Riss + Bd. 03
Im Frühjahr 2018 besuchte Karl-Josef Pazzini Viktor Mazin in St. Petersburg im von ihm konzipierten Freud’schen Traummuseum – Ein Museum ohne originale Dokumente, ein psychoanalytisches Museum, zugleich Versammlungsort und Praxis, Seminarraum und Kino.
Das Museum liegt unter der Osteuropäischen Hochschule für Psychoanalyse, im Souterrain, einer Einrichtung in Kooperation mit der »International Psychoanalytic Society«. Wir sprachen über dieses sujet: über die Psychoanalyse in St. Petersburg, in Russland und in der Sowjetunion.
Während des Gesprächs blitzte unerwartet eine Erinnerung auf, die die Atmosphäre veränderte. Viktor Mazin sprach von der für ihn immer noch anhaltenden Bedeutung des Kongresses über das Unbewusste in Tiflis 1979 (organisiert von Léon Chertok und Filipp Bassin) und die Publikation der Kongressbeiträge auf Russisch und Englisch. Für uns beide waren der Kongress und seine Akten damals eine Überraschung. Es öffneten sich neue Möglichkeiten, einer Psychoanalyse zu begegnen, von der wir ahnten, dass sie der für uns unbewussten Attraktion näherkam als das, was wir bisher von der Psychoanalyse gehört hatten. Für uns beide – geografisch weit entfernt voneinander – eröffnete sich über »Tiflis« ein Weg zur Lektüre Jacques Lacans.
Viktor Mazin hatte begonnen, darüber zu schreiben und versprach mir, das fertige Manuskript für den RISS zur Verfügung zu stellen.
Das liegt hier nun in der Übersetzung von Elisa Purschke vor. Sie hat auch in den Kontext eingeleitet und über das spezifisch sowjetische Konzept der »Einstellung« im Nachwort geschrieben. »Einstellung« wurde zur Verschiebung und Tarnung für das Unbewusste in der Sowjetunion.
Die Veröffentlichung von Beträgen zum Tiflis-Kongress hat in Frankreich zu Beginn der 1980er-Jahre den Anlass zur »Affaire de Tbilissi gegeben. Louis Althusser warf Léon Chertok vor, einen falschen, unfertigen Text von ihm – »La découverte du Docteur Freud« – ohne Autorisierung veröffentlicht zu haben. Wir planen, diesen Text, der auf Französisch und Englisch, aber nicht auf Deutsch zugänglich ist und ein wichtiges Element in der Geschichte der Aufnahme der Lacan’schen Arbeiten in der (marxistischen) Philosophie bildet, in einem späteren RISS+ zu übersetzen und zu dokumentieren.
Für detailiertere Informationen und PDFs der einzelnen Artikel besuchen Sie bitte die Seite: www.risszeitschriftfuerpsychoanalyse.org
Heftredakteur*innen: Elisa Purschke, Judith Kasper, Karl-Josef Pazzini