Hg. Erich Pick, Emine Sahinaz Akalin, Arne Bunk, Gustav Mechlenburg
»Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.« Situation Normal, All Fucked Up
Wie lässt sich die Stadt als »Denkform« gegen Großinvestoren und Masterplaner verteidigen, ohne sie als netten Spielplatz zu imaginieren?
Michaela Ott sieht durchaus eine Chance für künstlerische Initiativen im öffentlichen Raum, zeigt aber auch ihre Grenzen auf. Künstlerische Forschung kann zur Identitätsbildung, zur Erweiterung und Demokratisierung beitragen. Sie kann auf den drohenden Verlust von Lebensraum hinweisen und diesen manchmal sogar zurückgewinnen. Sie kann aber eben nicht die Probleme der Megacitys lösen: weder die Zersiedelung noch die Umweltzerstörung verhindern, und auch nicht die Armut bekämpfen.
Was sich in den begrenzten Möglichkeitsräumen dennoch entwickeln lässt, beschreibt dieser Reader in theoretischen Artikeln sowie anhand zahlreicher Beispiele künstlerischer Interventionen. Christa Müller schreibt über Sehnsuchtsorte des Selbermachens unter besonderer Berücksichtigung des Gärtnerns in der Stadt. Die Sehnsucht nach einer Stadt, die das Land nicht ausbeutet, einer Stadt, die facettenreicher erlebt wird, jenseits von Investorenkonzepten und Verwaltungskonstrukten. Stadtgärtner schaffen eigene Landschaften, meist an der offiziellen Stadtplanung vorbei. So zeigt sich im Urban Gardening eine Verschiebung der Statussymbolik hin zu postmateriellen Werten.
Carla Orthen befasst sich mit einer anderen Nische – der künstlerischen Selbstorganisation, also der Praxis und Programmatik selbstorganisierter Kunsträume. Dabei ist sie den dort kultivierten Mythologemen künstlerischer Autonomie auf der Spur, die durchaus nicht deckungsgleich mit der gelebten Praxis sind. Zwar orientiert man sich an Idealen von Autonomie, Selbstbestimmung, Widerständigkeit und Innovation sowie an den Idealen eines freien, wohlfahrtsstaatlichen Kulturbegriffs – aber eben dieser ist im neoliberal geprägten Alltagsleben schon lange nur noch ein Phantom. Noch ein weiterer Artikel befasst sich »Capitalist Realism«.
Nina Möntmann berichtet über Harun Farockis Film Ein neues Produkt. Darin geht es um postfordistische Arbeit in einer Beratungsfirma: flache Hierarchien, Netzwerke, Flexibilität. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass in solchen Betrieben die existierende neoliberale Ideologie von profitorientierter Arbeit in einen funktionalen Rahmen übersetzt und damit das System aufrechterhalten wird.
Es geht bei aller Aufbruchsstimmung lediglich doch nur darum, bestehende Machtverhältnisse zu wahren. Dies zeigt, dass Arbeit im Sinne einer strukturellen Solidarität neu erfunden werden muss, um der Effizienzlogik des Neoliberalismus zu entkommen. Was alles noch geändert werden muss, zeigen die Spaziergänge von Theoretikerinnen und Künstlern durch Städte wie Istanbul, New York, Berlin und Hamburg. Die Wege führen zu nicht mehr existierenden Kaffeehäusern, urbanen Brachen und dritten Räumen.
Reflektiert wird über Zwischenräume, Grenzorte, Kulturen, Architektur und viele Themen mehr – in Form von Interviews, Tagebuchnotizen, Zeichnungen.
Weitere Autorinnen:
Ott, Michaela; Müller, Christa; Orthen, Carla; Haarmann, Anke; Ziehl, Michael; Schlieps, Birgit; Öztat, Iz; Köchermann, Jan; Leitolf, Eva; Schumann, Per; Zacharias, Malte; Boué, Peter; Polasaari, Sari; Röhm, Jens; Wildner, Kathrin; Becker, Jochen; Piller, Peter; Plate, Jelka; Wenzel, Anna-Lena; Çayli, Eray; Der-Meguerditchian, Silvina; Loreck, Hanne; Möntmann, Nina; Harsch, Georg Felix