Hg. Karl-Josef Pazzini, Marcus Coelen, Judith Kasper, Mai Wegener
Riss Bd. 97
Un geistert durch die Sprachen, arbeitet mit den Wörtern, gegen die Wörter, Begriffe und Strukturen, an die es sich heftet. Weit mehr als ein Verneinungspartikel verunsichert es als Morphem, als Artikel, als (Zahl-)Wort oder gar als schiere Buchstabenfolge die Semantik des Wortes, vor das es sich stellt. Un eröffnet Denkräume, deutet auf Latenzen hin und oszilliert zwischen sprachlichen Funktionen. Das Grimm’sche Wörterbuch vermerkt im romantischen Gestus der Anthropomorphisierung von Sprachelementen: »es gibt kaum eine partikel, die ihre productive kraft stärker bethätigt hat und heute noch lebendiger bewahrt als un.«
In der modernen Sprachwissenschaft gilt un als ein vielfältiger und wandlungsfähiger semantischer »Generator«: Die Partikel öffnet Wörter und Begriffe auf eine spekulative Dimension, wodurch sie auf Bereiche deutet, die sich dem Begrifflichen, Kategorischen und Diskursiven entziehen. Unbewusst, unzeitgemäß, unlogisch, ungeschickt, unheimlich, unsinnig und unerhört markieren nicht nur Gegenteile, sondern auch eine nicht ganz dichte Grenze, hinter der womöglich mehr liegt als ein negativer Gegenpart.
Weitere Autorinnen:
Heftredaktion: Wolfgang Hottner, Regina Karl, Judith Kasper
Autor*innen: Artur Reginald Boelderl, Julia Boog-Kaminski, Ann Cotten, Marie-Theres Haas, Wolfgang Hottner, Iris Junker, Regina Karl, Judith Kasper, William Kentridge, Mona Körte, Karl-Josef Pazzini, Marion Picker, Erik Porath, Marion Roters, Samuel Weber, Roman Widder, Peter Widmer, Alexandre Wullschleger