM ÄLTEREN STAATSMANN
BESUCH BEIM ÄLTEREN STAATSMANN Seine Gesundheit
Ist angegriffen der Wodka nur für die Gäste
Beim Tee seine Hände Der zögernde Griff
Nach dem Teeglas Es könnte voll Blut sein Er kennt
Die Verbrechen des Jahrhunderts Hin und her
Zwischen den geheimen Mächten 30 000
Haben die Briten in Griechenland ...
Die Amerikaner wollten de Gaulle ...
Churchill bezog ein Salair von ... Der Folterer Barbie
War der Erfinder der Barbiepuppe Die Helden des 20. Juli
Sind Märtyrer geworden weil der ...
Seine Hand aus der Operation zog Und sein Geld
Als Stauffenberg Linkshänder wurde Die Balten
Haben den Deutschen viel Arbeit erspart mit den ...
Ich habe Angst vor meinem eignen Schatten
Sagte Stalin zu Shukow 1946
Als Hitler der Treibstoff ausging begann der Golfkrieg
Und welches Volk in Europa wäre nicht glücklich
Heute mit fröhlicher Mehrheit unter dem Hakenkreuz
Der letzten Utopie des Kapitals
Wie das deutsche Volk glücklich war erstmalig
In seiner grauen Geschichte voll geografischen Unheils
In der Freiheit von Juden Zigeunern Perversen
Kommunisten Asylantenpack
Die Wälder intakt und die Wiesen Bis die Rechnung kam
Was wußte Hegel der Stümper von Politik
Aus der Geschichte lernen heißt das Nichts lernen
Politik ist DAS MACHBARE Ein Männertraum
Aus dem kein Kind schreit In allen Sprachen
Heißt die Zukunft Tod Die Hände des älteren Staatsmanns
Manchmal sieht er sie an und bewegt sie im Schweigen
Wie beim Gespräch Sein Monolog ist stumm
Mit dem Blick auf seine Hand zögernd am Teeglas
Das Vergessen macht den erfolgreichen Staatsmann
Ihre Gefühle Hatten Sie Gefühle Welche wenn ja
Bei der Vertreibung aus Ihrem letzten Büro
Gefühle Nichts fühlte ich nichts nichts nichts nur die bittere Leere
Beim Zuhören hinter Gerüchten Mythen Legenden
Tauchen die Nachrichten auf wird mein Blick
Auf seine Hände zum Spiegelblick Seine Trauer gerinnt
Zu meinem kälteren Text Was geht mich die Welt an Ich
Esse ihre Bilder Die Wahrheit WAHRHEIT
Ist kein Gegenstand Die Farben der Lüge sind
Mein Bier Ich verlasse den älteren Staatsmann
Seine Gestalt in der Tür gebeugt von HERRSCHAFTSWISSEN
Seinen doppelten Händedruck Mit dem erhabnen Gefühl
Daß die Welt an uns vorbeigeht und es macht nichts
(Heiner Müller 21.12.1992)
(Berlin)
Wohin schlägt man sich, wenn man sich schon auf den Daumen gehauen hat? Ich wache viel zu früh auf, normalerweise stehe ich fünf Minuten bevor der Dienst beginnt erst auf. Kaffee kann ich während der Konferenz trinken. Ich mache meine neue Bluetooth-Boombox an, die ich spontan bestellt habe. Keine Lust mehr auf schlechten Sound zuhause und woanders hört man ja keine Musik mehr. Das integrierte Digitalradio dudelt mich mit Disco zu. Ich springe zu Bayern 2. Auf Knopfdruck Bayrischer Rundfunk – einfach genial! Es kommt eine Kultursendung, puh.
Konferenz. Es geht mal wieder um Ablenkungsstrategien. Eine sagt, dass sie das von ihr erfundene Damengedeck – Kräutertee und ein Glas Rotwein dazu – ja nicht schon am morgen trinken könne. Ich frage mich, warum eigentlich nicht? Leider kann ich zu dieser Diskussion nichts beitragen, denn meine Strategie ist nicht jugendfrei.
Erst nach der Konferenz schaue ich mal die Nachrichten an. AKW beschossen. Na bravo. Stell’ dir vor du hast den Krebs erstmal überlebt, zwei Jahre rumgeeiert, um die neueste Virusinfektion nicht zu bekommen und dann lässt ein Irrer ein AKW hochgehen.
Meine seit jeher absolute Impfverweigerinnen-Cousine hat sich neulich impfen lassen, damit sie auf die Seychellen fliegen kann, weil die Einrichtung ihrer neuen Doppelhaushälfte so anstrengend war. Ich schaue nach, wo die sind – ich bin ja auch geimpft! Ich schaue nach Schmuck und endlich, endlich, endlich will ich den Plastik-Pop-Schmuck aus London kaufen, er liegt schon im Warenkorb, als mir einfällt, dass ich ja neulich ein Drittel des Kaufpreises an den Postboten als Zoll abgedrückt habe, weil die Brexit-Schonfrist jetzt vorbei ist. Da ich zusätzlich noch richtige Kettchenen brauche und nicht den Billig-Mist, den die standardmäßig dran machen, wird es mir zu teuer und ich bestelle nicht.
Gestern habe ich während der Arbeit angefangen, die Serie mit dem ukrainischen Präsidenten zu schauen. Ich fand den schon immer ganz süß. Jetzt ist die Serie Hintergrundwissen – ich muss schließlich wissen, wie er ausschaut, wenn er im Unterhemd auf der Schüssel sitzt – und habe absolut kein schlechtes Gewissen. Da es sie nur mit Untertiteln gibt, muss man sich richtig davor setzen. Die Serie ist lustig, heißer Tipp!
Mein Dienstplan ändert sich ständig, und ich hab eine extra Schicht für nächsten Sonntag übernommen. Willi fährt eh dienstlich weg. Wir sind jetzt manchmal so überbesetzt, dass es gar nicht immer was zu tun gibt und ich dachte nur an den Zuschlag. Ob das so gut war? Die Freundin meiner Mutter schickt mir ein Meme. Papst zu Putin: «Glaube mir, in deinem Fall ist Selbstmord keine Sünde.» Ein paar Tage vorher war es ein Spruch von Henry Miller zum Krieg und Frieden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie weiß, was der sonst an Porno-Kram geschrieben hat. Willi kannte ihn gar nicht, würde aber «Im Wendekreis des Krebses» lesen, wenn ich es umsonst auf der Straße finde. Gestern habe ich für Ende April Karten bestellt für das neue Stück von René Pollesch mit Fabian Hinrichs in der Volksbühne. Titel: «Geht es dir gut?» (pp)
Berlin
Tut dir das Knie weh? Hau dir mit dem Hammer auf den Daumen, dann tut dir das Knie nicht mehr weh. Scheint bei vielen zu funktionieren mit Krieg und Corona. Letzte Woche telefonierte ich mit meiner Mutter. Ihr Top-Thema: Der Krieg. Willi und ich können und sollen zu ihr aufs Land kommen, wenn es hier los geht. Beim Telefonat schrie sie irgendwann besorgt: «Heiliger Gott, na!» Und ich denke, jetzt sieht sie im Fernsehen eine Bombe einschlagen und frage sie los was ist und sie: „1:0 für Dortmund!“ So schnell wird man abgelenkt.
Für Ende März habe ich den ersten Flug seit Jahren gebucht. Ich dachte, die Preise würden explodieren, weil Italien alle Maßnahmen Ende März aufheben will und von der deutschen Risikogebietsliste gestrichen wurde, aber es geht noch. 1. Welle: Bitte nicht daran sterben! 2. Welle: Bitte nicht auf die Intensivstation! 3. Welle: Bitte nicht ins Krankenhaus! 4. Welle: Bitte kein Long-Covid! 5. Welle: Bitte nicht im Auslandsurlaub angesteckt werden! Der Bruder eines Freundes von Ella ist mit Frau und Kindern, Sack und Pack nach Italien gefahren, erstmal open end, weil er glaubt dass dort die Putin Bomben nicht einschlagen werden.
Heute wollte ich mit Ella früh spazieren gehen, aber sie ist in die Datsche gefahren, das macht sie sonst nie unter der Woche. Würde sie am liebsten fragen, wann der Bunker fertig ist und Willi und ich kommen dürfen? Lasse das aber lieber mal, das würde sie gerade bestimmt falsch verstehen. Ihre Teenie-Tochter sagt, dass das mit Merkel nicht passiert wäre und wünscht sich Merkel zurück. Letzten Sonntag hatte Willi Sonderöffnungszeiten seiner Ausstellung außerhalb der Stadt. Während scheinbar alle anderen gegen den Krieg demonstrieren gingen, saßen wir im Glaspavillon, schauten auf die Gärten ringsum und ließen uns von der Sonne bescheinen.
Er bekam sogar Geld für den Aufsichtsdienst, weil die eigentliche Aufsicht keine Zeit hatte, das wir im Anschluss komplett verfressen haben. Im Restaurant. Tatsächlich. Sogar ich brauche manchmal etwas Abwechslung. Außerdem schrie mich Willi neulich an: «Stell’ dich nicht so an, wenn überhaupt was passiert, legst du dich halt mal zwei Wochen ins Bett und dann ist das Ganze vorbei. Du bist ja schließlich fest angestellt!» So kann man es auch sehen.
Am Sonntag davor waren wir bei Thea zum Geburtstag. Schon ihre Einladungsmail war coronafrei – «Wenn es draußen stürmt, machen wir es uns drinnen gemütlich» – und ihre größte Sorge schien zu sein, dass wegen der kurzfristigen Einladung niemand kommen würde. Mir stellten sich die Zehennägel auf und ich meldete uns für zwei Stunden nach dem offiziellen Beginn an, um unsere Aufenthaltszeit zu reduzieren. Sechs Personen hatten zugesagt, «alle geboostert und ganz vorsichtig!». Das Ende vom Lied: Zwei Tage danach der erste Coronafall und einen weiteren Tag später vermeldete die Gastgeberin ihren Positivstatus. Diese Woche wurde ein weiterer Fall bei der Gastgeberin gemeldet, die ihre Erkrankung am liebsten ebenfalls auf den Kaffeeklatsch zurückführen wollte. (pp)
Bis in die späten 80er flog man über Alaska nach Japan, es war nicht möglich, über die Sowjetunion zu fliegen.
Nach ca. zehn Stunden Flug hatte man einen Zwischenstopp in Anchorage, um danach weitere zehn Stunden bis zum Ziel zu fliegen. Der Flughafen war hoch, rund und karg, draußen die weite vereiste Landschaft. Die Reisenden waren ausschließlich Japaner, das Flughafenpersonal Inuit. Es gab ein paar Duty-free-Shops und einen Nudelsuppenladen.
Die Durchsagen waren auf Englisch und Japanisch, beides mit starkem Akzent. Das Japanisch klang eigenartig, da es besonders langsam, gleichmäßig und überdeutlich ausgesprochen wurde, so dass sich der Zusammenhang der einzelnen Silben jederzeit aufzulösen drohte. Selbst innerhalb einer dreistelligen Flugnummer wurde nach jeder Ziffer reichlich Zeit gelassen, so dass diese Ziffern nur noch als einstellige, einzelne Zahlen ankamen. Benebelt vom Zahlenmantra, drehte ich meistens meine Runden auf dem Flughafen, sah immer wieder keine Kunden am Nudelsuppenladen. Irgendwo zwischen den Gates und Duty-free-Shops tut sich ein besonders leerer Bereich auf. Dort, auf einem Podest, ragt ein 5 Meter hoher Glasschaukasten, in dem ein großer, ausgestopfter Eisbär auf den Hinterbeinen steht. Ich sehe zu ihm hinauf. Der Blick des Bärs hängt in der Luft zwischen Glaskasten und Fensterfront. (take)
mein resilientes sein verschafft mir, in der nacht nach dem angriff auf die ukraine, völlig neue, noch nie dagewesene erlebnisse: ich träume dass ich laut und haltlos albern lache, so lange bis ich davon aufwache, und wirklich sehr gut gelaunt bin. der traum selbst hat keinen witz, ist nicht besonders komisch eher genervt erheitert: ein kaffeehausbesitzer zeigt mir, dass seine nagelneue kaffeemaschine nicht funktioniert und hält zur demonstration der fehlfunktion einen becher unter den siebträger, der sprudelnd ein gemisch aus kaffeepulver und wasser abgibt - ich lache und lache. (nor)
Berlin-Mitte (Wedding), Ostender Straße Ecke Müllerstraße. Auf dem Schaufenster eines leerstehenden Ladens steht seit längerem der religiöse Weckruf "my russkie s nami Bog" (zu deutsch: "Gott ist mit uns Russen") (wt)
Letztes Jahr entdeckten jene unter meinen Bekannten, die plötzlich schwer zu schwurbeln begannen, zu meiner Überraschung ihre Sympathien für Trump. Ich war etwas weniger überrascht, dass eben diese Bekannten jetzt auch Putin irgendwie knorke finden und es schaffen, diese Identifikation an ihr Selbstverständnis als Linke oder Schwule anzustricken. Für sie bin ich Atlantiker, obwohl ich für die Nato wenig bis nix übrig habe. Ich bin nicht für die Nato, nicht einmal besonders für die Politik der Ukraine, sondern gegen Putins Regime wegen seiner brutalen Verachtung für das Selbstbestimmungsrecht von Gruppen und Individuen. Und wegen der mit ihr verknüpften Hingabe an Gott, Vaterland und die ewige Ordnung der botoxkonservierten Männlichkeit. Vertreter ewiger Ordnungen sind sowieso ständig beleidigt. (dl)
Belte und Sund :
Westliche Winde 7 bis 8, später Nordwest 5, anfangs
strichweise schwere Schauerböen, See 2 Meter.
Westliche Ostsee :
Südwest bis West 7 bis 8, abnehmend 5, anfangs
orkanartige Böen, strichweise Gewitter, See 2 Meter.
Südliche Ostsee :
Südwest um 8, später west- bis nordwestdrehend, etwas
abnehmend, anfangs Orkanböen, strichweise Gewitter, See
zunehmend 5 bis 6 Meter.
Avendorf, Elbmarsch
ein storch steht in der wiese. ist er mit den drei sturmtiefs hier angekommen? (nor)
Die römisch-katholische Kirche St. Erich im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort (gu)
Berlin
Fahrkartenkontrolle auf dem Bahnsteig Stadtmitte: Ein Kontrolleur erklärt vier schwarzen Männern (britische Touristen), die als einzige von ihm angehalten wurden, dass er selbstverständlich kein Rassist sei. Die britischen Touristen erklären ihm, dass auch in London die Kontrolleure, die sich immer schwarze Menschen herauspicken, selbstverständlich nie Rassisten sind. Es ist der reine Zufall, der die einen und die anderen immer wieder zueinander führt. (dl)
Schweiz
Ich besitze gut 14 Kisten Bücher und träume seit Jahren davon sie alle versammelt in einem Bücherregal vor mir zu sehen, und jederzeit griffbereit zu haben, aber so viel Sesshaftigkeit hab ich mir bisher nicht gegönnt. Der Anblick einiger erinnert mich an langdauernde Vorfreude, sie irgendwann dann endlich mal zu lesen. Wegen Mieterhöhung mein Lager am ausmisten, und es ist praktisch wenn schlecht platzierte Keramiken, aufbewahrte Skulptur-Skizzen aus der Verpackung fallen und sich von allein erübrigen.
Ich träume davon, ein solches Lager nicht haben zu müssen, auch wenn mich manches was ich da finde entzückt, konfrontiert mit 45 Jahren am Leben sein. Es müsste Bibliotheken mit Dingen geben, Overalls, Werkzeug etc. Wie meine Mutter richtig einwandte, würde das dann nicht Bibliothek heissen. Aber internet of things. You will own nothing and be happy. Wofür ich ja sogar bin. Dafür könnte dann als allererstes die blödsinnige Überproduktion an Autos, Kleidung etc. aufhören und endlich wieder an der Herstellung langlebiger Produkte gearbeitet werden, die nicht 7 mal um die Welt geflogen werden, oder nur von vereinzelten Konzernen überhaupt verwaltet werden, und ich sage schon lange, wie viele andere, hört endlich auf zu produzieren, das Perfide ist, ich schaff es selber nicht. Es gibt einfach zu viel Stuff und wenn ich meine alten CDs seh, ärger ich mich jedesmal über dieses unsägliche Format, was sich nur so kurz gehalten hat. (nn)
Ich meine immer, ich habe einen IQ von exakt 164, vor allem beim Lesen und Schlechtfinden fremder Texte. Beim Selberschreiben sinkt er drastisch, hinein in die Ekelspähre solider Hochschullehrer-Intelligenz, die Oil-of-Olaz-Schönheit des Denkens gewissermaßen, um schließlich einzutauchen in den verzweifelt doofen Dämmer der Imbezillität, wo mich jede Füllfederspitze tagelang nur anschimpft: Du saudumme Sau, du armseliger Blödel, du eine Hirnzelle. Bis mir wieder einfällt, was ich immer wieder vergesse und was die Rettung ist: Nicht meine Intelligenz ist meine Stärke, sondern meine Schamlosigkeit und mein Mut. (Rainald Goetz über Jörg Schröder : ›Mammut‹)
Corona-Taxonomie
Für alle, die zwischen den Stühlen sitzen
Zu welcher Gruppe gehöre ich? (Mehrfachnennungen möglich)
MENSCHEN IN DER PANDEMIE
1a Die Verängstigten, die aus Angst jeglichen Kontakt vermeiden – auch zu geliebten Menschen
1b … die sich sichtlich entspannt haben, als sie endlich geimpft waren
1c … die wieder Angst bekamen, als sich abzeichnete, dass manche Menschen sich nicht impfen lassen wollen
2a Die Besorgten, die sich in sämtliche Statistiken und Hochrechnungen eingearbeitet haben
2b … die sich aufopferungsvoll in jede Debatte werfen, um den Ernst der Lage zu erklären
2c … die, nachdem sie das Virus zur Genüge analysiert hatten, zu Sportreportern politischer Entscheidungen wurden
3a Die Engagierten, die sich für jede Maßnahme stark machen, da jede Maßnahme hilft
3b … die sich auf Vergleiche verlegt haben: Wie kann es sein, dass x noch auf hat, wenn y dicht ist
3c … die diverse Maßnahmen einführen wollen „um Lockerungen zu ermöglichen“
4a Die Optimisten (Optimierer), deren erklärtes Ziel es (immer noch) ist, das Virus vollständig zu bezwingen
4b … die alle Hoffnung auf Technik setzen: auf Impfstoffe, Luftfilteranlagen, High-Tech-Masken („Team Wissenschaft“)
4c … die denken, die Pandemie hat auch ihr Gutes: Home Office zum Beispiel
5a Die Idealisten, die jede Maßnahme begrüßen – nicht aus Angst um sich, sondern aus Prinzip, nämlich aus Solidarität
5b … die den Kontakt abbrechen zu Menschen, nicht aus Angst vor Ansteckung, sondern aus Entrüstung
5c … die gegen eine Impfpflicht sind, weil Menschen aus freien Stücken vernünftig sein sollten
6a Die Streitlustigen, die in diesen Diskussionen ihren Moment gekommen sehen und Menschen um sich scharen
6b … die sagen, es gibt keine Spaltung der Gesellschaft – das sei alles nur Debatte
6c … die sagen, eine Spaltung der Gesellschaft ist doch gar nicht schlecht: Jetzt zeigt jeder sein wahres Gesicht.
7a Die Harmoniebedürftigen, die nachts weinen, weil sie sich so alleine fühlen und die Spaltungen durch ihren engsten Kreis verlaufen
7b … weil sie voller Abscheu sind für die emotionalisierten Äußerungen von allen Seiten
7c … die in Erwägung ziehen, sich entgegen ihrer Art für eine Allgem. Impfpflicht auszusprechen, weil das vielleicht wieder etwas kitten könnte oder zumindest Klarheit schaffen
8a Die Verwirrten, die bei der Änderung der Regelungen nicht mehr hinterherkommen und sämtliche Fauxpas begehen
8b … die sich aus Taktgefühl und Höflichkeit an Maßnahmen halten, die ihnen nicht einleuchten
8c … die einfach überhaupt nicht mehr über dieses Thema sprechen möchten, schluss ende aus
9a Die Bedrängten, deren Sorgen um ihre Existenz immer schon größer waren als die um ihre Gesundheit & das Gesundheitssystem
9b … und die deshalb in der ganzen Sache gar nicht vorkommen, gar nicht tangiert sind
9c … oder im Gegenteil ihr Leben vollkommen neu aufstellen müssen und damit beschäftigt sind
10a Die Bedenkenträger, die darauf pochen, dass Maßnahmen verhältnismäßig zu sein haben
10b … die denken, dass überall, wo viel mit Zahlen jongliert wird, das große Ganze aus dem Blick gerät
10c … die befürchten, dass die eigentlichen Herausforderungen unserer Zeit ganz andere sind und gerade vollkommen auf der Strecke bleiben – und die Pandemie vielleicht sogar eine dankbare Ablenkung von unserem Versagen ist
11a Die Furchtlosen, die eine Angst vor Krankheit und Tod schlicht nicht nachvollziehen können und sich über die Gesellschaft wundern, in der sie leben
11b … die auch in einem temporären Zusammenbruch des Gesundheitssystems und der Müllabfuhr keinen Weltuntergang sehen
11c … die Pandemien und Massensterben für ein wiederkehrendes, unvermeidliches Moment in der Geschichte der Menschheit halten
12a Die Unbeeindruckten, die (immer noch) der Meinung sind, es gibt gar kein Virus und keine Pandemie
12b … oder das Virus als individuelles Schicksal begreifen: Wer sich schützen will, der soll das tun
12c … die sich aus Gründen, die nur sie selbst kennen, gar nicht äußern wollen
13a Die Beängstigenden, die mit jeder Maßnahme ihre Freiheit bedroht sehen und gewillt sind, sich zur Wehr zu setzen. Sie mögen selbst von Angst getrieben sein, doch dass sie selber Angst verbreiten, nehmen sie in Kauf
13b … die solidarische Netzwerke und Strukturen mit Gleichgesinnten aufbauen und Euphorie erleben, weil zwischen einem Millionär und seinem Angestellten auf einmal eine Allianz besteht
13c … die über Themen wie die Impfung auch zu geliebten Menschen entrüstet den Kontakt abbrechen
Anmerkung: Aufgrund der Parallelen könnte man denken, die Hauptfront verlaufe zwischen den Verängstigten und den Beängstigenden. Tatsächlich besteht zwischen ihnen wohl auch das Verhältnis der Feindschaft nach Schmitt: Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt. Sie sind sich viel ähnlicher als sie denken. Aber es ist ein Kurzschluss zu denken, Feindschaft sei immer deckungsgleich mit Frontverlauf.
Die Gräben verlaufen auch zwischen a) dem „technology solutionism“ der Optimisten (im Schulterschluss mit Idealisten, Engagierten), dem ein Glaube an Fortschritt und Machbarkeit zugrunde liegt, und b) dem Skeptizismus der Bedenkenträger, Furchtlosen und Unbeeindruckten, die Technologie, zumal wenn auf nur eine einzige gesetzt wird, für überschätzt halten: Sie löst Probleme nicht in Luft auf oder bringt stets neue mit sich. Was machbar ist, ist längst nicht sollsam.
Manche Gräben sind eher Abgründe als Fronten: Die Harmoniebedürftigen, Verwirrten und Bedrängten (und zum Teil auch die Unbeeindruckten) bilden keine Front, da sie entweder versuchen, sich der Auseinandersetzung zu entziehen oder es nicht schaffen, sich an ihr zu beteiligen. Sie sind daher umkämpftes Terrain: bevorzugte Zielgruppe von Appellen, Maßnahmen und Maßregelungen.
Diese Taxonomie beabsichtigt nicht, eine Wertung vorzunehmen: Verängstigt zu sein mag zwar gemeinhin ethisch höher bewertet werden als beängstigend zu wirken. (Der Verängstigte ruft Mitgefühl hervor und ihm wird der benefit of the doubt gegönnt, dass seine Angst schon ihre Gründe haben wird (Vorerkrankungen). Es wird angenommen, wer Angst hat, fügt immerhin niemandem einen Schaden zu – anders als der, der ein beängstigendes Betragen an den Tag legt (Wut). Dieser ruft mit seiner Wut kaum je Mitleid hervor und Sympathie nur bei jenen, die sich in seiner Wut wiederfinden – bei Unbeteiligten eher nicht. Unbeteiligte werden auch stets anzweifeln, ob beängstigendes Betragen gerechtfertigt ist (wir tun Wut kaum je mit den Worten ab „der wird schon seine Gründe haben“).
Hier sollen beide Positionen in vorläufiger Gleichwertigkeit betrachtet sein. Nicht, weil ich denken würde, es sei in Ordnung, beängstigend aufzutreten – sondern weil ich denke, dass es unter gewissen Umständen nicht in Ordnung ist, verängstigt zu sein oder „Angst“ als Argument einfach durchzuwinken.
Anmerkung dazu: Je nach persönlicher Situation kann jede Position „rational“ sein. Todesangst ist meistens irrational, im Angesicht des Todes ist sie rational. Dass eine Sichtweise rational ist, heißt noch lange nicht, dass sie gut oder erstrebenswert oder ein Ausdruck von Weisheit wäre – es heißt bloß, dass sie logisch nachvollziehbar ist. Im Angesicht des Todes Todesangst zu haben ist rational, aber nicht besonders gut oder erstrebenswert oder ein Ausdruck von Weisheit.
Einordnung in bestehende Terminologie
„Corona-Leugner“:
Die Unbeeindruckten:12a und 12b
„Querdenker und Montagsspaziergänger“:
Keineswegs nur 13 Die Beängstigenden (wenn auch oft von diesen organisiert oder für eigene Zwecke genutzt). Sondern auch teilweise: 6 Die Streitlustigen 8 Die Verwirrten 9 Die Bedrängten10 Die Bedenkenträger 11 Die Furchtlosen12 Die Unbeeindruckten
„Impfgegner“:
Kommen in allen diesen genannten Gruppen vor. Außerdem noch bei 7 Die Harmoniebedürftigen, die ungern auf die Straße gehen. Hervorzuheben sind die 11 Die Furchtlosen, die nicht grundsätzlich „gegen“ die Pandemie oder „gegen“ jegliche Pandemie-Maßnahmen sind und keineswegs zwangsläufig politisch rechts sind. Sie mögen häufig einen religiösen oder spirituellen Hintergrund haben, oder ein sehr ausgeprägtes Körpergefühl, das sie vor der Impfung als medizinischen Eingriff zurückschrecken lässt.
Einen Sonderfall bilden 12 Die Besorgten, die sich vorrangig mit den Gefahren durch das Virus auseinandersetzen, die gleiche Energie aber auch auf die Impfung aufwenden können (Folgeschäden etc.)
Interessant sind fernerhin die Schulterschlüsse im Lager der Maßnahmenbefürworter (da sie die Mehrheit bilden, wurde für sie bislang kein Begriff geprägt): Die 1 Die Verängstigten und die 5 Die Idealisten würden ohne die 2 Die Besorgten, 3 Die Engagierten und die 4 Die Optimisten wohl recht wenig zustande bringen. Im Gegenzug versorgen die Idealisten diese „Macher“ mit Sinn – denn sie brauchen etwas, an dem sie herumknobeln und herumbasteln können und würden im allgemeinen Stillstand und temporären Lockdowns sonst allzu schnell einen Lagerkoller kriegen. Ohne die Idealisten könnten die Engagierten schnell in das Lager derer überwechseln, die sich gegen die Maßnahmen engagieren.
Richtig spannend wird es, wenn die Pandemie vorbei ist, und all diese Überlegungen, alle Debatten und vieles von dem, für oder gegen das man sich monatelang eingesetzt hat, keinen Sinn mehr ergeben. 7 Die Harmoniebedürftigen hoffen, dass es im Gegenteil überhaupt nicht spannend wird und diese Sache einfach im Sande verläuft, Kontakte wieder hergestellt werden und sich alle wieder grüßen als wäre nichts geschehen. Doch die zwölf anderen sehen das vielleicht anders. Alle liegen falsch.
BM
(Kyoto)
K. will heute mit mir zum Entsuji, was mich schwer wundert, für meine Begriffe seit Ewigkeiten geht sie nicht mehr raus und jetzt plötzlich mit dem Fahrrad acht Kilometer den Berg hoch zu dem alten Tempel ... Aber ich freue mich doch und komme natürlich mit. Wir haben extra jeweils ein zweites Paar Socken mitgenommen, weil die Holzdielen, der Tatamiboden doch furchtbar kalt sein werden. Wäre aber gar nicht nötig gewesen, weil im Raum mit herrlichem Blick auf den Berg Hiei zwei grell-türkisblaue elektrische Heizteppiche ausgebreitet sind. Die tiefe Stimme eines Mönchs, auf Kassette gesprochen, erzählt von Kaiser Go-Mizunoo, der seine Untergebenen ausschickte, um den Ort zu finden, von dem aus der Berg Hiei am schönsten zur Geltung kommt, um hier dann seine Residenz anzulegen. Die tiefe Stimme springt dann in die nähere Gegenwart und spricht vom fortwährenden Kampf, der nötig war und ist, damit die geliehene Landschaft hinter dem aus Steinen und Moos angelegten Residenzgarten nicht verschandelt, zerstört wird, - wie es in so vielen anderen Tempeln Kyotos geschehen sei. Nachdem das Kassettenband mit einem Ruck verstummt, fühle ich mich allem enthoben. Wir haben die ganze Anlage auch eine gute halbe Stunde für uns allein, dann kommt eine weitere Besucherin, und noch eine, wir setzen unsere Masken wieder auf, das Kassettenband spielt wieder von vorne los, wir machen uns auf den Nachhauseweg. Später erzählt mir K. bei heißem Bancha auf kaltem Boden, dass ein Virologe von der Kyoto-Universität, den sie sehr bewundert, in einem seiner Tweets geschrieben hätte, dass er erschöpft von all den vielen Diskussionen Ruhe und neue Ausgeglichenheit im Entsuji gefunden hätte. "Daher also", sage ich, "dieser Virologe hat uns heute diesen Ausflug beschert." Sie nickt und ich bin gespannt, wohin uns seine Empfehlungen noch überall führen werden. (ast)
(Berlin)
Es war nur eine Frage der Zeit: Das erste Coronavirus-Tattoo gesichtet. (dl)
noch ein reiter aus rom (ast)
"In einer alten Handschrift sah ich ein schön mit glänzenden Farben gemaltes Bild, den Tod als Fledermausmännchen auf einem dicken, grauen Pferde, wie er, den Pfeil auf der angespannten Bogensehne und die Sense vom Gürtel herunterhängend, einen Menschen verfolgt. Auf einem sonnigen Wege, vor einem leuchtend grünen Lorbeer- und Palmenwäldchen, floh der Mann vor dem Reiter her, aber man sah schon, es war kein Entrinnen, ein Pfeil steckte ihm bereits im Halse, gleich würde der nächste die Sehne verlassen. Das war eindrucksvoll, eine vergebliche Anstrengung, leben zu bleiben, sich zu retten vor der kleinen, düsteren Mißgeburt, die sich so übel ausnahm vor der paradiesischen Natur."
Marie Luise Kaschnitz, Engelsbrücke, Nihil Umbra
(Kyoto)
Am Abend mehrmals gesagt, dass ich jetzt eigentlich am Flughafen hätte ankommen sollen, dass ich jetzt eigentlich den Flieger hätte besteigen, dass ich jetzt eigentlich hätte losfliegen sollen. Mir das Fliegen vorgestellt. Um fünf in der Frühe aufgewacht, weil es über uns polterte, ich habe mich aufgeregt. Vielleicht aber auch einfach nur aufgewacht, weil ich auf Toilette musste. Die Hausportierin hat mir erzählt, dass die Frau, die über uns wohnt und so oft in Herrgottssfrühe irgendwohin aufbricht, ihren Koffer beim Betreten des Hauseingangs stets anhebt und betont, dass sie ihn niemals in ihrer Wohnung herumbewegt oder -schiebt. Wieder auf dem Futon sind meine Gedanken zu Paulus von Tarsus geschweift, seine nimmermüden Reisen, seine Überzeugung, dass die Welt untergeht, die Toten auferstehen und das letzte Gericht ansteht. Nicht in weiter Ferne, sondern baldigst, vielleicht gleich morgen oder gar heute. Selbst irgendwie in Aufregung verfallen, als sei ich im Schlaf von ihm missioniert worden und würde nun im Morgengrauen warten. Paulus bekam bald Probleme mit seinen Gemeinden, weil sich dieses gewaltige Weltendeereignis eben doch nicht einstellen wollte. Danach an meinen Freund C. gedacht, der heute Geburtstag hat, unsere gemeinsame Zeit in der Ministrantengruppe St.Paulus. Im Kindergarten waren unsere Gruppen nach Tieren benannt und bei den Ministranten dann nach Heiligen. Warum nicht jetzt gleich die Geburtstagsmail schreiben? Allerdings um halb sechs in der Früh, da hat er ja in der Mitte von Europa noch gar nicht Geburtstag, das brächte vielleicht auch Unglück. Lieber noch liegen bleiben. Ich erinnere mich, wie wir in der Messe aus den Briefen des Heiligen Apostels Paulus lasen. An Kolosser, an Thessalonicher, an Galater, an Philipper. Diese Namen allein fand ich schon spannend genug. Und je nachdem wer sie von uns Ministranten auf der Kanzel am Mikrofon mit welch unterschiedlich starker Dialektfärbung vortrug, verwandelten sie sich noch mehr, wurden noch exotischer, oder kamen auch ganz nah und hätten ein Nachbardorf in der Kurpfalz sein können. Nach dem Frühstück dann an C. losgeschrieben, dass ich ihn eigentlich heute hätte überraschen wollen, unerwartet an seine Tür hätte klopfen wollen. Ich werde überschwänglich, schreibe von den Geschenken, die ich nicht nur für ihn, sondern auch für seine Frau und seine Kinder hatte mitbringen wollen, schreibe mich in ein inniges und herzliches Geburtstags- und Wiedersehensfest hinein. Euphorisch mich zu einem Spaziergang aufgemacht. Auf dem Weg zum Park in der Mitte der Straße Hundekacke, die fällt mir weit weniger deshalb auf, weil sie so mittig platziert ist, sondern weil ich eigentlich fast nie Hundekacke sehe. Ich sehe immer nur Leute am Boden etwas sorgfältig, gewissenhaft und schnell in kleine Tüten packen, während die Hunde schon wieder an der Leine ziehen und weiter wollen. Durch den Park und dann zum Fluss. Beim Warten an der Ampel fällt mir die Lauchstange auf, die aus dem vollen Fahrradkorb zum Himmel ragt. Und als die Ampel auf Grün umschaltet, sehe ich noch lange die Lauchstange wohl mit dem Fahrrad zusammen manchmal schwanken, dann doch aber immer wieder wie ein Kirchturm gerade zum Himmel hinauf weisen. Anderthalb Stunden später, auf dem Weg zurück, liegt da die Kacke noch immer völlig unversehrt. Singend komme ich zu Hause an, ich habe gute Laune wie ich sie an meinem eigenen Geburtstag niemals habe und freue mich, als stände gleich die Überraschungs-, die Wiedersehensparty an. Wenn alles nach Plan verlaufen wäre, würde ich mich nun allmählich Frankfurt nähern. (ast)
(Berlin)
Archaische Nacht: Sturm haben wir ja ab und zu mal, aber dieser kam aus der ganz falschen Richtung und wirkte direkt auf die Fassade, die zu ächzen begann. Der Nachbarin wurden morgens um drei zwei Scheiben aus dem Fensterrahmen gedrückt. Dann wehte es bei ihr ums Mobiliar. Glaser heute nicht zu bekommen, also zog sie jetzt ins Hotel und hofft, dass es nicht regnet. - Mir hat es nur den Nachtviolentopf zerschlagen. (dl)
(Hamburg)
Letzte Woche hustete der Mann nachts, jammerte ein bisschen, morgens drehte er sich rüber: „Du, ich habs“ (hust). Raketengleiches Aufstehen. Die 10 Tage danach waren dann letztlich unerquicklich, seltsam, aber auszuhalten. Seltsam ist eher, wie reibungslos etwas zum neuen Normalzustand wird. Sein Gefühl stimmte, er war positiv, und bei ein bisschen Husten blieb es, zum Glück – danke, frischer Booster. Ich testete negativ, auch am Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag usw. Der Ablauf der Tage: Einkaufen, testen, arbeiten, einkaufen, testen, arbeiten, einkaufen, testen, arbeiten. Die Reihenfolge ist wichtig.
Man sollte übrigens ein gesundes Maß Preppertum nicht verspotten. Ich war damals nicht der Einzige, der nicht in erster Linie Klopapier, sondern auch Konserven, Batterien und einen Wassercontainer kaufte – batteriebetriebenes Radio gab's ja schon im Haushalt. Aber jetzt: kaum mehr was da. V. machte sich (selbstverständlich) über mein Ranschaffen lustig: Wieso, man kann doch bei Rewe alles online kaufen. Aber will ich hustend-fiebrig von irgendeinem Rewe-Angebot abhängig sein? Nein. Außerdem bei Edeka Tiefkühl-Angebote. Es ist wieder das Gefühl von Frühjahr 2020 – jetzt geht was los, Erlerntes und von der Kriegsgeneration Ererbtes sind gefragt und blind abrufbar.
Eine Woche später: Bei V. genau dasselbe, der Partner positiv, er allerdings seit heute auch. Also Rewe online. Bei ihnen – wie bei uns bis heute: Wohnung geteilt. Bei uns ging das so: Zweimal klingeln heißt Achtung, ich komme – etwas Zeit lassen. Dann betrat ich Flur, dann Küche oder Gästezimmer. Flur, Küche, Bad können im Gegensatz zur restlichen Wohnung nicht aufgeteilt werden, das Betreten dort also mit Maske, Lüften. Einer kocht, nimmt sich was und ruft im Gehen den andern.
Es sind Routinen, die vom ersten Tag an funktionieren. Das Aufteilen der Wohnung in Terrains – vollkommen selbstverständlich, man kennt das (irgendwoher): sichere und unsichere Zonen. Das Sprechen durch den Türschlitz: stresst schon ein bisschen, es bringt die Ordnung durcheinander, ein Zwischenbereich tut sich auf – Telefonieren ist einfacher. Am entspanntesten von allen ist nun er, denn für ihn ist es rum. Wie ich heute Abend in der Redaktion gelernt habe: Laut WHO werden 50% der Europäer es in den nächsten paar Wochen bekommen. Aber, Hauptsache, einer kauft ein. (smo)
(Hamburg)
sind eigentlich mehr männer als frauen von einem dachschaden in folge der pandemie befallen oder ist es bei männern nur auffälliger?
l. ist vereinsamt, neurotisch und passiv aggressiv bis zur selbstaufgabe.
f. hat seinem preppersyndrom seit beginn der pandemie die zügel schießen lassen, wie alle prepper hat er lagerprobleme.
s. sitzt jeden abend den der herr werden lässt bis um 21 uhr mindestens am bett seines kindes während sein lebensmensch am bett des anderen kindes sitzt. schlafen die kinder nicht bis um 21 uhr sitzen sie (in getrennten zimmern) auch bis 22 uhr dort.
m. ist neurotisch, panisch, unkonzentriert und außerstande soziale kontakte aufrechtzuerhalten.
k. ist immer schon depressiv und hat nun die plausibelsten seuchen-ausreden für das nicht zustande kommen von verabredungen, ob mit kindern, frauen oder männern ist egal.
h. ist vereinsamt und braucht langsam wirklich professionelle hilfe bei der organisation seines coming outs.
vermutlich ist es so, dass die vorliebe für projekte, über die man (tatsächlich vor allem männer) auch gerne und ausführlich sprach, die derzeit aber überhaupt keine konjunktur haben, nun im privaten bereich dazu führt, dass ein alltäglicher vorgang wie das zu bett bringen nun zu einem projekt ausgebaut wird. (das preppen hat ja auch in erster linie projektenergie, es geht um den plan nicht um den ernstfall, denn zum einsatz kommen die angestauten dinge zuverlässig nicht.)
neurotische auffälligkeiten wären mit entspanntem herumhängen in freundesgruppen sehr bald durch die gefällige darbietung und vergleich der unterschiedlichen macken auf gute weise relativiert und entschärft. vielleicht ist das überhaupt eine neue sorte selbsthilfegruppe: mackenschau. (nor)
DAZU: Karl Philipp Moritz, Anton Reiser
»Der junge Neries hatte wirklich ein gefühlvolles Herz, er ließ sich aber auch durch den Strom hinreißen und spielte bei jeder Gelegenheit den Empfindsamen, ohne es selbst zu wissen; denn er eiferte sehr oft mit Reisern gegen das Lächerliche einer affektierten Empfindsamkeit – weil er aber nicht bloß vor andern empfindsam zu scheinen, sondern es für sich selber wirklich zu sein suchte, so deuchte ihm das keine Affektation mehr, sondern er trieb dies nun als eine ganz ernsthafte Sache, die keinen Spott auf sich leidet, und zog Reisern allmählich mit in diesen Wirbel hinüber, der die Seele so lange hinaufschraubt, bis sie in den abgeschmacktesten Zustand gerät, den man sich denken kann.«
(Hamburg)
Oft hören wir den Fernseher des Nachbarn, wenn er Champions League oder DFB-Pokal schaut und alles lauthals kommentiert, daran haben wir uns gewöhnt. Aber heute ist es anders: Eiskalt hallen die Stimmen von Heydrich und Eichmann durch unseren dunklen Flur, es ist der blanke Horror. Er zieht sich "Die Wannseekonferenz" im ZDF in Stadionlautstärke rein. (ow)
(Hamburg)
den zerrütteten zustand der sozialen kontakte zeigt diese pflanze. vor der seuche war ich etwa einmal im monat zu gast in der wohnung dieser pflanze. ich kam stets gerade noch rechtzeitig um das granulat in dem die pflanze immer schon mehr vegetiert als wächst zu wässern. nun sind diese besuche viel seltener und die pflanze ist tod. das scheußliche granulat firmiert unter dem namen seramis, was mich in seiner plumpen anspielung auf die hängenden gärten der semiramis schon immer fürchterlich aufregt. der technische ausdruck für das granulat, was in büros und anderen eher pflanzenfernen orten in pflanztöpfen zum einsatz kommt, lautet: blähton. gerade erfahre ich, dass die pflanze einging, weil sie eine zeitlang auf dem winterlichen balkon stand. was mich an die geschichte der ökotrophologin erinnert, die mich fragte warum ihre basilikumpflanzen immer eingehen, auf meine frage wo diese stehen, entgegnete sie erstaunt, na wo wohl im kühlschrank, bei den anderen frischen lebensmitteln. (nor)
(gm)
(Südeuropa / Schweiz)
Die Ausstellung bei M. war schon wild. Viel Besäufnis. Unterkünfte eigentlich über Niveau, wir waren alle über Airbnb in echt schicken Unterkünften untergebracht, die meisten mit Pool. Also M. hat sich finanziell glaube ich etwas übernommen, weil verkauft wurde leider fast nix. Dann gab es noch so Leute, die das Ganze digital aufgenommen haben und so VR Brillen dabei hatten. Ich mag dieses VR nicht so, eins geht da einfach durch Gebäude durch, ohne davon irgendwas zu merken. Alles sehr unreal, aber dafür wiederum zu wenig aufregend. Die Ausstellung im Hotel ist ganz schön geworden, der Aufbau war aber stressig, bisschen chaotisch und M. hat halt fast jeden mal angeschrien. Am Ende hat M. aus Versehen leider auch noch sein Auto in 'ne Wand gefahren. Insgesamt wenig ruhige Zeit mit M., daher schwer zu sagen, wie es ihm eigentlich geht. Er hat uns in unserem Haus 2,5 Autostunden nördlich von ihm bisher noch nicht besucht, er habe immer so viel zu tun, sagt er. Hat glaub' ich sehr viel Besuch. Sein Haus ist schön gelegen und hat einen grossen Garten, geheizten Pool und Sicht aufs Meer. Und ich glaube das Meer ist für ihn sehr wichtig.
Nun fällt mir Gaston Bachelard ein, dessen "Violent Water" in "Water and Dreams" ich grad lese. Der Ozean, das Wasser was salzig und gewaltig ist. Mir selber sind die Flüsse am liebsten. Der Fluss auch hier in dieser stark kalkhaltigen Landschaft wo ich herkomme, hat jetzt im Winter das allerklarste Wasser. Allein dafür mag ich den Winter genauso wie den Sommer, die Kälte macht die Dinge klar und lässt viel besser in die Tiefe blicken. (nn)
(Berlin)
Die Inzidenz hier liegt jetzt über 1000 – nur dank Marzahn-Hellersdorf, ein Berliner Bezirk der wegen technischer Probleme keine Daten mehr übermittelt, sonst wäre sie höher. Vor zwei Tagen schickte E. einen Screenshot von der roten Kachel der Warn-App und fragte: «Was muss ich jetzt tun?» und gestern hatte ich meine erste rote Warnung. Ich habe nichts gemacht, außer meinen regelmäßigen Gang zum Testzeltchen. Mittlerweile finde ich es hat was Sexuelles. Man weiß nie so genau, wer da ist, um einen das Stäbchen einzuführen und wie tief es reingesteckt wird. Wenn es mir nicht reicht, beuge ich mich einfach weiter nach vorn.
Meine Boosterimpfung ist drei Monate her und damit nicht mehr viel wert. Die Ärztin sagte mir, dass der Impfschutz, der komplett schützt und in der Rachenschleimhaut aufgebaut wird, nach zwei Monaten weg ist. Danach geht es nur noch darum, wie schlimm die Infektion verläuft. Das gleiche Phänomen haben ja zeitgleich viele andere.
Mein Bruder schenkt mir immer zu Weihnachten einen Gutschein vom MediaMarkt. Letztes Jahr habe ich den für FFP2-Masken ausgegeben – 10 Stück für knapp unter 30 Euro, im Winter 2021 ein Schäppchen! – und dieses Jahr für einen Pulsoximeter.
E. schreibt abends: «Ich langweile mich.» «Bestell’ dir doch was im Internet! 😉 Weißt du noch, wie du vor zehn Jahren Veganerin werden wolltest mit dem Buch von Attila Hildmann?»
Ich backe einen Clementinenkuchen. Sehr orange und sommerlich schaut er aus. Soll ich mir neue Handtücher in Gelb, Orange und Rot bestellen oder nicht? Ich wärme die Linsen-Tomaten-Kokos-Suppe nach Ottolenghi auf. Ein Tag, an dem alles egal erscheint. Willkommen zuhause! Ich greife zur Häkelnadel und mache den nächsten Versuch eines Mohair-Pullunders.
Theatervorstellungen werden reihenweise wegen Krankheit in den Ensembles abgesagt und Premieren verschoben. «So billige Träume. Und so gut» von René Pollesch kommt statt Januar erst im Juni. Vorgeschickt wird als Ersatz oft Sophie Rois mit dem Einpersonenstück «Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater» – ihr erinnert euch?
Der Häkelschal ist noch nicht übergeben, die zu Beschenkende stand unter Coronaverdacht. Heute ihre Nachricht: «Ich bin genesen. Wollen wir uns heute treffen?» Ich fahre aber aus der Stadt raus, um mit W. seine Ausstellung weiter aufzubauen. Ich werde zum Coronabeauftragten ernannt, der die gültigen Veranstaltungsbedingungen recherchieren soll.
E. schreibt: «Die Impfgegnerin lässt sich jetzt absichtlich anstecken.» «Die würde ich endlich mal entfreunden ... dümmer geht’s nimmer.»
Die Affenpalme wächst prächtig. Der «Blue Monday» kommt und geht. Das bestellte Pulsoximeter ist gekommen. Die Ausstellung steht. Der Mohairpullunder wird größer. Erstmals mehr als 100.000 Neuinfektionen. Das Warten auf die «vierte Impfung» beginnt. (pp)
das patenkind textet auf der suche nach einen praktikumsplatz: "... am besten nichts mit kunst sondern eher mit macht und geld" (sr)
Als ich zur Grundschule ging, in der zweiten oder dritten Klasse, kam mal der Verkehrskasper zu uns in die Schule. Der Verkehrskasper war der Hauptdarsteller in einem aufwendigen Marionettentheater, das mehrere Polizisten erst umständlich in der Turnhalle aufbauten, um dann hinter den Kulissen zu verschwinden und von dort aus den Kasper und die anderen Figuren zu steuern und zu sprechen. In dem Stück ging es hauptsächlich um die korrekte Einhaltung von Verkehrsvorschriften und das, was droht, wenn man diese nicht beachtet. Das Ganze kulminierte zuletzt aber in einem furiosen Finale mit einer Verfolgungsjagd durch die naturalistisch gestaltete Großstadtkulisse. Ich kann mich noch erinnern, dass ich es damals zugleich beeindruckend und unangemessen fand, dass da echte Polizisten in ihren echten Uniformen hinter die Bühne stiegen und Marionettentheater für uns spielten. Es hatte für mich etwas Komisches, das die Autorität der Beamten zersetzte.
Der Film Bierkampf von Herbert Achternbusch, entstanden 1976, greift, oberflächlich betrachtet, das bekannte »Hauptmann von Köpenick«-Motiv auf: Wie in der Urversion findet auch in Achternbuschs Film die Hauptfigur »Herbert«, gespielt von Herbert Achternbusch selbst, durch irgendwelche Umstände eine Uniform und zieht sie sich an, um mit den Effekten, die dieses Zeichen einer offiziellen Rolle bei Anderen erzielt, zu spielen. Ein wesentlicher Unterschied und ein Grund, warum Achternbuschs Film wohl nie als pädagogisch wertvolles Werk im Deutschunterricht behandelt werden wird, liegt dabei aber im jeweiligen Umgang mit den gefundenen Rollen: PDF kostenlos weiter lesen
(Berlin)
Am Altpapier fragt mich die vor kurzem verwitwete Dame aus Nr. 14, ob ich vielleicht Interesse habe "an den, na Sie wissen schon, erotischen Filmen" des Verblichenen. Sie würde die offenbar umfangreiche Sammlung günstig abgeben.
(Die Witwe meines ehemaligen Chefs war verzweifelt, weil sie mangels Passwort nicht an das in der Cloud versammelte anrüchige Material herankam, bevor der Computer als Gelehrten-Nachlass nach Marbach ging.) (dl)
(Kyoto)
Ich lese die Besprechung eines Debütromans, in dem die Großmutter die Geschichte von einer Tigerin erzählt, die gern erdnussgroße Kinderfußzehen ablutscht. Die erschrockene Enkelin fürchtet sich noch mehr, als sie bemerkt, dass auch der eigenen Mutter drei Fußzehen fehlen. Mein Großvater verlor in der Eiseskälte des Russlandkrieges die große Zehe, ich erinnere mich nicht, ob die rechte oder die linke, ob ihm weitere Zehen fehlten. Dabei war es nicht so, dass er seine nackten Füße vor mir verbarg. Im Konversationsraum erzählt M. zum neuen Jahr von Hitlers Tigern, dass er als 14jähriger einen in Papier nachgebaut hat. Sogleich hält er das Modell vor die Kamera. Als Laie erscheint mir das Kanonenrohr etwas lang, es hängt auch durch. Ich frage mich, ob er diesen Papierpanzer seit sechs Jahren auf seinem Schreibtisch stehen hat. M. erzählt vom Einsatz der Tiger, der Furcht, die sie entfachten und den Berichten der gegnerischen Armeen, die sich brüsteten, Tiger in so großer Zahl abgeschossen zu haben wie sie doch niemals überhaupt produziert worden waren. Ich denke wieder an Großvater, an eine militärische Auszeichnung, weil er mit zwei Kameraden und einer Panzerfaust einen russischen Panzer außer Gefecht setzte. Auch an vergilbtes Papier, einen Bericht und ein Foto eines Panzers im Schnee, aus dem es qualmt. Später stoße ich bei Theaterstücken auf „Der Entenstörer“, stelle mir einen Mann vor, der schnatternde, gründelnde und sich das Gefieder putzende Entenpaare aufscheucht und jagt. (ast)
(Hamburg)
"klopapier nur für geimpfte" heißt es auf einem plakat der demo "Solidarität und Aufklärung statt Verschwörungsideologien"
wir sind über 3000 menschen. die sogenannten "schwurbler" gegen die demonstriert wird, haben sich allerdings in ähnlicher personenstärke andernorts in der stadt versammelt. (nor)
(Berlin) Ich bekomme weitere Dankes-Nachrichten: «Today I feel bit pain and the influence of the jab, but I’m ok. I did it thanks to you and being unfriendly to me I realise I must do it.» Und «I’m ok. I know it’s very important to get vaccinated. Thanks to you I did it. I feel very good energies for a very new year for us all ❤️❤️❤️💋💋💋»
Ich fange den nächsten Schal an, es gibt immer jemanden zu beschenken. Mit extra dicker Print-Wolle im Seed Stitch, schaut verhäkelt ein bisschen pixelig aus. Und nach Topflappen! Fange einen zweiten in einer anderen Technik mit Plushes an. Überzeugt mich auch nicht. Vielleicht fange ich zwischendurch mit einem Pullunder aus Schurwolle als Test für welche aus Mohair an. Squished Singles? Griddle Stitch! Tripplets? Billows! W. hat kurzfristig seine erste institutionelle Einzelausstellung bekommen, außerhalb der Stadt. Er und der Kurator kommen mit den Bildern im Transporter dort an, ich fahre mit der S-Bahn. (In der S-Bahn sehe ich zum ersten Mal jemanden, der die Haltestangen desinfiziert). Gut, dass ich hingefahren bin, ich kann den entscheidenden Hinweis geben, wie die Wände aufzustellen sind. Habe mich an den Notationen von Häkelmustern orientiert. Am nächsten Morgen stehe ich auf und checke die Liste der Coronavirus-Tests vom Paul-Ehrlich-Institut nach besonders sensitiven und wo man die herbekommt. Anscheinend ist das nicht so einfach für Endverbraucher. Werde auf die neue Liste warten, die Omikron beinhaltet.
Ich habe eine Lieblingsteststation. Es ist ein Pavillonzeltchen in dem ein junger Mensch steht und es ist selten eine Schlange davor – sehr sympathisch. Kostet nichts und schadet nicht. Ich telefoniere mit meinem Bruder – er hat Geburtstag. Schon seit vor Weihnachten möchte er abnehmen, geht deshalb jeden Tag fünf bis zehn Kilometer laufen und isst weniger und anderes. 20 bis 25 Kilo weniger sind sein Ziel, ein bis zwei Kilo pro Woche. Er weiß schon gar nicht mehr, ob Gastwirtschaften und Kneipen überhaupt offen haben. Es fällt mir schwer, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Omikron mich treffen wird. Nach zwei Jahren Generve. Hole mir den C89-Sampler. Wie sich wohl ein C19-Sampler anhören würde? (pp)
(Hamburg, Kyoto)
ich betrachte eine postkarte aus japan die einen tiger zeigt. und (ast) erklärt.
auf der rückseite der karte gibt es kästchen in die man sorgfältig etwas eintragen könnte, wobei zwischen dem 3 und 4 kästchen eine winzige verbindung gelegt ist.
– das ist eine vorgefertigte neujahrskarte für das versenden im inland, oben die kästchen sind für die postleitzahl der empfangsperson.
die kästchen wiederholen sich am unteren bildrand, hier sind sie aber nur noch mit gestrichelter linie gearbeitet und der verbindungsstrich fehlt, warum es jeweils 7 kästchen sind verstehe ich nicht.
– unten für die absendepostleitzahl, die ist hier im land sieben zahlen lang.
außerdem gibts so etwas wie eine blüte in rot.
– wahrscheinlich symbolisierte pflaumenblüte.
darunter schriftzeichen und unten in grün stilisiertes blattwerk an dünnen ästchen, oder aber es ist grünes feuerwerk über berggipfeln.
– wahrscheinlich japanische kiefer, auf den neujahrskarten hier meist in kombination, kiefern und pflaumenblüte.
und noch ein völlig unverständliches rotes zeichen daneben, eine art doppelkugelige flasche mit schwänzchen ... alles höchst sonderbar.
– das müsste das logo des ladens sein, da ist in dieser doppelkugeligen flasche im hiragana-silbenalphabet わしくらぶ geschrieben, das ist der name des ladens, mit kanji 和詩倶楽部, in unserem silbenalphabet schlichtweg "washiclub"
auf der vorderseite wiederholt sich das blattwerk und es gibt einen roten stempel links unterhalb erneuter schriftzeichen, vielleicht die künstler signatur.
– ich meine, der rote stempel könnte das kanji für tiger, 虎, gewesen sein. die erneuten schriftzeichen wahrscheinlich賀正、gashou, der auf neujahrskarten verwendete gruß für ein frohes neues jahr. (ast/nor)
(Berlin)
Kreuzberg 806,6. Jetzt geht's hinaus auf hohe See. (dl)
(Berlin) Der Sieben-Tage-Index ist bei über 500. Ich sage einer Freundin ab, dass ich doch nicht spazieren gehen will. Eine andere sagt mir ab, sie hat Menstruationsschmerzen. Wenn’s nicht rund läuft, musst du pushen. Also backe ich einen griechischen Neujahrskuchen. Er geht hoch wie eine Eins. Habe das Bedürfnis nach mehr Covid-Tests. Gehe zu dm und kaufe die Maximalanzahl pro Bürger: 5. Eine WhatsApp-Nachricht von der Freundin, die ich beim Optiker getroffen hatte: «Darling, I’m just telling you that I got vaccinated with Moderna. Just because you got that mad at me.» Der Tag ist doch nicht so ganz scheiße – ich möchte heulen und ihr spontan einen Schal häkeln! Ich antworte: «WONDERFUL! 💋💋💋 I’m proud of you! 🎉»
Ich habe ein wenig Bauchmuskelkater und verschiebe das geplante Turnen auf morgen. Ein Anruf. Er ist Kontaktperson. Was ist jetzt zu tun? Ich habe nach fast zwei Jahren immer noch keine Ahnung und ich hatte immer gehofft, dass es nicht auf einen Freitag abend fällt, wenn alle Ärzte zu haben, aber natürlich tut es das. Ich rufe eine Freundin an. Sie sagt, ruf bei der Hotline an. Die Hotline sagt, wenn kein Abstand, keine Maske und länger als 15 Minuten oder eines davon: Quarantäne. 7 Tage. «Freitesten» nach 5 Tagen mit PCR, nach 7 Tagen mit Schnelltest. Bezahlter PCR-Test nur bei Symptomen. In der Presse steht was von Quarantänebefreiung für geboosterte Kontaktpersonen. Ich schaue bei der Bezirksseite nach. Dort steht 14 Tage Quarantäne für Varianten-Kontaktpersonen und für Geboosterte keine Ausnahme. Später am Abend kommen die neuen Richtlinien raus. Hauptrichtlinie: Keine Quarantäne für geboosterte Kontaktpersonen – vielleicht aber nach Bundesland unterschiedlich. Die Lokale Tageszeitung sagt: Keine Quarantäne für geboosterte Kontaktpersonen. Multiple Choice. (pp)
(Berlin)
Nichts geht mehr unkompliziert. Wenn ich turne, muss ich vorher saugen und wischen und danach duschen und fönen – schon sind zwei Stunden weg. Wenigstens überhaupt mal wieder geturnt. Und dabei die türkise hautenge Plastikhose angehabt, die ich bei meiner Mutter aus einem Beutel gezogen habe. Fühlte sich sehr gut an.
Es ist der 6. Januar und die Weihnachtszeit ist vorbei, auch wenn ich heute Lebkuchen von meiner Mutter im Küchenschrank gefunden habe. Heute ist bei meinen Eltern Feiertag und es wird eine Messe für unsere Familie gelesen, wie mir meine Mutter erzählte.
Dem extra nicht bei Amazon, sondern bei Wordery bestellten Häkelmusterbuch muss ich nach fünf Wochen hinterher mailen. Dafür habe ich es gestern abend nach zwei Tagen endlich geschafft, das Häkelmuster mit Wellen und Plushes so zu modifizieren, dass das Schal eine gute Breite hat. Eine Freundin sagt, ich könnte meine Schals bei Etsy verkaufen. Ich bezweifle das.
Vorgestern habe ich die «C»-Sampler vom NME und weitere davon inspirierte Sampler entdeckt; der «C90»-Sampler bringt gute Laune. Zwei hab ich noch nicht und in zwei Wochen erscheint der 91-er. Eine Freundin weist mich auf Sarah Records hin, die ich bisher nicht kannte.
Meine Arbeitgeberin bezieht ab Oktober ein neues Büro. Mindestens so lange habe ich Home Office und wenn sich Corona so lange hinzieht oder wieder oder was ähnliches aufflammt darüber hinaus. In der Videokonferenz gibt es nichts zu besprechen, deshalb dauert sie umso länger. Ich hasse Zoom, weil man zwei Clicks braucht, um die Konferenz zu verlassen und nicht nur einen, wie bei Starleaf. Irgendjemand hat meinen Trash mit über 50.000 ungelesenen Mails aus über 10 Jahren gelöscht.
Die Inzidenz in Berlin liegt aktuell bei 460 mit einem Wochentrend von +64%. Ich bin froh, dass ich bei meinen Eltern war. Ohne W. hätte ich die Tickets nie gebucht und wäre glatt in Berlin geblieben. Im Dezember hätte ich fast einen Flug nach Mallorca gebucht, als die Zahlen dort bei 90 lagen und Spanien als Musterländle galt. Ich schmeiße die schwarze Stoffmaske weg, die mir mein schwuler Sportverein letztes Jahr geschickt hat und die ich nur einmal zur Beerdigung von W.s Oma vor einem Jahr getragen habe.
Die Sonne scheint als Reflexion vom Aufzug gegenüber in meine Wohnung. Ich esse noch einen Lebkuchen, mache die Tageslichtlampe an und drehe die Musik lauter.
Ich bin genervt. Auch davon, dass ich genervt bin. Dabei fühle ich mich gesund, bin 3-fach geimpft und habe kein Corona! Zumindest hat mich die Angst noch nicht wieder ganz im Griff, ich bin z.B. im Supermarkt recht entspannt. Der «Blue Monday» kann also kommen. (pp)
(Berlin)
Welche Viren sind eigentlich noch unterwegs? Ein FB-Bekannter, den ich persönlich nie kennenlernte, übermittelt mir ungefragt seine Einwände gegen die Corona-Politik und gibt mir zwei Stunden Zeit, sie zu beantworten. Andernfalls werde er mich blockieren. Die beste Weise, mit mir ins Gespräch zu kommen. (dl)
(Berlin)
Zum ersten Mal entwickle ich selber ein Häkelmuster, eine Freundin wünscht sich ein Schal mit Wellenmuster. Ich hatte ihr gesagt: Möglichst dicke Wolle, damit es schnell geht, aber nicht bedacht, dass ich für Wellen eine gewisse Breite brauche. Noch nie habe ich so viel aufgetrennt: Zu breit, zu wenig wellig, zu dicke Plushs. Ich hoffe auf den Durchbruch heute. Damit es im Zweifelsfall etwas breiter werden kann, habe ich heute morgen ein weiteres Knäuel besorgt.
Auf dem Weg zum Wollladen verlaufe ich mich und die ehemalige Mitbewohnerin meines ersten Freundes in Hessen kommt mir entgegen. Wow. Ich schaue sie lange an, aber sie erkennt mich nicht und ich spreche sie ebenfalls nicht an. An Neujahr hatte ich den überraschenden Gedanken, meinen Ex zu kontaktieren. Obwohl ich ihn eigentlich nie wieder sehen und auf keinen Fall etwas mit ihm zu tun haben möchte. Er wohnt jetzt in Humgrab und eine Freundin richtete mir vorletztes Jahr aus, dass ich ihn ruhig mal kontaktieren könnte. Ich reagierte nicht darauf. Ich werde mich auch jetzt zusammenreißen und ihn nicht googlen.
Als ich zurück komme, kaufe ich mir den Sampler «C87». Wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich ihn schon 1987 gehört hätte? Und nicht Pet Shop Boys, Madonna und George Michael? Wie hätte ich in meinem 40-Seelendorf überhaupt von diesem legendären Kassettensampler des New Musical Express erfahren können? Das war in etwa die Zeit, in der mein Großvater mit Krebs im Krankenhaus der nächsten größeren Stadt lag und wir deshalb sehr viel öfter als sonst dorthin fuhren. Damals entdeckte ich dort für mich die «Smash Hits» mit ihrem mega bunten Layout, das bereits sämtliche Photoshop-Register zog. Aber der NME zog an mir vorbei. Was wenn der Zufall anders entschieden hätte? Falls es den dort überhaupt gab. Wo ich die Hefte genau gekauft habe, weiß ich leider nicht mehr. Zweiwöchentlich erscheinende Magazine fand ich überhaupt exotisch – für mich als Dorfkind in Deutschland gab es nur wöchentlich oder monatlich und nichts anderes. Den kleinen Stapel «Smash Hits» habe ich noch mit Sisalschnur zusammengebunden unter dem Kleiderschrank bei meinen Eltern liegen; auf einem der Cover sind Bros («When will I be famous?») und auf einem anderen Tiffany («I think we’re alone now»). Beides Bands, die garantiert nicht auf diesem Sampler zu finden sind.
Daneben liegen noch ein paar alte Schulbücher, wie die Englischbücher, weil mir die Illustrationen so gut gefallen haben. Die waren alle in zwei kontrastierenden Druckfarben entworfen, orange und türkis zum Beispiel. Die waren damals schon überholt die Kinder hören Tonbänder. Davon hatte ich noch nie gehört und auch bis heute nicht, dass jemand jemals so etwas hatte. Wie sollte ich diese Welt darin ernst nehmen können und ernsthaft glauben, dass es eine Automarke mit dem Namen «Mini» tatsächlich gibt? (pp)
"It's official. Masks are the new normal. If you are a health care worker, safety or city employee, or working in any other industry requiring staff to wear masks during an entire shift, then you understand why an ear saver may become your new favorite crocheted accessory."
Text und Foto: Tia Davis
(Hamburg)
h., der als kunstlehrer an einer hamburger schule arbeitet, hat für die zeit der morgendlichen testung seiner schüler schon lange vor weihnachten eine playlist erstellt. beim gemeinsamen rühren in der nase, hören die schüler stücke die sämtlich mit dem weltraum zu tun haben. mir gefällt die vorstellung beim stochern zwischen den popeln an die weiten des weltraums und unbekannte planeten zu denken. (testet ein kind positiv, muss es auf den »roten platz«, ein rot gepflastertes stück schulhof, dann wird ein weiterer test gemacht, und ist dieser wieder positiv müssen die eltern das kind abholen.) (nor)
(Berlin)
Unerwartet beschwingt starte ich ins neue Jahr: Hörte sich für mich der Indie-Pop Ende des Jahres deprimierend an, so macht er mir jetzt gute Laune.
Silvester haben wir in Neukölln verbracht, bei einem Essen mit acht Leuten aus fünf Haushalten, 2G Plus. Einer der Gäste entpuppte sich als nicht gesellschaftsfähig in betrunkenen Zustand und wollte alle Anwesenden ständig umarmen und knuddeln, und obwohl die das nur bedingt wollten, konnte er nur schwer gebändigt werden. Mich sprang er schließlich von hinten an und der Gastgeberin zog er dermaßen an den Ohren, dass sie ihr noch Tage später schmerzen. Sie rief an Neujahr jeden an, um mitzuteilen, dass das für ihn Konsequenzen haben wird. Ich sagte ihr, dass ich ihm auf jeden Fall das nächste Mal eine scheuere, egal wann und wo ich ihn wiedersehe.
Bei meinen Eltern habe ich einen Schal aus Alpaca- und Baumwolle aus dem Gebrauchtkaufhaus gehäkelt, wir waren oft zum Essen eingeladen und viel Spazieren. Zu den gerippten Filmen kamen wir gar nicht groß, denn obwohl es am zweiten Abend schon langweilig zu werden schien, war irgendwie immer was zu tun und wir ab dem nächsten Tag viel unterwegs.
Meine Cousine meldete sich. Sie hörte sich nicht so übergriffig an, wie es bei meiner Mutter rübergekommen war, und ich sagte ihr ohne weitere Begründung, dass wir uns nicht treffen und telefonierte einfach ein bisschen mit ihr – Corona war kein Thema.
An Heiligabend waren wir in der Christmette. Es wurde schon tagsüber viel im Dorf herum telefoniert, weil die alten Leute die 3G-Regeln nicht ganz verstanden hatten und dachten, sie müssten sich testen lassen, obwohl sie geimpft sind. Letztendlich blieben die meisten zu Hause und die Kirche war sehr leer.
Am letzten Abend haben wir zusammen «Das Traumschiff» geschaut. Ich glaube, meine Mutter war ein bisschen genervt, dass sie deshalb nur den Schluss der Weihnachtssendung mit Andy Borg und dem tattrigen Tony Marshall schauen konnte. Am letzten Vormittag waren wir im Laden der Hosenfabrik bei uns am Ort und machten Schnäppchen.
Wir bekamen viel zu Essen mit nach Hause und an Neujahr gab es Reh. Dazu machte ich zum ersten Mal Serviettklöße. Ich häkelte wieder einen Schal für eine Freundin und noch einen mit ganz viel Knubbeln für mich. Am Sonntag ein Streit: Ich wollte nicht mit W. und seinen Freunden ins Café, sondern nur einen Spaziergang machen. Nicht ausschließlich wegen Corona, sondern weil ich wirklich genug Kaffee und Kuchen intus und zu Hause hatte. Wir liefen im Nieselregen durch den Tiergarten und spontan wurde gruppendynamisch entschieden, ins Museum und das dortige Café zu gehen. Immerhin 2G und es wird kontrolliert, dachte ich mir. In der Schlange davor stellte sich heraus, dass W. seinen Personalausweis nicht dabei hatte, weil ihm sein Geldbeutel zu schwer war, er seine Taschen nicht ausbeulen wollte und er davon ausgegangen war, dass wir ja nirgends rein gehen würden. Er war total genervt, auch von mir, aber was kann ich bitteschön dafür, dass ich vorbereitet war und er nicht? Also gingen wir von dort nach Hause, wo wir einfach zum zweiten Mal an diesem Tag Sex hatten. (pp)
(Berlin) Morgen reisen wir ab. Meine Freude hält sich in Grenzen. Ich fange langsam an zu packen, u.a. Geschenke, die ich nicht gleich dorthin habe schicken lassen. Rippe DVDs, weil dort der Empfang für Streaming nicht so gut ist. Ob ich Häkelsachen mitnehme, überlege ich mir noch. Erledige Papierkram.
Packe ein Buch für eine ungeimpfte Freundin – oder wohl eher mittlerweile Bekannte? – ein, dass ich heute noch wegbringen will. Frankiert ist es online, also gibt es kein Zurück mehr. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, das letzte Mal im Frühjahr. Damals wollte sie nach Israel fliegen, um sich impfen zu lassen und hat mich gedrängt, meine Hausärztin zu fragen. Sobald es problemlos möglich war, hatte sie dann aber 1000 Ausreden. Gemeldet hat sie sich von sich aus nicht mehr. Ich auch nicht, bis vor ihrem Geburtstag Anfang Dezember. Ich schickte ich schon Tage vorher ein Buch, dabei wohnt sie nur ein paar Straßen weiter.
Als ich diese Woche beim Optiker war, stand sie da und war vor mir dran. Ich war überhaupt nicht überrascht, schließlich ist dafür nicht 2G oder 3G nötig. Sie sagte dem Personal, dass wir befreundet sind – oder seien? –, damit ich schon früher in den Laden konnte. Mir war es peinlich und unangenehm, ich wollte gar nicht mit ihr zusammen im Laden sein, aber natürlich wollte ich nichts dagegen sagen, obwohl ich es gar nicht eilig hatte. Drinnen war ich kurz davor, dem Angestellten zuzuflüstern: «Sie ist nicht geimpft!» Sie sind dort sehr vorsichtig, man kann die Kunden an einer Hand abzählen, und sobald es mehr werden, schreit jemand zum Einlasser: «Es wird zu voll!»
Hinterher sagte ich ihr, dass ich es nicht verstehe, dass sie jetzt diese Impfung nicht machen will, wo sie sich jahrelang alles eingeworfen hat. Es gab verschiedene Antworten: Allergisch auf Impfung gewesen; Impfung schon angefragt, aber erst im Februar möglich; Hausärztin umgezogen und ich kann mich nicht von wildfremden Leuten irgendwo impfen lassen; ich isoliere mich ja; ich habe auch mit 2G keine Lust auf Restaurant; mein Körper …, etc. pp.
Fand das ganze Treffen sehr schräg und schade, was aus unserer Beziehung geworden ist, insbesondere da ich einen Pullover, den sie mir vor Ewigkeiten mal geschenkt und ich nie getragen hatte, jetzt erst für mich entdeckt und total oft an habe. Also, weil ich es eh schon überlegt hatte, schicke ich ihr jetzt auch etwas zu Weihnachten.
Meine Mutter teilte mir mit, dass meine ungeimpfte Cousine bei ihr war, sie hatte sich angemeldet. Ihre Eltern sind geimpft bzw. geboostert, das ist ja schon mal was. Als sie ging, sagte sie, dass sie nächste Woche nochmal vorbei kommt, wenn ich da bin. NEIN, NEIN, NEIN!!! Was soll das bringen?! Jeder macht dem anderen Vorwürfe und weiß es besser als der andere. Meine Mutter meinte, sie könne sich ja bei mir melden und was ausmachen. Hoffentlich schaffe ich es, ihr zu sagen, was ich von einem Treffen halte.
Vermutlich werde ich ghosten, und sie wird mich so lange anschreiben bis sie einfach nur ankündigt, wann sie kommt und erst dann werde ich reagieren. Ich habe gerade ein Déja-Vu, weiß aber nicht mehr, wann genau das schonmal so war.
Vielleicht habe ich einfach Glück und es gibt neue Kontaktbeschränkungen. Meine Laune steigt. Ich höre den Sampler «The Sun Shines Here – The Roots Of Indie-Pop 1980-84». (pp)
(Hamburg) warten auf ergebnisse von pcr-tests – nervöses unbehagen. ich erinnere mich an das eher hysterisch nervöse warten auf die bescherung am weihnachtsabend: wir kinder wurden zwecks auslüftung und nervenberuhigung (nicht nur bei uns) zu einem längeren spaziergang mit vater fortgeschickt. der bruder wirft sich nach kurzer wegstrecke, mit erkennendem entsetzen, verzweifelt zu boden und brüllt: „wir gehen ja immer weiter weg von der bescherung!“ schöne raum/zeit problematik (nor)
(Hamburg) die warnapp leuchtet festlich dunkelrot. (nor)
(Berlin) Letzten Freitag nachts wurde das rote Mohair-Tuch für W. fertig, ich habe sogar alle Fädchen selber vernäht. Am Samstag war die Übergabe, ich wollte nicht mehr bis Weihnachten warten. Es war die reinste aller Freuden, die mir von W. entgegenschlug – dafür hat sich die ganze Arbeit auf jeden Fall gelohnt. Es ist sehr voluminös und ich habe keine Lust, es mit zu meinen Eltern zu schleppen. Gestern haben wir einen Freund von W. getroffen, der bald bei PRADA anfängt. Ich habe ihm gesagt, sie sollen mich anrufen, wenn sie was gehäkelt brauchen.
Meinem Vater ging es ganz gut im Krankenhaus. Sie machten allerhand Checks mit ihm und konnten nichts Neues oder Auffälliges feststellen. In der Nähe des Krankenhauses gibt es eine JVA und für deren Insassen ein extra Zimmer im Krankenhaus, in dem ein Kämmerchen für einen Wachpolizisten integriert ist. In diesem Zimmer war er gelandet. Er sagte, wenn er raus geht, kann er in das Rondell schauen und es ist niemand unterwegs wie die letzten Male als er dort war und es fühlt sich komisch an. Gestern kam er wieder raus und liest Zeitung auf dem Sofa.
Die ersten bestellten Weihnachtsgeschenke trudeln ein. Ich bestelle sie online und lasse sie direkt zu meiner Mutter schicken, das erspart mir viel Arbeit. Das mache ich schon lange so.
Am Montag fahren wir. Wenn doch Kontaktbeschränkungen kommen, sind wir schon dort. Und wenn die nächste Welle kommt, sind wir hoffentlich zurück. Heil. Gesund. Munter.
Manchmal möchte ich unangemeldet bei einer Engtanzparty von ungetesteten Ungeimpften auftauchen, damit ich das Ganze schnell hinter mich bringe – es heißt ja mittlerweile, dass sich jede*r damit infizieren wird und die Frage nur ist: Wann? Ich weiß natürlich, dass eine Impfung als eine kontrollierte Infektion zählt, aber wie oft werden wir noch rennen und nachrechnen, wie lange der Schutz hält?
Gestern waren wir bei einem Weihnachtskonzert – ganz, ganz großartig. Mit Orgel, Gesangsquartett und einem gemischter Chor. Zum Schluß kam der Andachtsjodler, begleitet von einer Leier. Es wurde anfangs gebeten, hinterher nicht zu klatschen, sondern das Konzert in Stille ausklingen zu lassen. Nach dem Jodler klatschte die Hälfte der Gäste – umso kräftiger, als die andere Hälfte still blieb. Vielleicht hätte man die Ansage auch auf Englisch machen sollen? Ich fühlte mich jedenfalls wie in den Alpen. Ich habe danach sogar Glögg mit Wodka drin getrunken.
Ich hatte vergessen, meinen Wecker zu stellen und bin heute zum Glück ziemlich pünktlich zur Arbeit wieder aufgewacht und habe mich sofort zum ZOOM-Meeting eingeloggt. Nebenbei rippe ich seit Tagen «Peter Steiners Theaterstadl» für meine Eltern ein, damit sie es per Stick an ihrem Fernseher sehen können. Schon ein bisschen gruselig. Ich rede mir ein, dass es ja eine «Volksbühne», also in irgendeiner Hinsicht auch der in Berlin ähnlich, ist.
Ich bin auf das Gratis-Streaming-Angebot der Öffentlichen Bibliotheken gestoßen. Und dort auf den Sampler: «Scared to Get happy: A Story of Indie-Pop 1980-89». Als ich google, kommen der Fachbegriff «Cherophobia» ganz oben als Treffer und «Too scared to get covid-test» als Suchvorschlag. (pp)
(Berlin) Wieder ein Jahr ohne eine offizielle große Präsenzweihnachtsfeier. Was mir egal ist, bringt andere erst so richtig in Fahrt: Es wird Eisstockschießen am See im großen Park nur für die Abteilung daraus. Am Morgen ist alles verschneit. Ich habe keine Lust auf die Feier, aber total Bock auf Schneewanderung. Also schubse ich mich aus dem Haus, drängle mich in die Bahn, in die Gegend wo man mich erwartet – trotz der neuen Virusvariante. Ich steige schon früher aus, damit ich möglichst lange durch den verschneiten Park laufen kann, das macht auch im Dunkeln noch Spaß. Ich komme pünktlich zum Eisstockschießen an, loose aber voll ab. In der Kur war ich der King der Kugeln beim Boccia, aber das Ding hier ist eine andere Nummer, meine Eisstöcke kommen gerade mal bis zur Mitte der Bahn. Es ist mir egal und ich weiß, dass man es mir anmerkt. Ich trinke nur den Kinderpunsch und es wird einfach nicht lustig. Die Chefin hat für jeden Tütchen gemacht und selber Schoko-Makronen gebacken, das finde ich süß; zwei Kolleg:innen umarmen sie spontan. Bäh! Zuerst will ich keine Wurst essen, dann esse ich doch eine. Man steht um brennende Holzscheite in einem Gitterverschlag. Nach zwei Stunden schaffe ich endlich den Absprung.
Ich schaue «Breaking Bad», häkele das rote Mohairtuch für W. fertig und vernähe alle Fädchen selber, anstatt es ihm zu überlassen. Ich esse alle Schoko-Makronen auf und falle todmüde ins Bett.
Um 9:17 ruft mich mein Bruder an, um mir zu sagen, dass mein Vater zusammengeklappt ist. Er saß auf dem Sofa und war einige Zeit lang nicht ansprechbar. Eine Stunde später erzählt mir meine Mutter die ganze Geschichte. Er hatte am Tag zuvor Schnee geschaufelt und abends ein bisschen Temperatur. Natürlich wollte er trotzdem ein bisschen rausgehen, hat sich aber an das Verbot meiner Mutter gehalten. Heute fühlte er sich morgens schon nicht gut und nahm nochmal eine Paracetamol. Irgendwann hat er nicht mehr reagiert. Meine Mutter und mein Bruder zerrten an ihm herum und er kam wieder zu sich. Er wusste alles und bevor er in den Krankenwagen stieg ist er selbständig auf die Toilette. Meine Mutter bringt ihm später Sachen. Sie sagt, ich brauche erstmal nicht früher kommen, denn man darf sowieso nicht ins Krankenhaus zu ihm. Außer … Ich heule ein bisschen am Telefon. Ich esse den supersüßen Kuchen von vor zwei Tagen auf, den ich eigentlich wegschmeißen wollte, und weiteren Schokokram, der so rumliegt. «Die Nerven müssen in Fett gebettet sein!» sagte meine Großmutter immer.
Ich buche einen Badetermin für folgenden Dienstag, in der Hoffnung, dass ich nicht vorzeitig abreisen muss.
Ich schreibe einen Minibeitrag über das, was mich beim Blick auf 2022 zuversichtlich stimmt, zu Ende.
Ich fange an, die Aufzeichnung der ins Netz verlegten großen Weihnachtsfeier zu glotzen. «Wer nicht genug bekommen kann, kann sich die Aufzeichnung in Dauerschleife anschauen, die ganzen Feiertage durch.» (pp)
(Berlin) Lounge-Tag. Wannenbad, Jahnn-Lektüre, mich von Klingbeil nerven lassen, beschwingt zu Le Grand Kallé dem Staubsauger hinterher gelaufen (Miele, der Wahnsinn), Rosenkohl gezupft und Kartoffeln geschält. Und bei einem West-Telefonat wieder mal ganz kurz erklärt, dass hier in Berlin bislang wirklich keine Räterepublik existiert, der Müll zuverlässig entsorgt wird (sogar der wilde) und man auf den Straßen weiterhin viel Deutsch spricht (ok, in Mitte nicht so, da eher englisch). Und dass ich zwar die Linke wähle, gleichwohl aber nächtens keine Autos entzünde. Ich bin also besuchbar. (dl)
Zwei Wochen lang heftige Reaktion auf den Booster. Jetzt ist es besser. - Gott, könnte ich Kohle machen als Märtyrer der Schwurbel-Bewegung.
Oha, heute auf Zeit online: Immer mehr Deutsche verlieren Anschluss an Mittelschicht. Lustige Überschrift. Lustige Welt.
Ergänzen möchte ich noch diese Neuigkeit von Spiegel online: Plan der Ampelkoalition: Familien sollen 2000 Euro Zuschuss für Haushalthilfe erhalten
Arbeitsminister Hubertus Heil hat finanzielle Unterstützung für Familien angekündigt, die Haushalts- und Alltagshelfer beschäftigen. Ein Gutscheinsystem soll zugleich Schwarzarbeit unterbinden.
Alles sehr deutsch. Das Streben nach Mittelschicht und dann noch diese Idee, Familien 2000€ Zuschuss für Haushaltshilfe durch Gutscheine zu ermöglichen. Hauptsache die Gardinen sind gewaschen, die Fenster geputzt und der Boden gewienert. "Nach Heils Modell teilen sich Staat und Familie die Kosten für die Alltagshelfer: »40 Prozent werden durch den Zuschuss bezahlt, 60 Prozent von den Bürgern selbst.« Die Abrechnung soll mittels einer App geregelt werden, über die zertifizierte Firmen ihre Dienstleistungen anbieten können.“ Hubertus Heil checkt einfach GAR NICHTS. Menschen, die sich bisher keine Haushaltshilfe leisten konnten, werden es auch dann nicht können. Abrechnung per App – für manche nicht verständlich.
Was wirklich hilft – 2000 Euro direkt aufs Konto. Und nicht „Bedürftige Familien und Familien mit kleinem Einkommen erhalten im Monat August 2021 als zusätzliche Unterstützung in der Corona-Pandemie einen einmaligen Zuschlag in Höhe von 100 Euro.“
2000€ für eine glänzende Wohnung von Menschen, die sich eine Haushaltshilfe leisten können – prima. 100€ für arme Menschen – prima. Das ist fürchterlich. Wohin mit meiner Wut jetzt?
Ich will nichts mit der Mittelschicht zu tun haben. Wahrscheinlich gehöre ich auch noch zur Mittelschicht. Fickt euch doch.
Übrigens, der Milkaschokokalender ist jetzt unter der Pappe noch mit Alufolie verpackt. (js)
Der Nachbarlandkreis von Hornwachte, in dem meine Eltern oft unterwegs sind, klettert über die 1000er-Marke. Ich kotze. Ich rufe meine Mutter an und bitte sie, vorsichtig zu sein. Ihr Booster-Termin wurde von Mitte Januar auf Anfang Dezember vorverlegt. Sie wurde gefragt, ob sie Moderna nehmen würde und sagte ja. Sie hat dann einmal die ganze Palette durch: AstraZeneca, BioNTech und Moderna.
Letzte Woche war sie bei meiner Tante, damit sie ihr die Haare eindreht. Es kam eine Nachricht von meiner Cousine: «Wir haben es jetzt geschafft.» Meine Tante schrieb zurück: «Was habt ihr geschafft?» Na was wohl? Die Impfung! Sie, aber vor allem ihr Mann, hatten sich standhaft geweigert und die immer gleichen, dummen Gegenargumente aufgefahren. Bis meine andere Tante anfing zu schreien: «Ja, so sind sie!» Und in ironischem Ton: «Ihr wählt bestimmt grün, oder?!» Es gab eine Untersuchung ihres Mannes bei der Arbeit, meine Mutter wusste mal wieder nicht so genau was, und danach haben sie sich impfen lassen. Also gut, ist das endlich abgeräumt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr absichtlich nicht zum Geburtstag gratuliert hatte und mir dachte, dass das vielleicht kontraproduktiv war. Vielleicht war so ein bisschen ignorante Ausgrenzung aber gar nicht so schlecht. Vermutlich war ihr einfach komplett egal, ob ich gratuliere oder nicht. Das sind doch mal gute Neuigkeiten und ich bekomme gute Laune, auch wenn ihre Impfung für diese Welle nicht mehr relevant ist.
Fehlt noch die andere Cousine – ob die einknickt? Sie ist eher agitatorisch unterwegs. Wenn ich mich aufregen will, gehe ich auf ihr Facebook-Profil, das ich stumm gestellt habe. «Ich bin gesund und darf nicht benachteiligt werden!» Vor Corona war es ihr Tierrechtsaktivismus, der mir geschredderte Tierchen oder Schlachthöfe präsentierte. Danach folgte ihr Ruf nach dem starken – meist deutschen – Mann, der die – natürlich schwache – Frau egal welcher Nationalität – und ihre Kinder zu verteidigen hat und sich nicht weiterhin verweichlichen lassen soll. Unterhaltsames oder Leichtes hat sie nie zu bieten, dabei ist sie von den Eltern finanziell bestens ausgestattet und kann entspannt auf ihr Millionenerbe warten. Und nebenbei Unfug machen und Verwirrung verbreiten. Wie bekomme ich raus, ob sie mittlerweile geimpft ist? Und ob ich mich bereits jetzt für ihre negative Charakterisierung schämen muss?
Ich habe zwar keine Lust am Wochenende zuhause zu bleiben, aber ich sage trotzdem alles ab. Eine Freundin ist bei einer Theaterproduktion dabei, mit «Angst» und «Nähe» im Titel. Bitte nicht! Nicht jetzt und vermutlich auch nicht später. Fühle mich schlecht nach der Absagemail und möchte den Kopf zwischen die Beine stecken. Das ist gerade meine bevorzugte Haltung. (pp)
(Berlin) Am Sonntag wurden die Fädchen vernäht; von W., wie angekündigt. Ich saß daneben und fing mit einem roten Mohairtuch für ihn an. Ein besonders aufwendiges Muster, von dem man wegen des flusigen Mohairs gar nicht so viel sieht. Aber es soll so sein und es macht mehr Spaß als nur Stäbchen (D), Treble Crochet (UK) bzw. Double Crochet (USA) in verschiedenen Mengen zu häkeln, bis die letzte Runde laut Anleitung über 3 Meter lang ist, wie beim Poncho. Wir schauen nebenbei «Seinfeld», aber verstehen den Humor nicht. Ich hatte mal gelesen, es sei eine «Serie über nichts». Später läuft nebenbei «Grace & Frankie», das hatte ich lustiger in Erinnerung. Immerhin lachte Willi ein paar Mal, ich habe ja die erste Staffel schon gesehen.
Zwischen der Wollextravaganza waren wir kurz im Hallenbad. Neben dem Hallenbad wurde über das Freibad eine Traglufthalle gebaut, aber leider ist die am Wochenende gar nicht offen. In der Dusche zieht sich so gut wie niemand ganz aus – langweilig. Wir gehen nach einer Stunde schon wieder.
Ab morgen gilt bei der Arbeit 3G. Wir werden von der Security der Immobilie auf unsere Impfungen geprüft. Die Ungeimpften brauchen einen Nachweis vom Coronatestzelt. Ob ich das gut finde, gerade die an solche Orte zu schicken, wo sich sich um so eher gegenseitig anstecken können? Die beiden Weihnachtsfeiern fallen aus. Es werden Alternativen gesucht. Ob ich einen Online-Häkelkurs anbiete?
Ich habe einen Ruheraum entdeckt, der nicht in der Buchungsliste steht. Ich trage mich für jeden Tag ein, ich habe jetzt also quasi ein Einzelbüro. Ich bin heute den zweiten Tag hier und merke, dass ich mich erst daran gewöhnen muss. Gut ist schon mal, dass ich für Konferenzen nicht in eine Kabine rennen muss. Heute war zum Glück das Licht an – am ersten Tag habe ich den Lichtschalter nicht gefunden und saß die ganze Zeit im Halbdunkel. Ich habe jetzt wieder ein Schließfach hier, in dem ich eine pinke Decke lagere, denn regelmäßig funktioniert die Heizung nicht richtig, aber in dem Kabuff ist es eh wärmer und die Luft schlechter.
Ich steige von Pianomusik auf Orgelmusik um. Letzte Woche war ich in einer Ausstellung, in der Crosby, Stills, Nash & Young gespielt wurde. Schön und doch deprimierend! Trotzdem werde ich mir mehr davon besorgen.
Der Asiate nebenan ist teurer geworden. A1 kostet nicht mehr 5 Euro, sondern 6,50 Euro. Stehe draußen im Nieselregen und warte auf das Essen. Gerade als ich beschließe, mal kurz zu heulen kommt ein Kollege aus dem Café nebenan. Nicht einmal das klappt!
Heute gibt es sieben Mal das Wort «Tod» auf der Nachrichtenwebsite. «Todesfälle gestern», «Bodybuilding bis zum Tod», «Sie hungerten sich fast zu Tode für dieses Gespräch», «Tod auf der Taufe». Dazu noch «Vor 30 Jahren starb Freddie Mercury» und ein paar reguläre Todesfälle. Später stoße ich woanders auf einen Artikel «Promis, die nach wie vor leben und schöner sind als je zuvor». Es geht los mit Eva Herman. (pp)
Im Traum werde ich in Siegen-Weidenau aus dem Zug geholt und darüber informiert, dass ich coronabedingt bis zum Frühling in Siegen bleiben müsse. Mein Einwand, dass ich im Büro nur Wechselwäsche für eine Woche habe, wird ignoriert. (dl)
Ich glaube, irgendwas/-wer will testen, was alles erträglich ist.
Der Österreicher an sich glaubte ja, nach Ibiza kann es nicht mehr schlimmer werden, da ist aber gerade der Test noch nicht abgeschlossen, was alles noch geht.
Herr Herbert Kickl (der Chef der Faschistischen Partei Österreichs, FPÖ) hatte ja empfohlen, am besten würden Vitamine, ein gesunder Körper und ein Wurmmittel gegen Corona helfen. Jetzt ist er selber an Corona erkrankt und seine Frau liegt mit einer Überdosis des Wurmmittels auf der Intensivstation.
Der Österreicher an sich wird auch gerne als »Schluchtenscheißer« und/oder »Fetzenschädel« bezeichnet.
Ich distanziere mich ausdrücklich von diesem Land (sc)
Gestern abend habe ich den Poncho fertig gehäkelt. Ich ging nach der Arbeit los, um doch noch ein hellblaues Knäuel zu holen. War zwar nur für ein paar Maschen, aber es musste sein und es lohnte sich. Der Kragen ist spitze geworden. Und die erste Staffel von «Morning Story» habe ich parallel ziemlich gleichzeitig geschafft, bevor ich ins Bett gefallen bin. Mein Freund hat versprochen, die Fädchen zu vernähen – viel Spaß damit! Heute morgen rechnete ich aus, wieviel Wolle ich verhäkelt habe und kam auf 2000 Meter. 2 KILOMETER!!!
Seit Jahren habe ich ein Provisorium im linken oberen Backenzahn. Lange Zeit hieß es: Erstmal drin lassen, solange nichts wegbricht. Meine erst vor kurzem abgeschlossene Zahnzusatzversicherung steigert sich eh erst von Jahr zu Jahr. Diesen Sommer wurde die neue Zahnärztin etwas dringlicher und ich ließ mir einen Kostenvoranschlag geben und von meiner Zusatzversicherung absegnen. Unter dem Beton war mittlerweile Karies.
So ließ ich mir nach meiner dritten Impfung zwei Termine bei ihr geben und landete heute morgen bei einer Inzidenz von über 350 und einem unaufgeforderten Schnelltest auf dem Zahnärztinnenstuhl. Als wir kurz über den mehr oder weniger passenden Zeitpunkt sprachen, zuckte sie mit den Schultern und meinte, das ist halt jetzt so und dass in der Praxis alle geimpft sind und sich regelmäßig testen. Ob ich eine Betäubung wünsche? Ich erinnerte mich kurz an eine größere Bohrung vor ein paar Jahren ohne, nach der ich Wochen später noch traumatisiert war, und entschied mich dafür. Damals dachte ich: Wenn meine Freundin den Krebs aushalten kann, kann ich wohl ohne Betäubung einen Zahn gebohrt bekommen. Was für eine schräge Logik! Auf dem Stuhl hatte ich unvermittelt eine Textzeile von ABBA im Ohr: «If I had to do the same again, I would, my friend ...»
Mal sehen, was ich trotz hoher Inzidenz noch hinbekomme. Ich könnte meine Fertilität testen lassen. Vor der Chemotherapie habe ich Sperma einfrieren lassen und für die Kühlung zahle ich seit ein paar Jahren schlappe 20 Euro im Monat. Dabei weiß ich nicht, ob es genug Material ist, weil ich nur einmal dort war – es war einfach zu schrecklich und gar nicht geil.
Trotz der katastrophalen Lage fühle ich mich gerade nicht so komplett still gestellt wie letztes Jahr.
Gestern am späten Abend habe ich geschaut, ob es nicht einen früheren Termin zur Impfauffrischung für W. als den bei meiner Hausärztin Mitte Dezember gibt. Ich ging auf die Doctolib-Seite der Impfzentren. Während ich zwischen den einzelnen Orten hin und her klickte, konnte ich sehen, wie sich minütlich die Termine für BioNTech weiter verschoben. Ende November – Mitte Dezember – Anfang Januar – keine Terminvergabe mehr möglich. Als ich später mit W. telefonierte erzählte er mir, dass er bereits eine Impfauffrischung am frühen Abend für nächste Woche gebucht hatte.
Man kann jetzt nur noch mehr als sonst hoffen, dass man nicht ins Krankenhaus muss – egal wegen was. (pp)
ich halte eine laudatio in der schulaula einer kleinstadt in norddeutschland vor 170 leuten plus noch 40 menschen eines chors. hier werden heute vier verschiedene preise vergeben, die veranstaltung ist völlig überflüssig aber sehr würdevoll.
ich reise am gleichen tag nach berlin, um dort eine lesung anzumoderieren, kombiniert sind textpassagen aus w-weltraum, dem kapsel magazin und geospekulationen. es passt noch besser als ich bei der vorbereitung dachte, und wir sind alle ganz begeistert. wir sind 15 personen. wegen der seuche stehen wir im freien. es regnet leise und ist angemessen kalt.
noch später lausche ich kurz einer anderen lesung mit rund 50 gästen, die in wenigen sekunden so viele klischees von eitlen, affigen, selbstzufriedenen, dummen kulturarbeitern zur aufführung bringt, dass ich nach 4 minuten den laden wieder verlasse.
Corona-Traum. Ich war in einem Kino, was gleichzeitig auch eine Bar war. Eine Frau mit schwarzen langen Haaren - die mich kannte, ich kannte sie nicht - trat an mich heran. Sie begrüßte mich freundlich und bat mich ihr Glasauge aufzubewahren. Ich stimmte zu und tat es zum Kleingeld in mein Portemonnaie. Dann setzte ich mich in einen roten Kinositz. Plötzlich erschien Frank Sinatra als Platzanweiser und sagte, dass ich auf diesem Platz nicht sitzen könne. Der Hubschrauber, der über dem Kino kreiste und den ich erst in diesem Moment sah (das Kino war oben offen) hatte mich im Scheinwerfer. Sinatra setzte mich ganz nach rechts an den Rand, wo ein Pfeiler mit Spiegel die Sicht auf die gigantische Leinwand versperrte. Ich wies Sinatra darauf hin, der mich abermals umsetzte, diesmal in die letzte Reihe. Jetzt überprüfte Sinatra noch, ob auch all die übrigen Gäste die Abstandsregeln befolgten und parallel rechtfertigte er sich, warum er als großer Star (es war übrigens der ganz junge Sinatra) hier als Corona Platzanweiser tätig war. Ich hörte ihm nicht zu, weil es mich nicht interessierte. Welcher Film lief wusste ich übrigens auch nicht, da ich zum Filmstart erwachte. (JB)
(Berlin) Montag und Dienstag hatte ich frei und habe Krempel erledigt, ein Bild für eine Benefizauktion abgegeben, damit ich nicht anwesend sein muss. Auf dem Weg dorthin war ich am Friedhof bei der verstorbenen Freundin und diesmal wurde ich nicht gestört.
Die nächsten beiden Tage hatte ich ein Kratzen im Hals und blieb im Home Office. Dann war Freitag und ich ging zur Arbeit, denn ich hielt es zuhause nicht mehr aus. Dort ging es nachmittags mit der Schniefnase los und abends war ich total verrotzt. Samstag früh wollte ich sicherheitshalber einen Coronaschnelltest machen, aber bei Beiden, die ich noch hatte, waren die Teststreifen falsch aufgeklebt und man konnte die nicht selber reparieren. Ich ging in die Apotheke und kaufte drei für stolze fünf Euro pro Stück! Zuhause testete ich mich – Corona negativ, wie von mir erwartet nach drei Impfungen. Ich googelte nach der Verfügbarkeit in der Drogerie, aber die in der Nähe hatten keine, nur eine, die mir zu weit weg war, sollte welche haben. W. hatte ich zum Glück nicht richtig – mit was auch immer – angesteckt. Ich wollte mir noch ein paar Tests auf Vorrat zulegen, falls ich am Wochenende öfter rausgehe als erwartet oder doch jemanden treffe, aber drei Apotheken in Laufweite haben samstags schon am frühen Nachmittag zu. Wie soll so eine Pandemie aufgehalten werden?!
Ich blieb brav zuhause und häkelte vor mich hin. Je fertiger der Poncho wird, desto sinnloser kommt es mir vor. Ich glotzte «Midnight Mass» weiter. Als klar wird, dass der Pfarrer in der Höhle den Teufel traf und verjüngt wurde, schalte ich ab. So ein Schmarrn! Ich versuche es mit «Sex Education», schaffe es aber keine drei Folgen. Auf den Bildern der Auktion sind nur wenige Menschen zu sehen, niemand trägt eine Maske; 2G war angekündigt. Sehr viele leere Stühle und der Versuch, das zu vertuschen. Ich melde mich für das Probeabo bei Apple TV an, weil ich die Serie über den Angstgestörten sehen möchte. Hier breche ich nach Folge 4 und mehreren Gesangseinlagen ab. Sie haben eine Serie mit heißen Astronauten im Angebot, aber die Handlung langweilt mich. Ich möchte eine Proust-Verfilmung schauen, aber die ist Französisch mit Untertiteln – dazu kann ich nicht häkeln. Schaue «Sinn und Sinnlichkeit» auf Netflix.
Am dritten Tag gehe ich in die Drogerie, wo es Tests geben soll, aber es gibt keine. Beim voll besetzten Asiaten sitzen die Rentner*innen schwatzend eng beisammen, als ob nichts wäre. Zuhause entdecke ich die Serie «Morning Show» und die ist der Knaller, mal sehen, ob ich sie in der Probewoche ganz durch schaffe.
Heute morgen belege ich für die Arbeit zwei Pan Bagnats mit hart gekochtem Ei, Tunfisch, Kapern, Tomaten, Zwiebeln. Den Knoblauch lasse ich weg. (pp)
(Hamburg) Ich hab jetzt einen Wal im Portfolio. Der recht kleine Fond aus den Niederlanden bietet seit November dieses Jahres ein Investment in Naturkapital/Biodiversität und spekuliert auf die angekündigten Regularien der UN zur nachhaltigen Kapitalisierung der Ozeane. Der junge Wal mit einem Asset von 4 Mio. US Dollar, wurde vor kurzem in der mexikanischen Baja California gechipt und schwimmt jetzt für die kommenden 4-6 Jahre sein ökologisches Kapital ein. Jedes Jahr erzeugt das Tier dann ein Multiple X für das Verteilen von Biomasse. Möglich wurde diese Art der Geldanlage vor allem durch die erweiterten Bereiche des Umweltschadenversicherers (USV) BlueWave der OIC, der im Falle eines Abschusses oder Kollisionsschadens, aber auch bei Frassschäden durch Haie o.ä. für Verluste aufkommt. (DS)
(Berlin) Es ist abends und ich sitze im Großraumbüro. In der Bürohälfte vor mir sitzt niemand mehr, hinter mir eine Person. Leider. Denn wäre ich alleine, könnte ich meine Häkelsachen auspacken. So fühlt es sich an wie bei Nighthawks. Ich höre Chilly Gonzales «Solo Piano» und schaue durchs regennasse Fenster auf den dunklen Innenhof. Vorhin stand noch ein Trampolin für Kinder in einem Garten etwas weiter weg. Am Nachmittag dachte ich: «Mal sehen, ob es das heute wegfliegt.» Heute ist ein Sturm, über dessen Namen sich der Deutsche Wetterdienst nicht ganz einig war. Tatsächlich wehte das Trampolin ein paar Stunden später zur Seite weg, hinter ein Häuschen und ich musste laut kreischen. Geflogen ist es aber leider – oder zum Glück – nicht. Wegen des Wetters waren heute noch weniger im Büro als sonst und so hat mich also kaum jemand gehört. Dass ausgerechnet ich zur Arbeit erscheine, hätte ich nicht gedacht, aber ich hielt es zuhause nicht mehr aus, wollte unbedingt raus und bin mit der BVG gekommen. Ich mache jedes Mal einen Test vorher, wie es meine Arbeitgeberin wünscht. Wir sollen den Test möglichst kurz vorher machen. Heute stand ich deswegen wieder Mal auf dem Sockel einer Statue an der Kirchenfassade nebenan. Als ich neben dem Steinfuß mit den abgebrochenen Zehen den Krempel auspacke, komme ich mir vor wie ein Junkie.
Ich bin mittlerweile Häkel-Junkie. Ich sitze abends stundenlang und häkel ohne zu essen oder zu trinken, einfach immer weiter. Ich glaube, dass ich deshalb schon abgenommen habe. Dazu schaue ich «You better call Saul», weil ich mittlerweile zu Serien über Männer in der Midlife-Crisis übergegangen bin. Entweder ich will noch die Runde fertig machen oder eine Folge schauen – und schon ist es wieder Mitternacht. Ich bin danach komplett am Ende und schlief die letzten paar Wochen wie ein Stein. Ich trenne mittlerweile viel auf, aber nicht jeden Fehler, denn ich bin nicht unsterblich. Ich arbeite an einem Poncho, der so farbig und voluminös ist, dass ich bezweifle, dass ich den jemals außer Haus anziehe.
Gestern habe ich die Affenpalme umgetopft, die gerade sehr gut gedeiht. Auf der erneuten Suche nach Sand habe ich festgestellt, dass mein Schlüssel für den Garten hinter dem Querhaus nicht mehr funktioniert und bin deshalb zum Baumarkt gefahren. Sand gibt es nur in 25-Kilo-Säcken für den Sandkasten oder als Vogelsand. Auf dem Rückweg sehe ich auf dem Fahrradweg zwei riesige weiße Farbflecken vor mir und denke: Ah, da war wohl auch jemand im Baumarkt. Und als ich drüber fahre stelle ich fest, dass die Farbe nicht trocken ist und spritzt. Also habe ich nach dem Umtopfen – hoffentlich übersteht das Pälmchen es – Farbspritzer vom Rad gewaschen und noch ein paar Runden gehäkelt zum Frustabbau. (pp)
(Hamburg)
pause von den fsj-lern vorm seemannsheim. die sind anstrengend. jedes jahr das gleiche. alles muss man erklären, sogar kaffee kochen. dem schülerpraktikant, der auch noch dabei ist, wurde jetzt sogar kaffeestop erteilt. der ist eh schon so aufgeweckt mit 14, ein kaffee pro tag, mehr nicht. ein weisser kastenwagen mit frankfurter kennzeichen parkt ein. ein vollbärtiger typ steigt aus und kommt direkt, ein bein nachziehend, auf uns zu und motzt: „so ein leben will ich auch mal haben, habt ihr nichts zu tun!“ er will wissen, was das seemannsheim ist und ob die nutten mit auf's zimmer dürfen. wir weisen auf das schild über der tür, da steht: christliche seefahrt. hier kommen nur fahrende seeleute unter, keine vergnügungssüchtigen kapitäne. er war vor 20 jahren bei der marine. jaja, die marine. da lachen die seeleute von den kontainerschiffen drüber, das ist ja wie kreuzfahrt. nene, vor zwanzig jahren waren das noch dreierbetten mit 18 mann in einer kabine ... das hat gestunken in der karibik bei 50 grad. er will jetzt gleich die tauben vom hochhaus gegenüber abholen. sein job ist die im taunus wieder auszuwildern. die entfernung reicht für die stadtviecher, von dort finden die nicht zurück. (mit einer brieftaube ginge das nicht). „wollt ihr n bier?“ ist viel zu früh und er hätte mal lieber einen äppelwoi mitbringen können frotzeln wir. während der typ sich ein felsenbräu aus einem halbleeren kasten von seiner pritsche zieht, schichtet er gleichzeitig tauben von eurobehälter zu eurobehälter. schlurft wieder zu uns rüber und hält uns ein vergilbtes plastikfläschchen hin. bitte nicht so nah. von dem typ kommt bestimmt die nächste zoonose in umlauf. taube, bier, taunus, frankfurt-hamburg und wo er sonst noch rumjaucht. „ist anis, die stehen drauf, alle viecher!“ erklärt er den inhalt des fläschchens. er lockt damit die tauben in die fallen. angeblich steht auch mal ein hirsch am taubenschlag und reibt sich. auf dem weg zum Kristall Tower dreht er sich noch einmal um: „nächstes mal bringe ich euch ne flasche mit!“ (sr)
der räuber gab sich als kammerjäger aus und komplementierte tochter und vater auf den balkon hinaus, nur für einen halbe stunde, dann wäre das gröbste getan, es sei schließlich ungesund. nach ablauf der 30 minuten ist kein mensch mehr in der wohnung, kein räuber und kein kammerjäger, aber der tresor ist weg - warum gibt es tragbare tresore? - egal. man stelle sich nun die frustration des räubers vor, der den tresor öffnet und darin befinden sich neben einer goldenen uhr mehrere bundesverdienstkreuze. (nor)
(Berlin)
Ich sitze seit seit ein paar Wochen erstmals wieder im Büro. Ich kam zu spät. Deswegen habe ich erstmal auf dem am Eingang ausliegenden Selbsttest großzügig verzichtet. Allerdings blöd, dass der Personaler gleich sein Büro in der Nähe hat und meine Zögerlichkeit gesehen hat. Außerdem fühlte ich mich unwohl, obwohl in der Liste der entnommenen Tests weit weniger Namen standen als Leute anwesend sind, d. h. entweder haben sie sich außerhalb getestet oder sie sind ungetestet. In der Mittagspause war ich deshalb schnell in einem Coronaladen und es war Gottseidank nichts. Dafür ist die Wahrscheinlichkeit, es sich dort zu holen bestimmt sehr hoch. Aber egal. Bei der Arbeit steht das Buch eines Schiedsrichters bei mir in der Nähe im Regal: «Ich pfeife auf den Tod!»
Ich war bei meinen Eltern, ganze zehn Tage lang. Nach ein paar Tagen schaute ich, ob es frühere Züge gibt und überlegte, wie ich aus der Nummer raus komme, aber dieser Wunsch ließ schnell nach. Ich fand alte Wolle und fing an zu häkeln, während meine Eltern vor dem Fernseher schliefen. Oder auch mal zwischendrin zum Stressabbau. Eine Jacke wurde es oder besser: ein Fetzen in Granny Square-Technik. Ich häkele noch an den Bündchen. Das Tragen macht Spaß und ich fühle mich meiner Mutter nahe, wenn ich das Teil anhabe. Es ist fürs Büro gedacht, weil es hier gerne mal kalt ist.
Mit meinem Vater machte ich Fahrradtouren und eine zeichnete ich in der Komoot-App auf. Mit meinem Bruder schaute ich zwei Filme, einer davon war «Lang lebe Ned Devine». Danach spielte ich gleich Lotto auf dem Handy – ich habe nichts gewonnen.
Einen Film schauten wir am letzten Abend und danach häkelte ich einfach ein bisschen in meinem Zimmer weiter; ich hatte keine Lust nach unten zu gehen und meine Eltern beim Schlafen vor dem Fernseher zu beobachten. Als sie später hoch kamen meinte meine Mutter, wo ich gewesen sei, sie hätten auf mich gewartet.
Am nächsten Tag fuhren sie mich zum Bus, denn der Bahnhof, wo ich immer aussteige, war in der Gegenrichtung gesperrt und zum anderen Bahnhof will mein Vater nicht mehr fahren, weil sich an den Fahrradspuren was verändert hat und ihm das zu blöd ist.
Als wir hinterher telefonieren, höre ich nicht wie sonst, wie schön es war, dass ich da war und dass bald wieder kommen soll. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein und sie hat es gesagt. Es war diesmal anstrengender als sonst – für alle. Es gab einiges zu erledigen, von dem meine Mutter entweder meint, dass es nicht zu erledigen sei oder sie es nicht machen will oder sie es einfach nicht mehr machen kann, weil ihr irgendwas weh tut.
Ich fing dort an, ein Buch über «Befreiung von Schuld und Scham» zu lesen, als EBook von der öffentlichen Bibliothek ausgeliehen. Heute morgen lass ich als Anzeige auf dem Handy in aller Eile: «Schuld und Scham verfällt in Kürze». (pp)
(Hamburg / Berlin) Der noroomgalerist trägt während des "Kultursommers" die "Asphalt-Fashion“ der Modekünstlerin Gloria Brillowska (txm))
Versicherungswerbung für die „Sterbevorsorge Komfort mit Flex-Option“
(Heute ist schlecht) (pp)
(Berlin)
Mit meiner schwer an Demenz erkrankten Schwester im Restaurant. Sie steht manchmal unvermittelt auf und läuft herum. Sie spricht schon lange nicht mehr mit mir, sondern zu einer Puppe, die offenbar aus den Tiefen der Kindheit zu ihr fand. Sie kann nicht mehr mit Messer und Gabel essen, also füttere ich sie. Sie isst gerne. Sie reagiert positiv auf Geruch und Geschmack. Und auf meine Anwesenheit, auch wenn sie nicht mehr weiß, dass ich ihr Bruder bin. Sie ist meist ganz ruhig in einer Welt, die sie maßlos überfordern muss. Eine Frau kommt zu uns an den Tisch, um mitzuteilen, dass wir ihren Hochzeitstag ruiniert haben. Auf den sie sich so gefreut habe. Sie ist ganz außer sich, dass wir nicht in unseren „privaten Räumen“ geblieben sind, wo wir niemanden durch unseren Anblick „stören“. Das müsse doch nicht sein. Wir seien doch nicht alleine auf der Welt. Ich bin müde und sage ihr, ich sei froh, dass ihr Auftritt meine Schwester nicht erreiche. Tatsächlich habe ich Angst, dass sie die vergiftete Stimmung eben doch spürt. (dl)
(Berlin)
Es ist soweit: Ich habe mir nicht nur überlegt, wieder im Büro zu arbeiten, sondern tue es tatsächlich. Letzte Woche gab es einen Umtrunk der Firma im Park, da habe ich noch allen erzählt, dass ich schon gar nicht mehr darüber nachdenke, wieder vom Büro aus zu arbeiten. Ein paar Tage später packte mich aber die seltsame Vorahnung, dass ich, wenn ich es nicht bald doch tue, es vielleicht nie wieder schaffe, sondern wenn es mal soweit ist, Panikattacken oder noch ganz andere Macken bekomme.
Bei uns muss man sich, wenn man denn kommen will, in eine Excel-Tabelle für den jeweiligen Tag für einen ganz bestimmten Tisch eintragen, so ähnlich wie bei der Sitzplatzreservierung bei der Bahn. Letzte Woche war für heute noch so viel frei, dass ich mich gar nicht entscheiden konnte, wo der beste Platz für mich ist. Gestern abend war die Liste bis auf einen Platz komplett voll und meine Entscheidung wurde mir abgenommen.
Ich habe nur so halb gut geschlafen und auch daran gedacht, ob es nötig ist, einen Test zu machen. Heute morgen habe ich mir einen Salat in eine Tupperdose geschnippelt, denn die Kantine, die wir immer benutzen konnten, hat mittlerweile dicht gemacht und wird nicht mehr aufmachen. Rechner, Mouse, Ladekabel zusammen mit einem Pullover und Jäckchen – bei uns ist es oft recht kalt – in den Rucksack gestopft und los mit dem Fahrrad.
Ich hatte der Büroassistenz am Morgen noch schnell geschrieben und sie antwortete mir, dass man nicht offiziell einen Test braucht, dass man aber einen Schnelltest am Eingang machen kann. Also eher ein Gebot, an das ich mich besser halte. Ich halte auf dem Weg an einem Covid-Pavillon auf dem Bürgersteig und mache den lieber gleich dort, denn ich habe noch nie einen Schnelltest selber gemacht. Bis ich vor dem Büro angekommen bin, ist das Ergebnis da: negativ, puh. Ein Test ist jedes Mal ein bisschen Stress für mich.
Meine Einlasskarte funktioniert nicht mehr; zum Glück nimmt mich eine Kollegin mit rein. Drinnen bekomme ich eine neue Karte. Mein Tisch ist hinter einem kleinen Regal, das glaube ich noch nicht da war, als ich das letzte Mal hier gearbeitet habe, also vor über zwei Jahren. Ich stelle meinen mitgebrachten Kram auf und das WLAN läuft sofort. Ein Monitor steht auch hier, zuhause bin ich immer zu faul, den anzuschließen. Ich überlege mir, wo ich hingehe, wenn wir Konferenz haben und entscheide mich für eine Telefonkabine. Ich frage sicherheitshalber nochmal nach und meine Entscheidung war richtig. Ich muss mich auch dafür eintragen, damit niemand anderes diese Kabine mehr benutzt. Ich hoffe, dass sie niemand mal kurz zwischendurch benutzt hat, ohne sich einzutragen. Und halte gleichzeitig diese Befürchtung für etwas übertrieben. Ich konnte die Kabine nicht richtig beobachten, weil sie hinter einer Säule liegt, aber ich denke, es war mindestens eine Stunde vorher niemand drin. Es wird ein Investitionsantrag gestellt, damit ich ein Headset bekomme, dann kann ich auch im Großraumbüro bleiben zum konferieren.
Ich gehe den Stapel Ankündigungspost durch und beschließe alles, auf dem 2020 steht, sofort wegzuschmeißen. Ich suche mir Tische für morgen und Montag aus und reserviere sie.
(pp)
Sprachnachricht vom 2. September 2021 um 19:00
«Ich hasse ja Sprachnachrichten eigentlich, aber ich muss es jetzt einfach rausbrüllen. Ich bin zu Françoise gefahren. Ich gehe den Berg hoch und laufe prompt in ein Kamerateam, die natürlich am Grab von Rio Reiser rumfilmen und irgendwas über ein Pärchen im mittleren Alter machen.
«Ja und die Gebrüder Grimm, die liegen doch hier auch irgendwo?» sagt jemand von denen.
Ich denke mir: Scheiß auf die, ihr müsst Françoise filmen, sage aber nichts, gehe weiter zum Grab und beobachte sie. Dann kommen sie hoch und die Producerin sagt: «So, jetzt gehen wir hoch und links» und ich denke mir: Jaja, jetzt kommen sie zum wichtigen Teil.
Es schaut dann aber doch nicht so aus und ich rufe ihnen zu: «Hallo, hier liegt Françoise Cactus, die müsst ihr filmen!»
«Ach ja, was, Françoise?»
Die Portraitierte und der Typ kommen her und sie so: «Oh, yeah, she was a funny one.»
Ich dann nochmal zur Producerin: «Hallo, hier das Grab von Françoise!»
«Ach ja, echt, jaja, es müsste so ein halbes Jahr her sein.»
«Ja, die müsst ihr filmen.»
«Hmm, hmm …» und sie winkt ab, die blöde Kuh. Ich kotze!
Ich hab sie gefragt, was sie überhaupt filmen.
«Wir portraitieren ja diese beiden Bartender.»
«Für arte?»
«Nee, nee, für ‘ne App.»
Ich hab aber schon gemerkt, dass sie nichts erzählen will und hatte auch keinen Bock drauf. Es macht mich nur aggressiv, weil Françoise bestimmt Tausende von Euro in deren scheiß Bars versenkt hat und jetzt nichtmal in diesem blöden Feature vorkommt. Aber wer weiß, es ist vielleicht besser so. Alright, ich beende meine Rants hier. Bis später, ciao!»
Sprachnachricht vom 2. September um 19.01
«Ich stelle mir gerade vor, wie sich Françoise mit diesen beiden Trantüten vor zehn oder zwanzig Jahren in einer Bar mal angelegt hat und sie zum Teufel geschickt hat. [Lachen] Ciao!»
(pp)
(Berlin)
Nachdem ich «Hard-boiled Hard Luck», «Erinnerungen aus der Sackgasse», «Lebensgeister», «Sly», «Kitchen», «Eidechse», «N•P»,«Der See» und «Federkleid» gelesen hatte und gerade dabei war «Ihre Nacht» zu lesen, erschien mir Banana Yoshimoto diese Woche nun im Traum.
Ich hatte eines ihrer Merchandising-Amulette gekauft und sie sagte zu mir: «Hör auf damit – es reicht jetzt!»
Ich tat wie befohlen und werde den Rest ungelesen zurückgeben.
Ich lese jetzt «Nachsommer» von Adalbert Stifter. Das Buch wurde mir vor einiger Zeit schon als Midlife-Crisis-Roman empfohlen.
(pp)
Vielleicht sollte ich mir einen weiteren Nebenjob suchen.
Vielleicht sollte ich nicht eine Woche krank sein um kein Geld in der Kita zu verdienen.
Vielleicht sollte ich mich nicht ausruhen, weil ich meine Regel habe.
Vielleicht sollte ich nicht diesen heutigen Vormittag dazu genutzt haben um
Aufzuräumen
Zu saugen
Zu spülen obwohl M gesagt hat, mach das alles nicht, bitte
Zu merken, dass ich es manchmal aber trotzdem machen will
Zu merken, dass saugen mich verrückt macht (laut, nervig)
Zu überlegen ob das besser wäre, es M machen zu lassen
Zu überlegen ob man nicht auch einfach mal zu Hause sein darf
Zu überlegen ob es ok ist, auf keinen Fall eine Putzkraft haben zu wollen
Zu überlegen ob das ein Arbeiterklassending ist
Bei ebay Kleinanzeigen nach grünen Schnürschuhen für L zu suchen
Bei ebay Kleinanzeigen nach Herbstschuhen zu suchen
Bei ebay Kleinanzeigen nach Gummistiefeln zu suchen
Zu sitzen und einen Fencheltee zu trinken und kurz die Rückenschmerzen spüren
Wäsche zu waschen
Ls Sneakers doch wegzuschmeißen
Radio zu hören wegen Charlie Watts (Tod)
Meine Finanzen zu checken
Zu überlegen, wie ich das Festival am Wochenende fotografiere
Zu überlegen, wie ich das finde am Wochenende auf ein Festival zu fahren, weil es regnen wird
H schreiben wegen des offenen Briefes an die Bundesregierung, wegen Afghanistan
Kitakolleginnen einzuladen zu Hayatos Tisch (Planten un Bloomen, bald)
Zu überlegen, was für eine Art Nebenjob ich machen könnte neben Kunst, Schreiben, Lehrauftrag, Kitajob und Leben
L zum Balettprobetraining anmelden, wo er heute unbedingt hinwill
Ls Sachen aus der Wohnung in sein Zimmer zu bringen und das nicht aufräumen
Zu überlegen wie diese lange Reise nächstes Jahr wohl wird
Zu überlegen ob wir doch noch die Maus haben, weil Köttel gesehen
Zu überlegen, was ich esse
Zu überlegen, ob wir L nächstes Jahr einen neuen oder gebrauchten Schulranzen kaufen
Zu überlegen, was Risiko ist und was Notwendigkeit
Zu überlegen, was ich mit den Bildern von der IAA mache
Zu überlegen, ob das einfacher wäre, wenn ich Budget für diese Bilder hätte (ja)
Zu fühlen, was es für ein großes Glück ist, L jeden Tag zu sehen, zu SEHEN
Zu fragen, warum es meiner Mama so schwer fällt mich zu SEHEN
Zu überlegen, wen ich im September wähle
Zu überlegen, ob ich Aktivistin sein sollte, wegen Afghanistan und Klimawandel
Zu überlegen, ob nicht Enissa Amani die korrekte Bundeskanzlerin wäre
Zu überlegen, ob ich jetzt für die Lesung im September übe
Zu überlegen, ob ich jetzt Perecs „Träume von Räumen“ lese
Zu überlegen ob das schon jetzt meine Kunst ist
Zu überlegen ob das Biografische, das IMMER in der Kunst steckt, verdeckt werden sollte
Zu überlegen ob das die Künstler*innen schützt
Zu überlegen vor wem man sich überhaupt schützen muss
(js)
(Dänemark)
In Dk gibt es keine Maskenpflicht, aber alle Hunde werden hier an der Leine geführt, auch im Wasser. Die Leinen sind viele Meter lang: Frau steht mit angeleintem Hund im tiefen Wasser. Hund schwimmt richtung Land erreicht den Strand aber nicht, weil die Leine nun doch zu kurz ist. Hund schwimmt an der gespannten Leine auf der Stelle, während die Frau das Abendlicht überm Meer bewundert. (nor)
(Zürich)
Beim Aufwachen kurze Irritation: Bunte Farben, Spielzeug, Kuscheltiere. Die kleine L. schläft bei den Eltern und hat mir freundlicherweise ihr Bett überlassen. Wir sind in Zürich, wo gestern R.s letzter Kindergeburtstag war und die Feier im Park wie üblich in ein Grillfest der Kulturschaffenden überging. Das Gespräch bei sehr dunklen Würstchen und Schaumwein ging unter Anderem um Faszination und Schrecken der Luftfahrt. Jetzt ist früher Morgen, alle schlafen noch, nur ich liege wach, etwas dehydriert und mit leichtem Druck im Kopf. Ich trinke reichlich Wasser, dusche, räume die Kuscheltiere mit ihren toten Augen beiseite und lege mich wieder hin. Nach einer Weile Dösen denke ich schade, das wird nichts mehr, ich sollte besser aufstehen. Aber dann sehe ich den Schlaf, er ist schon ganz nah. Im Sinkflug geht es in die Wolken, das Kopfweh ist weg, um mich nur noch flauschiges Weiß.
Mittags wollen die frischgebackenen Teenager (N. ist auch kürzlich 13 geworden) Muffins backen. Dazu heizen sie den Ofen auf Maximaltemperatur vor und rühren »nach Gefühl« wahllos Zutaten zu einer klumpigen, sehr flüssigen Pampe, die in Förmchen gegossen und gebacken wird, ebenfalls nach Gefühl. Das Ergebnis ist perfekt, innen wunderbar locker und außen mit einer leicht karamellisierten Kruste, in den Varianten »Schoko« und »Pizza«. N. verrät mir das Geheimnis dieses Erfolgs: Sehr wenig Mehl, dafür mehrere Päckchen Backpulver. (ow)
(Klintholm)
Der stolze Besitzer einer sehr großen Motoryacht lärmt im Hafen mit seinem Statussymbol herum. Geräuschvoll öffnet sich langsam die Heckklappe zu einer Art Garage für ein kleineres Motorboot, das nun aus dem Bauch oder besser Arsch des Mutterschiffs, auf krachenden und knarrenden Rollen, herausbefördert wird, begleitet von hochtourigem Sirren und Brummen der Elektronik. Nach 20 minütiger Ausfahrt, wird das Beiboot mit eben solchem langwierigen Getöse wieder dem großen Schiff einverleibt. Das große Schiff heißt: Sea Whisperer. (nor)
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