1809 fand im Londoner Wirkwarengeschäft seines Bruders die erste und einzige Einzelausstellung des Maler-Dichters William Blake statt. Sie erwies sich als Reinfall. Kaum jemand sah sie. Die Kritiken waren verheerend, mit Ausnahme einer Rezension, die im Januar 1811 in einem patriotischen Hamburger Kulturmagazin erschien.
Blake zog sich danach aus der Öffentlichkeit zurück. Auch das zentrale Gemälde der Ausstellung, The Ancient Britons, verschwand spurlos. Es gibt dazu keinerlei Abbildungen oder Vorarbeiten, überliefert ist allerdings das genaue Format, sowie eine umfangreiche Beschreibung und Interpretation des Künstlers selbst, die er in einem begleitenden Descriptive Catalogue kommunizierte.
Auf dieser Grundlage konnte dieses dem Vernehmen nach größte Werk Blakes in den letzten Jahren von einer Arbeitsgruppe der Kunstakademie Stuttgart unter Verwendung alter und neuer Techniken wieder zum Vorschein gebracht werden. Erste Zugänge gelangen während einer Seminarwoche am Bodensee, mittels einer Gruppentrance unter Anleitung des Hypnoseforschers und Franz Anton Mesmer-Spezialisten Walter Bongartz; danach erfolgte eine langwierige gemeinschaftliche Rekonstruktionsarbeit, bei der die individuellen Vorstellungen mit den Details der Bildbeschreibungen abgeglichen wurden.
Die Publikation im Format von Blakes originalem Ausstellungskatalog enthält neben einer Dokumentation dieser kollektiven Reimagination auch eine kommentierte deutsche Erstübersetzung seiner Bildbeschreibung, in der er sich auch über seine Auffassung vom Visionären äußerte. Visionen zu haben hielt er für eine Fähigkeit, die trainiert werden könne. Der Dichter Charles Lamb, der die Ausstellung besucht und den Katalog studiert hatte, zählte die Ancient Britons zu den „Retro-Visionen“, Vorstellungsbilder, von denen der Künstler glaube, dass sie sich aus einem limitierten Speicher von Archetypen oder Urbildern bezogen. Akzeptiert man diesen Parameter, dann kann eine Vision wie die Ancient Britons also unmöglich verloren gehen, denn das Original muß nach wie vor in der platonischen „Cloud“ vorhanden sein und sich mit ähnlichen autosuggestiven Techniken wieder laden lassen, wie sie Blake selbst zur Anwendung brachte.
Mit dem Erscheinen der Ancient Britons in der Heimat Mesmers stellt sich auch die Frage nach dem Hintergrund der frühen Rezeption dieses Gemäldes in Deutschland. In dem Artikel von 1811 war der unbekannte Blake einer zukünftigen deutschen Nation als ein ausdrucks- und mentalitätsverwandter Künstler empfohlen worden. Waren seine alten Briten also eigentlich alte Germanen? Wie „deutsch“ war dieser obskure Künstler tatsächlich?
Siebenundvierzig Jahre nach Werner Hofmanns richtungweisender Blake-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle verhandelt William Blakeʼs The Ancient Britons diese zentrale Frage nach Blakes deutschen Prägungen erneut und unterzieht die Annahme von Hofmanns britischem Co-Kurator David Bindman, dass es zwar eine Reihe von Analogien ins Blakes Werk zur deutschen Romantik gäbe, dieser jedoch „kaum irgendwelche Kenntnisse der deutschen Ideen- und Gedankenwelt des frühen 19. Jahrhunderts besessen haben“ könne, einer kritischen Revision, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund neuer Forschungsergebnisse längst überfällig erscheint.1
1) David Bindman, „Über die Kunst William Blakes“ in: Werner Hofmann (Hrsg).: William Blake, 1757-1827. Kunst um 1800, Katalog zur Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, München 1975, S. 256, 257